Volle Lager, sinkende Nachfrage – für Obstbauer Max Wartenweiler (63) aus Häuslenen TG lohnt sich die Ernte nicht mehr
«Ich lasse 20 Tonnen Äpfel verfaulen»

Die Schweizer trinken immer weniger Obstsaft. Gleichzeitig fördert der Bund Hochstammbäume. Die Folge: Es gibt zu viele Äpfel auf dem Markt – die Preise fallen in den Keller. Für Bauer Max Wartenweiler aus Häuslenen TG hat das Folgen: Die Ernte lohnt sich nicht mehr.
Publiziert: 22.10.2020 um 23:02 Uhr
|
Aktualisiert: 29.10.2020 um 18:43 Uhr
1/6
Wer dieses Jahr durch die Obstanlage von Bauer Max Wartenweiler spaziert, merkt: Die schwer mit Äpfeln beladenen Bäume lassen zwar wie immer ihre Früchte auf den Boden fallen. Dort bleiben sie aber liegen.
Foto: Siggi Bucher
Flavio Razzino

Max Wartenweiler (63) ist ein stolzer Bauer. Ihm gehören 150 Hochstammbäume in Häuslenen TG. Jährlich gedeihen tonnenweise Äpfel und Birnen auf seinem Hof.

Doch wer diesen Herbst durch seine Obstanlage spaziert, merkt schnell: Etwas stimmt nicht am idyllischen Bild aus Mostindien. Die mit Äpfeln beladenen Bäume lassen zwar wie immer ihre Früchte auf den Boden fallen – doch dort bleiben sie einfach liegen. Niemand liest sie auf. Warum?

Ernte wäre Geldvernichtung

«Würde ich dieses Jahr die Früchte ernten, würde ich Geld vernichten», sagt Max Wartenweiler zu BLICK. Denn noch nie ist der Ertrag pro 100 Kilogramm Äpfel für Produzenten so tief angesetzt worden wie in diesem Jahr. Und: «Je mehr wir Obstbauern ernten, desto niedriger der Ertrag – darum habe ich entschieden, dass ich meine Äpfel dieses Jahr gar nicht ernten werde und nur Obstsaft für mein Hoflädeli produziere», so der Bauer.

20 Tonnen Äpfel lässt er deshalb an den Bäumen faulen. «Natürlich tut das extrem weh. Aber ich bin fast dazu gezwungen», so Wartenweiler weiter. Schliesslich habe er die Obstbäume, um Äpfel zu produzieren: «Und wie jeder Unternehmer möchte auch ich verkaufen, was ich produziere.»

Einfache Minusrechnung

Pro 100 Kilo Mostäpfel erhalten Bauern wie Max Wartenweiler dieses Jahr 26 Franken. Dieser Preis entspricht zwar dem Durchschnitt der letzten Jahre. Davon wird aber ein sogenannter «Rückbehalt» abgezogen, der jährlich neu festgelegt wird. Dieses Jahr liegt er bei einer Erntemenge von 75'000 Tonnen bei 10.50 Franken. Fällt die gesamtschweizerische Erntemenge grösser aus, erhöht sich auch dieser Rückbehalt.

Zusätzlich geht noch mal 1 Franken pro 100 Kilo für die Branchenwerbung weg – und 2 Franken pro 100 Kilo für die Ablieferung des Obsts an den regionalen Sammelstellen. Hinzu kommen Lohnkosten für die Ernte und Abzüge bei Qualitätseinbussen. «Summa summarum lege ich wegen des Rückbehalts dieses Jahr bei der Ernte drauf», sagt Wartenweiler. Das könne er sich nicht leisten.

Bauer hoffen sogar auf Frost und miese Ernte

Der Rückbehalt kreiert Paradoxes. Schweizer Obstbauern hoffen wegen dieser Gebühr nämlich nicht mehr auf eine ertragreiche Ernte – im Gegenteil. «Wir wünschen uns unterdessen einen zerstörerischen Frost mitten in der Blütenzeit im Frühling, damit die Bäume möglichst wenig Früchte haben. Das ist doch irre!», sagt Wartenweiler. Er weiss: Viele weitere Thurgauer Bauern lassen dieses Jahr die Früchte an den Bäumen faulen.

Das wird beim Schweizerischen Obstverband (SOV) nicht gerne gesehen. «Diese Bauern betreiben Food Waste! Das verurteilen wir», sagt Sprecherin Beatrice Rüttimann zu BLICK. Schliesslich würden die Mostereien in der Schweizer die Abnahme der Äpfel garantieren. «Selbst wenn die Lager schon voll sind», sagt sie.

Lager sind immer noch voll

Zwar verstehe sie die Probleme der Bauern, so Rüttimann, aber sie beruft sich auch auf besondere Umstände. «Wir hatten im 2018 eine Rekordernte, die alle Lager gefüllt hat. Seither sind wir vor der schwierigen Situation, dass die Lager bereits vor der Ernte gefüllt sind. Mit dem Rückbehalt versucht die Branche, die Situation nun in den Griff zu bekommen.»

Denn im Gegensatz zu den guten Ernteerträgen in den letzten zwei Jahren sinkt die Nachfrage nach reinem Obstsaft in der Schweiz stetig. Alleine zwischen 2011 und 2016 ist der Konsum von Apfelsaft um 16 Prozent eingebrochen. «Wir versuchen zwar, mit innovativen neuen Produkten wie Cidre oder Schorle dagegen anzukämpfen, doch es mag die Ausfälle nicht kompensieren», so Rüttimann weiter.

Das weiss auch Max Wartenweiler: «Die Leute trinken lieber Coca-Cola anstatt Schweizer Obstsaft. Das bekommen wir Produzenten direkt zu spüren.»

Bund fördert besondere Bäume

Hinzu kommt auch, dass der Bund mit Direktzahlungen die Pflanzung eines jeden Hochstammbaumes fördert: 14 Franken pro Baum erhalten Bauern jährlich. Werden die Bäume mit Nistkästen bestückt und nach Vorschriften gepflegt, kann sich der Betrag auf bis zu 44 Franken erhöhen. Kein Wunder also, dass Bauern, so oft es geht, Hochstammbäume pflanzen. Rund 62 Millionen Franken zahlt der Bund damit jährlich für die Förderung von Hochstammbäumen den Bauern aus.

Wartenweiler wehrt sich aber gegen den Vorwurf, mit den Hochstammbäumen bloss Subventionen einzuheimsen. «Die Hochstammbäume haben einen hohen ökologischen Wert – ganz abgesehen von der Ernte der Äpfel. Sie fördern die Biodiversität und prägen das Landschaftsbild. Das ist es, was der Bund mit den Direktzahlungen fördert», so der Bauer.

Immerhin: Seit Beginn der Corona-Krise verkauft Wartenweiler auf seinem Hofladen mehr Obstsaft als früher. Das habe merklich zugenommen. Seine Hoffnung: «Vielleicht besinnen sich die Menschen auf Produkte, die hier wachsen und produziert werden können.»

Zahlen und Fakten zur Obsternte

Die Schweizer Obstproduzenten liefern jährlich zwischen 60'000 und 90'000 Tonnen Obst an Mostereien ab. Dabei gibt es aber grosse Schwankungen. So lag die Erntemenge in den Jahren 2011 bei 185'000 Tonnen, im Jahr 2018 bei 157'000 Tonnen. Und im Jahr 2017 nach strengem Frost im Frühling bei gerade mal 28'000 Tonnen.

Die Nachfrage nach Obstsäften ist in der Schweiz seit Jahren rückläufig. 2009 wurden 37,1 Millionen Liter Apfelsaft verkauft, 2018 noch 29,1 Millionen Liter.

Mit dem Rückbehalt soll überschüssiges Apfelsaftkonzentrat in EU-Länder exportiert werden können. Da es zwischen Schweizer- und EU-Preisen ein grosses Gefälle gibt, muss der Schweizer Obstsaft mit Rabatten angeboten werden, damit er überhaupt konkurrenzfähig ist. Dieser Rabatt wird durch den Rückbehalt von der ganzen Branche finanziert.

Die Schweizer Obstproduzenten liefern jährlich zwischen 60'000 und 90'000 Tonnen Obst an Mostereien ab. Dabei gibt es aber grosse Schwankungen. So lag die Erntemenge in den Jahren 2011 bei 185'000 Tonnen, im Jahr 2018 bei 157'000 Tonnen. Und im Jahr 2017 nach strengem Frost im Frühling bei gerade mal 28'000 Tonnen.

Die Nachfrage nach Obstsäften ist in der Schweiz seit Jahren rückläufig. 2009 wurden 37,1 Millionen Liter Apfelsaft verkauft, 2018 noch 29,1 Millionen Liter.

Mit dem Rückbehalt soll überschüssiges Apfelsaftkonzentrat in EU-Länder exportiert werden können. Da es zwischen Schweizer- und EU-Preisen ein grosses Gefälle gibt, muss der Schweizer Obstsaft mit Rabatten angeboten werden, damit er überhaupt konkurrenzfähig ist. Dieser Rabatt wird durch den Rückbehalt von der ganzen Branche finanziert.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?