Darum gehts
- Tamedia verliert Rekurs im Fall Roshani. Kündigung als Racheakt aufgehoben
- Öffentliche Verhandlung droht für Tamedia zum PR-Desaster zu werden
- Roshanis Lohnanspruch bis Juli 2025: 31 Monatslöhne, über 200'000 Franken
Empfindliche Schlappe für Tamedia: Das Zürcher Verlagshaus ist vergangene Woche mit seinem Rekurs im Fall Roshani abgeblitzt. Auch das Zürcher Obergericht beurteilt die Kündigung der «Magazin»-Journalistin Anuschka Roshani (59) von 2022 als Racheakt – und hebt sie auf.
Für Tamedia kommt es noch dicker. Das Obergericht hiess Roshanis Berufung teilweise gut. Die Klage wegen Persönlichkeitsverletzung geht zurück ans Arbeitsgericht, das sie zuvor abgewiesen hatte.
Der öffentlich ausgetragene Konflikt droht für Tamedia damit endgültig zum Reputations-GAU zu werden – und zum Millionengrab.
Heftige Vorwürfe im «Spiegel»
Bekannt wurde der Fall im Februar 2023 mit Roshanis Gastbeitrag im «Spiegel». Unter dem Titel «Ich auch» erhob die langjährige Redaktorin des von Tamedia herausgegebenen «Magazins» schwere Vorwürfe gegen ihren Chef Finn Canonica (59). Roshani berichtete von Mobbing, Sexismus und Diskriminierung wegen Geschlecht und Herkunft. Der Verlag habe Canonica bei seinem «System des Mobbings» protegiert.
Roshani meldete die teils lange zurückliegenden Vorfälle 2021 intern – bestärkt durch den «Frauenbrief», in dem 78 Tamedia-Journalistinnen eine sexistische Kultur im Unternehmen kritisierten. Doch die folgende interne und externe Untersuchung wurde Roshani zum Verhängnis. Zwar trennte sich der Verlag von «Magazin»-Chef Canonica wegen «nicht angebrachten Verhaltens» und «groben, unangemessenen und herablassenden Sprachgebrauchs».
Die Kanzlei Rudin/Cantieni verneinte in ihrem Bericht aber im Wesentlichen Mobbing, Diskriminierung und sexuelle Belästigung. Tamedia kündigte daraufhin auch Roshani – mit dem Argument, das Vertrauen sei zerstört.
Hier machen die Gerichte dem Verlagshaus einen Strich durch die Rechnung. Nach dem zweitinstanzlichen Urteil bleibt die Teilzeitanstellung von Roshani bei Tamedia bestehen. Damit bleibt auch ihr Lohnanspruch: Dieser belief sich laut Obergericht bis Juli 2025 auf 31 Monatslöhne beziehungsweise über 200’000 Franken. Das Urteil ist nicht rechtskräftig und kann beim Bundesgericht angefochten werden. Solange der Streit und Roshanis Siegeszug weitergeht, wächst ihr Lohnanspruch Monat für Monat weiter an.
In der Schweizer Rechtsprechung ist das ein Sonderfall. Das Arbeitsrecht sieht bei einer missbräuchlichen Kündigung keine Wiedereinstellung, sondern höchstens bis zu sechs Monatslöhne Entschädigung vor. Unternehmen können sich also von Mitarbeitenden «freikaufen».
Vor Gericht landen solche Fälle laut Thomas Geiser (72) dennoch selten. «Wer Optionen auf dem Arbeitsmarkt hat, will nicht bei einer Firma weiterarbeiten, bei der er oder sie diskriminiert wird», sagt der Professor für Privatrecht an der Universität St. Gallen. Mit jenen, die dennoch klagen, einigten sich die Arbeitgebenden meist auf eine Abfindung, um nicht öffentlich als diskriminierend dazustehen.
Gleichstellungsgesetz als scharfe Waffe
Im Fall von Anuschka Roshani liess der Verlag Tamedia den Streit vor Gericht eskalieren. Aufgehoben wurde die Kündigung gestützt auf das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Mann und Frau. Das Gleichstellungsgesetz bietet einen Kündigungsschutz von sechs Monaten, wenn eine innerbetriebliche Beschwerde wegen Diskriminierung eingereicht oder eine Schlichtungsstelle angerufen wurde. Kommt es innerhalb der Frist dennoch zur Entlassung, ist es an der Arbeitgeberin nachzuweisen, nicht aus Rache gekündigt zu haben.
Bei Roshani ist dies Tamedia nicht gelungen.
Roger Rudolph ist Professor für Arbeitsrecht an der Universität Zürich. Er bezeichnet das Gleichstellungsgesetz als eine «enorm scharfe Waffe für Arbeitnehmende». Dennoch komme sie so gut wie nie zum Einsatz. Das vorliegende Urteil im Fall Roshani bezeichnet er deshalb als «Trouvaille».
Tamedia droht öffentliche Verhandlung
Rudolph sieht zwei Gründe dafür. Erstens fehle oft das Wissen über diese Möglichkeit im Gleichstellungsgesetz, auch in Anwaltskreisen. Zweitens spiele der emotionale Aspekt mit: «Will ein Unternehmen einen Mitarbeiter loswerden, kann man sich die Arbeitsatmosphäre vorstellen, wenn dieser seinen Verbleib vor Gericht erzwingt.» Viele Betroffene würden sich solche Verfahren nicht antun, sagt der Arbeitsrechtler.
Anders Roshani.
Für ihren Anwalt Peter Reichart (60) ist indes nicht die aufgehobene Kündigung zentral, sondern dass das Arbeitsgericht die Persönlichkeitsverletzungen nun doch prüfen muss. Am Arbeitsgericht kommt es erneut zur öffentlichen Verhandlung – dieses Mal inklusive Zeugeneinvernahmen. Welche der über 40 beantragten Personen aussagen müssen, bleibt offen.
Aktuelle und ehemalige Mitarbeitende, die vor Gericht über Sexismus und Mobbing aussagen: Für Tamedia wäre das so oder so ein PR-Desaster – und für die betroffenen Zeugen ein schwieriger Gang. Der Verlag versuchte vor Obergericht vergeblich, Zeugenaussagen zu verhindern.
Er verwies auf den Bericht Rudin/Cantieni, der Roshanis Vorwürfe gestützt auf etliche Befragungen bereits widerlegt habe. Die Richter fanden dafür kein Gehör: Die Würdigung von Aussagen sei dem Gericht vorbehalten. Zudem sei ein Teil der von Roshani angeführten Zeugen für die Untersuchung Rudin/Cantieni gar nicht befragt worden.
Lenkt Tamedia in einen Vergleich ein?
Arbeitsrechtler Roger Rudolph sieht in einer öffentlichen Verhandlung, wie sie Tamedia nun blüht, eine enorme Belastung für ein Unternehmen und einen potenziell grossen Reputationsschaden. «Es würde mich daher nicht wundern, wenn Tamedia doch noch in einen Vergleich einlenkt, um das zu verhindern», sagt er.
Tamedia äussert sich weder zum Urteil noch zu einem Vergleich – man analysiere den Entscheid, so eine Sprecherin. Roshanis Anwalt sagt, seine Mandantin sei an einer gütlichen Einigung interessiert – zweifelt aber daran, dass sie nach mehreren gescheiterten Versuchen noch zustande kommt.
Eine Einigung konnte bisher auch im Streit um den Gastbeitrag von Roshani im «Spiegel» nicht gefunden werden. Tamedia hat 2023 das deutsche Nachrichtenmagazin und die Autorin verklagt. Vor allem die in Text und Bild gemachten Anspielungen auf den Fall des Sexualstraftäters Harvey Weinstein (73) sind aus Sicht des Schweizer Verlags persönlichkeitsverletzend. Auch diese Klage ist am Zürcher Gericht hängig.