Willensvollstrecker amten in einem heiklen Bereich: Sie sorgen dafür, dass der Nachlass einer verstorbenen Person nach deren Willen verwaltet und geteilt wird. Sie können auf alle Konten zugreifen, erstellen ein Erbschaftsinventar, begleichen Rechnungen – und halten Erben darüber auf dem Laufenden.
Erblasser wählen dafür zu Lebzeiten Menschen, denen sie vertrauen. In Frage kommen alle, die volljährig und urteilsfähig sind – auch ein Mann wie Markus Roos.
Dem Anwalt und Ehemann der früheren St. Galler Regierungsrätin und Bundesratskandidatin Rita Roos vertrauten viele. Er genoss einen guten Ruf, galt als integer und gradlinig.
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Eine halbe Million Franken aufs eigene Konto
Dann verblüffte er alle: Roos soll sich als Geschäftsführer und Verwaltungsrat diverser Firmen sowie als Willensvollstrecker insgesamt fast 2,5 Millionen Franken unrechtmässig angeeignet haben.
2024 hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben wegen mehrfacher Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung. Sie fordert eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten.
Laut Anklageschrift steckte Roos über eine halbe Million Franken in seiner Funktion als Willensvollstrecker in die eigene Tasche. In den Jahren 2018 bis 2022 soll er sich fünf- und sechsstellige Beträge aus insgesamt sechs Nachlässen direkt an seine Kanzlei, die er mit seiner Gattin führt, oder aufs gemeinsame Privatkonto überwiesen haben.
2024 verlor er sein Anwaltspatent. Ein Urteil im Strafverfahren steht noch aus. Der Prozess wurde auf 2026 verschoben. Für Markus Roos gilt die Unschuldsvermutung. Gegenüber dem Beobachter wollte er zu den Vorwürfen keine Stellung nehmen.
Weitere Mandate trotz Strafverfahren möglich
Dennoch nennt der Beobachter Markus Roos’ vollen Namen – und rechtfertigt dies mit dem öffentlichen Interesse. Roos darf nämlich trotz des laufenden Strafverfahrens weiterhin als Willensvollstrecker arbeiten. Dafür braucht es weder einen geschützten Titel noch sind besondere Qualifikationen vorgeschrieben. Willensvollstrecker kann jede Person werden – sogar, wenn sie selber zu den Erben gehört.
Wenn die Gefahr besteht, dass ein Willensvollstrecker trotz Verdachts auf deliktisches Verhalten weiter seine Dienste anbietet, müssen zukünftige mögliche Mandanten und Mandantinnen davon erfahren. Gerade weil dieser sensible Bereich wenig normiert, reglementiert oder kontrolliert ist. Wer einen Willensvollstrecker beauftragen will, muss sich selbst schützen und braucht möglichst transparente Information.
Mangelnde Kommunikation und überrissene Honorare
Der Fall ist in diesem Ausmass sicher eine Ausnahme. Er zeigt aber: Das Missbrauchspotenzial ist gross. Beim Beobachter melden sich regelmässig Erben, die Probleme haben mit Willensvollstreckerinnen und Willensvollstreckern. Die häufigsten Beschwerden: Sie arbeiten zu langsam, informieren kaum oder verlangen überrissene Honorare.
So berichtete ein Ratsuchender von einem Willensvollstrecker, der nach drei Jahren seine Arbeit für beendet erklärte, sich aus dem Nachlass ein Honorar überwies, aber keine Schlussabrechnung vorlegte.
In einem anderen Fall warten Erben seit zwei Jahren auf die Erbteilung. Die Willensvollstreckerin, eine Anwältin, liefert weder Zwischenberichte noch Angaben zu ihrem Aufwand.
Ohne regelmässige Berichte können Erben die Kosten nicht kontrollieren. Und das kann ins Geld gehen. Ein Treuhandbüro verlangt 70 bis 420 Franken pro Stunde, ein Anwalt bis zu 500 Franken.
Aufsichtsbehörden kämpfen mit «stumpfem Schwert»
Zwar gibt es Aufsichtsbehörden. Je nach Kanton sind das etwa Teilungsämter, Amtsnotariate oder Gerichte. Auf Beschwerde hin können sie Willensvollstrecker mahnen oder sogar büssen. Doch oft dauert es lange, bis sie eingreifen. «Die Behörde fordert zunächst eine Stellungnahme vom Willensvollstrecker und setzt Fristen. Verstreichen diese, mahnt sie. Irgendwann kommt eine Antwort, aber es braucht weitere Abklärungen und so verstreicht sehr viel Zeit», sagt der Basler Erbrechtsanwalt Daniel Abt. Das Schwert der Behörden sei stumpf.
Noch schwieriger ist es, einen Willensvollstrecker abzusetzen. «Das geht nur, wenn ein Willensvollstrecker grob gegen die Regeln verstösst – und die Erben das auch beweisen können», sagt Abt.
Er arbeitet selbst als Willensvollstrecker, vertritt aber auch Erben bei Konflikten. Er kennt beide Seiten und weiss: «Auch Erben können schwierig sein.» Oftmals würden Willensvollstrecker gerade wegen drohender Streitigkeiten unter den Erben eingesetzt. «Deshalb wäre es falsch, wenn man sie zu leicht absetzen könnte.»
Keine Erben als Willensvollstrecker
Problematisch sei aber, dass jeder und jede dieses Mandat übernehmen könne. «Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe mit vielen Pflichten.» Wer nicht qualifiziert sei, könne auch nicht zielführend handeln, richtig kommunizieren und die Erben angemessen einbeziehen. «Genau daran scheitert es oft», sagt Abt.
Sollte man bestimmte Fachkenntnisse zur Pflicht machen? Abt ist dagegen: «Für einen Nachlass mit zwei Konten und 50’000 Franken braucht es keinen Finanzspezialisten.» Er plädiert aber dafür, Personen, die selber am Nachlass beteiligt sind, von der Rolle auszuschliessen. «Das wäre einfach umzusetzen und würde viele Konflikte verhindern.»
Das hätte auch jenem Leser einen Anruf beim Beobachter erspart, dessen verstorbener Vater die älteste Tochter als Willensvollstreckerin eingesetzt, aber weder ihn noch die beiden weiteren Geschwister darüber informiert hatte.
Die Geschwister verzichteten alle zugunsten der noch lebenden Mutter aufs Erbe. Doch die als Willensvollstreckerin eingesetzte Schwester gab keine Auskunft über das hinterlassene Vermögen oder ihren allfälligen Aufwand. «Als ich nachfragte und Einsicht verlangte, wurde mir diese verwehrt. Meine Mutter stempelte mich ab als unmöglich und misstrauisch.»
Da er auf das Erbe verzichtete, hatte er rechtlich keinen Anspruch auf Informationen. Dennoch entstand ein Ungleichgewicht: «Eine Schwester weiss alles, die anderen Geschwister nichts. Das ist sehr ungünstig», findet auch Daniel Abt. «Es braucht für diese Aufgabe eine neutrale Person.»
Anpassungen geplant
Das Bundesamt für Justiz arbeitet an einer weiteren Erbrechtsrevision, sie soll im ersten Halbjahr 2026 in die Vernehmlassung gehen. Auch die Willensvollstreckung ist Thema. Doch noch ist unklar, ob und was sich genau ändern soll.
Letztlich wird es immer eine Vertrauenssache bleiben, wen man für diese Aufgabe einsetzt. Fälle wie jener im Toggenburg werden sich wohl nie ganz verhindern lassen.