Darum gehts
Das Bauen sei eine harzige Sache, heisst es ringsum. Mühselige Bewilligungswege, Einsprachen gegen alles und jeden, kostspielige Terminverzögerungen. Aber hier, in der Stadtgemeinde Brig-Glis im Oberwallis, schien alles ganz flott zu gehen. Zu flott, wie sich noch herausstellen sollte.
Im Sommer 2018 erwirbt Bernhard Brigger ein Stück Land in einem ruhigen Wohnquartier. Er will darauf ein kleines Mehrfamilienhaus erstellen, erzählt er dem Beobachter. Schon im folgenden Januar erteilt das örtliche Bauamt ohne Federlesens die Bewilligung.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Bald sind die drei Eigentumswohnungen ab Plan verkauft, und im Herbst 2021 graben sich die Bagger ins Gelände von Parzelle Nummer 4622.
Brigger ist ein alter Hase
Baufreigabe, Kaufverträge, Spatenstich: Es habe ein paarmal Grund gegeben, auf den reibungslosen Verlauf der Dinge anzustossen, erinnert sich Brigger, der Bauherr.
Der Stadtzürcher mit Walliser Wurzeln ist ein alter Hase im Geschäft. Vor vierzig Jahren war der gelernte Elektriker in Grächen erstmals an ein Stück Bauland gekommen, und seither ist das sein Business: Grundstücke erwerben, abwarten, zum richtigen Zeitpunkt bebauen. Allein im Oberwallis hat Brigger 16 Mehrfamilienhäuser mit rund 120 Wohnungen hingestellt.
Die Nachbarn werden stutzig
An der Parzelle 4622 in Brig sollte sich Brigger die Zähne ausbeissen. Der Frieden beginnt zu bröckeln, als die Eigentümer der Nachbarliegenschaft beim Blick über den Gartenhag stutzig werden. Der Neubau, von dem unterdessen die Garage fertig ausgehoben ist und erste Mauern in die Höhe ragen, scheint etwas gar nahe an ihrem Land zu stehen.
Gutes Auge! Denn statt drei Meter Abstand zur Parzellengrenze, wie im Baureglement der Gemeinde Brig-Glis vorgeschrieben, sind es nur zwei. Der Beleg, dass es sich dabei um eine unerlaubte Annäherung handelt, wird aber erst später und in einem anderen Zusammenhang erbracht: Als das grosse Grundstück abparzelliert, also in zwei kleinere Flächen aufgeteilt werden soll, schaut man auf dem Bauamt die Pläne und Grundbucheinträge nochmals genauer an – und findet den Fehler.
Blaue Linie, rote Linie – was gilt denn jetzt?
Zeitsprung in den Sommer 2025. Jetzt liegt der fragliche Situationsplan vor Bernhard Brigger auf dem Terrassentisch seines Hauses im Zürcher Limmattal. Auf der Karte ist eine Linie blau markiert, deren Fortsetzung rot. In der farblichen Unterscheidung liegt die Krux: Für einen Teil der Parzellengrenze bestand bei Baubeginn ein Näherbaurecht, für den anderen Teil nicht.
Die Baubewilligung war 2019 jedoch unter der Annahme erfolgt, die Ausnahmeregelung gelte für den gesamten Bereich. Das war offensichtlich falsch. «Die Baubewilligung hätte so nie erteilt werden dürfen. Daher merkten wir zu spät, dass der nötige Grenzabstand nicht eingehalten war», sagt Bernhard Brigger, den die meisten nur Beny nennen. Unter Wallisern duzt man sich.
Wieder abbrechen und neu bauen?
Der drahtige, braun gebrannte 78-Jährige ist ein eloquenter Erzähler. Man hört ihm gern zu, wenn er Episoden aus seinem Leben als Unternehmer in der Baubranche zum Besten gibt. Zwischendurch wechselt er von astreinem Zürcher Dialekt ins melodiöse Walliserdeutsch. Im Mann, der einen Teil seiner Kindheit in Grächen verbracht hat, steckt auch in der Üsserschwiiz immer noch ein herzhaftes Stück seiner zweiten Heimat.
Sein rhetorisches Geschick half Beny Brigger damals auch beim Malheur auf Parzelle 4622. Nachdem das Briger Bauamt die widerrechtliche Situation festgestellt hatte, verfügte es einen Baustopp. Bauherr Brigger stand damit vor dem Dilemma, den angefangenen Neubau wieder abzubrechen und vorschriftsgemäss neu zu erstellen.
Das hätte ihn Zeit und eine Stange Geld gekostet – bis zu 300’000 Franken. Also: nicht wirklich eine Option.
Stattdessen habe er sich gedacht, «mal etwas mit den Nachbarn zu schwatzen», sagt er zum Beobachter. Das Ergebnis war ein Deal: Brigger vereinbarte mit den Anstössern eine Entschädigung, einen namhaften fünfstelligen Betrag. Dafür durfte der Bau so fertiggestellt werden, wie man ihn begonnen hatte. Im November 2022 floss das Geld, und die Vereinbarung wurde in einem neuen Dienstbarkeitsvertrag festgehalten.
Ein pragmatischer Ausweg aus dem Schlamassel, findet Brigger. «Die Leute haben eingesehen, dass es nicht mein Fehler gewesen ist.»
Aber wessen Fehler war es dann? Antworten darauf verlangt Brigger bis heute. Aus gutem Grund: Er will das Geld für die Entschädigung, das er aus dem eigenen Sack bezahlt hat, wieder hereinholen.
Die Suche nach dem Schuldigen
Auf Beny Briggers Anklagebank sitzen: der Architekt, der involvierte Notar und die Angestellten des Bauamts von Brig-Glis. «Grenzbaurecht s./Beleg z. L. LIG Brig-Glis/4619» steht kryptisch im Grundbuchauszug der Liegenschaft, die Brigger gekauft hatte.
Der erwähnte Beleg definiert, was dieses Recht genau beinhaltet – nämlich, dass es nur für einen Teil des Nachbargrundstücks gilt; die blaue respektive die rote Linie auf den Plänen. Doch als es um die Baubewilligung ging, so stellte sich später heraus, fehlte ausgerechnet dieses Zusatzblatt in den Unterlagen.
Dies sei seine Unterlassung gewesen, schreibt Brigger dem Architekten, den er von früheren Projekten her gut kennt. Dessen Schadensversicherung stimmt Mitte 2024 nach langem Hin und Her einer teilweisen Haftung zu: Der Architekt hätte die fehlende Beilage nachfordern müssen, dann hätte der Planungsfehler vermieden werden können. Man einigt sich auf eine Summe, die einem Drittel des Entschädigungs-Deals entspricht.
«Wir sehen aber auch eine Mithaftung beim Notar. Er hätte prüfen müssen, ob alle notwendigen Unterlagen vorhanden sind», eröffnet die Versicherung das nun folgende Schwarz-Peter-Spiel. Beny Brigger spielt mit. Dem Mann, der für ihn schon unzählige Geschäfte beurkundet hat, schiebt er Anfang dieses Jahres die Schuld am fehlenden Dokument zu: «Du als Notar bist in der Pflicht, die Parteien entsprechend aufzuklären.»
Die Replik ist so knapp wie eindeutig. Er habe ihn «hinreichend informiert», lässt der Notar Brigger wissen, eine Kostenbeteiligung komme daher nicht in Frage. «Zudem stand dir die Einsicht ins Grundbuch als zukünftiger Bauherr jederzeit offen.»
Die heisse Kartoffel reicht der Notar, der auf Nachfragen des Beobachters nicht reagiert, ins Gemeindehaus von Brig-Glis weiter. Vor allem trage das Bauamt ein Verschulden, schreibt er in seiner Antwort an Beny Brigger, «weil es die rechtskräftige Bewilligung trotz einem nicht bestehenden Grenzbaurecht erteilte».
Das Bauamt spielt den Ball zurück
Der nächste Adressat im Ringelreihen ist damit gesetzt. Durch die fehlerhafte Beurteilung des Amts habe er einen wirtschaftlichen Schaden erlitten, steht im Brief, den Brigger im Februar 2025 an den Stadtpräsidenten von Brig-Glis schickt. «Ich mache die Gemeinde wegen mangelhafter Aufklärung haftbar.»
Wäre es nicht die Pflicht der Baubeamten gewesen, die planerischen Gegebenheiten vorgängig zu überprüfen? Darauf gibt es für den Beobachter keine Antwort aus der Briger Verwaltung. Nur zu einem allgemeinen Positionsbezug lässt sich der Kommunikationsverantwortliche bewegen: «Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Hauptverantwortung für die Korrektheit der Pläne beim Architekten liegt.» Zurück auf Feld eins.
Mit dieser Argumentation wies die Stadtgemeinde zuvor schon Briggers Forderung nach einer Entschädigungszahlung zurück. Mehr noch: Sie drehte den Spiess um. Der Bauherr, also Brigger selbst, habe ebenfalls eine Kontrollfunktion, heisst es in der amtlichen Stellungnahme. «Auch er kann für Mängel haften, die er hätte erkennen müssen.» So ist das, wenn es ums Bezahlen geht: Jeder zeigt mit dem Finger auf die anderen.
Juristisch statt «entre nous»
Dass der Notar die Sache einfach mit einer schnöden Mitteilung abtun will und sich die Gemeinde Brig-Glis nur schon für die Beantwortung seiner Anfrage vier Monate Zeit gelassen hat, schlägt Beny Brigger auf die sonst so gute Laune. Er habe die Angelegenheit eigentlich «entre nous» erledigen wollen, sagt er. Aber jetzt hat Brigger einen Rechtsanwalt beauftragt, juristisch vorzugehen. «Dieses Geld schreibe ich nicht einfach ab.»
Keine Hemmungen, gegen langjährige Geschäftspartner und Duz-Kollegen anzutreten? «Das ist mir komplett egal. In unserer Branche geht es manchmal etwas rauer zu und her.»
Affaire valaisanne à suivre.