Reinigungsprofi Osterloh führt Blick durch eine Messie-Wohnung
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«Betroffene holen keine Hilfe»:Osterloh führt Blick durch eine Messie-Wohnung

Viola Osterloh (40) aus dem Thurgau räumt Messie-Wohnungen – Blick war dabei
«Wenn nicht einmal eine Ratte überlebt hat, spricht das für sich»

Sie kommt dann, wenn Menschen nicht mehr weiter wissen und buchstäblich im Abfall ertrinken: Reinigungsprofi Viola Osterloh und ihr Team. Blick durfte sie in ein sogenanntes Messie-Haus begleiten.
Publiziert: 00:00 Uhr
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Seit 2018 führt Viola Osterloh die Firma Osterlohs Räumungen zusammen mit ihrem Mann.
Foto: Sandro Zulian
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Sandro ZulianReporter News

Als Blick mit Viola Osterloh vor einem Haus im Kanton St. Gallen steht, fragt die gebürtige Ungarin ernst: «Bist du bereit?» Die 40-Jährige betreibt seit über sieben Jahren die Firma Osterlohs Räumungen in Oberaach TG. Sie bietet Reinigungen und Räumungen aller Art an. Messie- und Tatortreinigungen inklusive.

Im Haus wartet eine Reizüberflutung. Der Fussboden ist übersät mit Sachen. Plastiksäcke, Schuhe, Decken, Kissen, Kabel, DVDs, Plüschtiere, Schachteln, Kleider, Sportsachen – die Aufzählung könnte fast endlos fortgeführt werden.

Der Kühlschrank in der Küche wurde bereits geräumt. An der Innenseite der Tür kleben Hunderte verendete Fliegen. Am Küchenboden hat sich ein kleiner See gebildet. Die Flüssigkeit ist nicht genau definierbar.

Um im Badezimmer zum WC zu kommen, muss man sich einen Weg durch verschiedene Shampooflaschen und Reinigungsbehälter bahnen. In der WC-Schüssel liegt ein Putzlumpen, gereinigt wurde hier aber schon lange nicht mehr.

«Das hier ist noch friedlich»

In diesem Haus muss man aufpassen, wo man hintritt, denn der Boden ist unwegsam, teilweise liegen dort auch Scherben. Auch Dokumente der Bewohnerin liegen herum – diese hat Blick das Betreten und Dokumentieren des Hauses erlaubt.

In den Schlafzimmern liegen Lattenroste, Matratzen und ganze Gestelle am Boden. Ein süsslicher Geruch sorgt für einen flauen Magen. «Das ist Katzenurin», sagt Osterloh entspannt.

Trocken sagt sie inmitten des Chaos: «Das hier? Das ist noch friedlich.» Denn sie ist sich noch deutlich heftigere Zustände gewohnt. «Wenn der Müll 1,60 Meter hoch liegt, steige ich erst mal da drauf, um mir einen Überblick zu verschaffen», erklärt sie ihr Vorgehen. Ihre schlimmste Erfahrung fasst sie in einem Satz zusammen: «Wenn nicht einmal eine Ratte überlebt hat, spricht das für sich.»

Dieses Bild stammt aus einer anderen Räumung von Osterloh. Die Ratte ist inmitten des Abfalls verendet.
Foto: zVg

Osterloh schaut darauf, dass sie und ihr Team stets gut geschützt sind. Je nach Ausmass der Verschmutzung verordnet sie spezielle Bekleidung und Mundschutz. «Ich brauche mein Team auch morgen und übermorgen noch.»

Das Wichtigste nebst ihrem Team sind ihre Kundinnen und Kunden: «Sie müssen sehen, dass ich mich nicht ekle und sie ernst nehme.»

Oft wird Osterloh von Ämtern, Vermietern oder Beiständen, manchmal aber auch von besorgten Familienmitgliedern gerufen. Der vorliegende Fall ist noch spezieller: Die Besitzerin des Hauses ist gleichzeitig die Bewohnerin mit Messie-Syndrom.

«Scham und Schuldgefühle»

In solchen Fällen ist die emotionale Bindung mit der Kundin sehr wichtig. Das zeigt auch die Erfahrung: Osterloh zeigt Blick mehrere herzliche Dankesschreiben, die sie über die Jahre hinweg erhalten hat. Nicht selten gebe es bei der Übergabe einer wieder blitzblanken Messie-Wohnung Tränen, erzählt sie.

Auch Emma P.*, die Besitzerin des Hauses im Kanton St. Gallen, schreibt Osterloh. Blick darf aus dem E-Mail zitieren: «Sie lief durch das Haus, strich sich Spinnweben aus den Haaren, als wäre nichts.» Und: «Der Respekt war vor und nach der Begehung derselbe.»

In die Situation einer total vermüllten Wohnung zu geraten, gleiche einem «sich steigernden Teufelskreis». Und: «Scham und Schuldgefühle darüber, es überhaupt so weit kommen gelassen zu haben, sind so lähmend gewesen, dass es mir fast unmöglich war, Hilfe zu holen.» Die Scham habe Emma P. glauben lassen, alles selber in den Griff kriegen zu müssen.

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Ein Mitarbeiter von Viola Osterloh, in Vollmontur, räumt eine Wohnung.
Foto: zVg

Sie selbst bestellte schon einmal eine Abfallmulde und startete mehrere Anläufe, das Haus in Eigenregie auszuräumen. Ohne Erfolg.

Praktisch immer stecken hinter dem Messie-Syndrom psychische Belastungen oder Schicksalsschläge. Dass sich die Leute nicht sofort Hilfe holen, liegt zudem an der starken Tabuisierung des Themas.

Für diesen Job muss man geboren sein

Angefangen hat Viola Osterlohs Reinigungskarriere mit ihrem Mann. Sein Brockenhaus im Thurgau bekam immer wieder Räumungs- und Reinigungsanfragen. So entschied sich das Unternehmerpaar, ihr Angebot auszuweiten.

In gewisser Weise müsse man für diesen Job geboren sein, sagt Osterloh: «Ich bin nicht zimperlich. Ich habe mich nie geekelt, ich habe immer nur das Problem gesehen. Denn dahinter verbergen sich Geschichten von Menschen.»

In Emma P.s Haus räumt Osterlohs Team gerade die Stube aus. Die vier Putzkräfte arbeiten so schnell, dass man fast nicht mitkommt. Innert nicht einmal 20 Minuten ist das Zimmer komplett leer und besenrein.

Nicht ohne Stolz sagt Viola Osterloh zum Schluss: «Es war für mich immer eine Leidenschaft. Ich liebe meinen Beruf, es ist mein Traumjob!»

* Name geändert 

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