«Es war uns klar, dass der Präsident kurzfristig an den Zöllen festhalten wird»
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Keller-Suter zum Zoll-Schock:«Es war uns klar, dass er an den Zöllen festhalten wird»

Strafzölle für die Schweiz
Im Würgegriff des «fucking crazy» Mannes

Donald Trump kriegt gerade, was er will. Dahinter steckt auch die Madman-Strategie, die in den USA Tradition hat. Sie könnte die Schweiz Tausende Arbeitsplätze kosten.
Publiziert: 00:02 Uhr
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Donald Trump verfolgt laut Politikwissenschaftlern aus den USA die Strategie des «verrückten Mannes». Damit will er bei Verhandlungen Zugeständnisse erzwingen.
Foto: AFP

Darum gehts

  • Trump nutzt seine Unberechenbarkeit als politisches Werkzeug
  • Vor allem bei Verbündeten hat er Erfolg damit
  • Hohe Zölle sind bei diesen das neue Normal – und werden schon fast gefeiert
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft

Die Antwort von Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter an der Medienkonferenz sagte alles. Auf die Frage, wie es sich angefühlt habe, von Trump «abgewatscht zu werden», sagte sie: «Das war eine Enttäuschung, nicht nur für mich.»

Trump ist nicht zu trauen. So viel steht nicht erst seit dem 1. August fest. Der «Bully» stiftet Chaos. Will Kanada zum 51. Staat der USA machen, sagt, er erwäge, das US-Militär einzusetzen, um Grönland zu annektieren, droht Russland mit Atom-U-Booten. Und jetzt die Strafzölle gegen die Schweiz, schwindelerregend hoch, 39 Prozent. Woher die Zahl?

Es zeichnet sich ein Muster ab. Der US-Präsident macht die abenteuerlichsten Ansagen. Ändert ständig seine Meinung. Widerspricht sich selbst. Gibt sich inkonsequent. Das Berechenbarste an Trump ist seine Unberechenbarkeit. Und diese hat er zu einer Doktrin in der US-Politik erhoben. 

Das ist der Schweiz nun zum Verhängnis geworden.

Michael Ambühl sass früher für die Schweiz an Verhandlungstischen. Er war Chefunterhändler der Bilateralen II, später Staatssekretär und ETH-Professor für Verhandlungsfragen. «Vielleicht», sagt er nun, mit der Vorsicht eines Mannes, der immer darauf achten musste, welche Worte er wählt, «haben die Schweiz und ihre Vertreter Trumps Unberechenbarkeit zu wenig beachtet.» Er fügt an: «Man hatte wohl zu viel Vertrauen.»

Crazy mit Ansage

Dabei scheint genau diese Eigenschaft Teil einer grösseren Strategie von Donald Trump zu sein. Und das schon lange. Trump kündigte es früh an.

2016 sagte er in einem Interview mit Fox News: «Wir brauchen Unberechenbarkeit.» «Wir» meinte die USA. 

2018 posaunte er während eines offiziellen Dinners heraus: In Bezug auf die Verhandlungen mit Nordkorea sei er ein «Madman». 

2024 wurde er von einem Journalisten gefragt, wie er auf eine Blockade Taiwans durch China reagieren würde. Xi Jinping, der chinesische Staatschef, würde es nicht wagen, meinte er. «He knows I’m fucking crazy» – auf Deutsch: Er weiss, ich bin verdammt verrückt. Gefährlich, also.

Madman. So lautet eine Strategie in der Politik. Wenn ein Staatsoberhaupt Wahnsinn vortäuscht, Verhandlungspartner im Glauben lässt, dass es zu allem fähig ist. Es will sie damit verunsichern. Sie dazu nötigen, Zugeständnisse zu machen. 

Roseanne McManus, Professorin für Politikwissenschaft der Pennsylvania State University, forscht dazu. Sie sagt auf Anfrage von SonntagsBlick: «Die Madman-Strategie spiegelt Trumps Persönlichkeit.» Deshalb komme er teilweise damit durch. Und andere nicht. Denn, so McManus: «Wahnsinn vorzutäuschen, ist für zurechnungsfähige Staatsoberhäupter schwer zu bewerkstelligen.»

Den Madman spielen hat in den USA Tradition

Das zeigt ein Blick zurück. In die Präsidentschaftsjahre von Richard Nixon: der bekannteste Nutzer der Madman-Strategie.

1969 kam er in den USA zur Zeit des Vietnamkriegs an die Macht. Die USA kämpften gegen Nordvietnam, das von der Sowjetunion unterstützt wurde. Nixon wollte ein Ende des Kriegs, trug seinen Leuten in den Verhandlungen mit der Sowjetunion auf, sie sollten dieser signalisieren: Er, Nixon, sei schwer zu bändigen. Habe bald seine Hand am sprichwörtlichen roten Knopf und werde nötigenfalls Atomwaffen zünden. Nixon setzte sogar eine Frist, den 1. November 1969, um den Feind an den Verhandlungstisch zu zwingen. Und erhöhte den Druck: Im Oktober kreisten 18 schwer bewaffnete B-52-Bomber aus den USA über dem Nordpol.

Doch die Frist verstrich, der Krieg endete erst Jahre später. Die Madman-Strategie ging nicht auf.

Die Politikwissenschaftlerin McManus weiss, weshalb: Nixon habe «nicht konsequent genug» den Wahnsinnigen gespielt. Ganz anders Donald Trump. Er beherrscht das Game. Er nutze sogar soziale Medien auf so spontane und unvorhersehbare Weise, dass es seinen Ruf als Verrückten noch verstärke, sagt sie.

Bei anderen «Bullies» scheitert er

All das zahlt sich für ihn aus – je nachdem, ob er es mit Verbündeten oder mit Feinden zu tun hat.

Geht es um die Gegner der USA, läuft er bislang auf. Trump, so Politikwissenschaftlerin McManus, sei es nicht gelungen, mit dem Iran ein neues Abkommen zu schliessen, die Hamas dazu zu bringen, ein ebensolches zu akzeptieren, und den Krieg in der Ukraine zu beenden. Aus einem einfachen Grund, sagt sie: «Er ist nicht bereit, grössere militärische Gewalt anzuwenden.» 

Noch etwas spielt hinein: Der Iran, die Hamas und Russland sind nicht auf das Wohlwollen des Volks angewiesen. Anders Demokratien. Das macht sie anfällig für die Druckversuche eines Madman. Jedenfalls, so McManus, ist Trump bei Verhandlungen mit Verbündeten erfolgreicher.

Im Juni warfen sich die Nato-Länder vor ihm in den Staub. Auf seinen Druck hin erhöhten sie die Verteidigungsausgaben von zwei auf fünf Prozent der jeweiligen BIP – bis dahin eine rote Linie. Nato-Generalsekretär Mark Rutte setzte noch einen drauf, als er ihm mit einer privaten Nachricht in den Hintern kroch: «Sie werden etwas erreichen, was kein Präsident in den letzten Jahrzehnten zustande bringen konnte.» Trump machte sie auf Truth Social öffentlich.

Nun das Gleiche mit den Zöllen. Die EU, einzelne Staaten – alle betteln um einen Deal, bieten Milliarden. Und was tut Trump? Der verhöhnt sie. «Sie küssen meinen Arsch», sagte er im Frühling nach dem Zoll-Showdown vor dem Weissen Haus.

Trump hat es geschafft. Was noch vor dem sogenannten «Liberation Day» eine Katastrophe gewesen wäre – Strafzölle von 10 bis 15 Prozent –, ist für die betroffenen Länder nun plötzlich ein Erfolg, ja fast ein Grund zum Feiern. Das neue Normal. 

Das kann die Schweiz jetzt tun

Was nun mit der Schweiz? Hätte sie das «Fiasko» von 39 Prozent Strafzöllen, wie es Bundesrat Guy Parmelin an der Medienkonferenz sagte, verhindern können?

Michael Ambühl, der ehemalige Chefunterhändler und Staatssekretär, sagt: «Die Schweiz hat nach dem sogenannten ‹Liberation Day› gut gespielt.» Er verweist auf das Telefonat der Bundespräsidentin mit Trump und die Verhandlungen mit den US-Unterhändlern. Doch er frage sich, ob der Bundesrat danach nicht zu lange damit gewartet habe, bei Trump nachzufragen. «Wenige Stunden vor Ablauf der Frist ist spät.» Der Handlungsspielraum sei zu jenem Zeitpunkt klein.

Vielleicht war aber gerade Trumps Unberechenbarkeit der Grund dafür. Eine bundesratsnahe Quelle sagt, Trumps Leute hätten in den letzten Monaten bei Treffen mit Schweizer Vertretern gesagt: Jede Interaktion mit ihrem Präsidenten sei ein Risiko. Überhaupt jede Art von Aufmerksamkeit, von Sichtbarkeit. Im Nachhinein ist man schlauer: Vielleicht waren auch diese Hinweise letztlich Teil von Trumps Madman-Strategie.

So, oder so, sagt Michael Ambühl: «Paradoxerweise muss man die Unberechenbarkeit einberechnen.» Mit Umsicht, Kreativität und Hartnäckigkeit müssten die Verhandlungen geführt werden. Und man solle die Amerikaner merken lassen, dass die Schweiz sich nicht alles bieten lasse. Wichtig auch: «Sie sollte in den weiteren Verhandlungen keine zu optimistischen Informationen mehr preisgeben.»

Auch Roseanne McManus hat einen Rat für die Schweiz: Zugeständnisse anbieten, die zwar beeindruckend klingen, aber nur begrenzte Auswirkungen auf das Land haben. «Trump ist oft mehr an der Optik als an der Substanz interessiert.»

Noch ist vieles möglich. Denn Trumps Unberechenbarkeit hat einen entscheidenden Vorteil: Sie macht ihn flexibel und offen dafür, seine Position in beide Richtungen zu ändern.

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