Kevin P.* stach Salvatore N.* eine Schirmspitze tief in beide Augen, fügte ihm damit schwerste Schädel-Hirn-Verletzungen zu, brachte ihn um – und muss nicht ins Gefängnis. In Mels SG ist das seit Donnerstag Realität. Der junge Mann war bei der Tat derart betrunken, dass er nicht schuldfähig ist. Verurteilt wurde er trotzdem.
Das fünfköpfige Richtergremium am Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland kam zum Schluss: schuldig des «Verübens einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit». Er kassiert eine bedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren – wird er in den nächsten fünf Jahren nicht wieder straffällig, bleibt er frei. Weiter brummte ihm das Gericht fünf Jahre Abstinenz auf, er wird regelmässig zur Kontrolle antraben müssen.
«Es wird immer nur über den Alkohol gesprochen!»
«Una grande ingiustizia – eine grosse Ungerechtigkeit», nennt das Salvatore N.s Bruder Mauro (62). Er und ein weiterer Bruder, Michele (64), schafften es, mit Blick nach dem Urteilsspruch ein paar Worte zu wechseln. Der Rest der sieben Geschwister von Salvatore N., die extra aus Italien angereist waren, standen unter Schock. Eine der Schwestern weinte unentwegt, ein anderer Bruder stürmte wortlos aus dem Gebäude.
«Es wird die ganze Zeit nur über den Alkohol gesprochen und wie dieser den Täter schuldunfähig gemacht haben soll. Aber nicht über die Tat selber!», klagt Michele N. Das Gericht sprach den Hinterbliebenen zudem keine Genugtuung zu. «Sie wohnen nicht im selben Haushalt», so die Begründung des Richters.
Im Hasenkostüm einen Menschen umgebracht
Rückblende: Am Morgen des 27. Februar 2022 ging der betrunkene Kevin P. (damals 19), mit einem Hasenkostüm verkleidet, während der Fasnacht in Mels SG ins Restaurant «Schäfli». Um kurz vor 6 Uhr morgens betrat er dort das Zimmer 22, wo Salvatore N. (†45), ein Pizzaiolo aus Italien, Dauermieter war.
Im Zimmer muss es dann zu einem Streit gekommen sein. Dieser artete in einen Kampf aus, schliesslich stach Kevin P. Salvatore N. nach einem Handgemenge heftig mit der Spitze eines Schirmes, den er im Flur fand, in beide Augenhöhlen. Der Schirm brach durch, bis ins Gehirn. Der italienische Pizzaiolo starb, Kevin P. wurde festgenommen. Für 47 Tage. Seitdem ist er in Freiheit. Und bleibt das auch.
«Für das Töten im Rausch kann man Sie nicht verantwortlich machen»
«Ich weiss es nicht», sagte Kevin P. bei der Gerichtsverhandlung vor über einem Jahr immer und immer wieder. Er wusste nicht, was er im Schäfli wollte, er wusste nicht, was er im Zimmer 22 wollte, er wusste nicht, wieso er zum Regenschirm griff.
Die Verhandlung wurde damals unterbrochen, weil die Richter noch zu viele Fragen in Bezug auf das psychiatrische Gutachten hatten. Sie holten ein neues ein. Dieses kam nun ebenfalls zum Schluss: Kevin P. ist schuldunfähig. Er war zum Zeitpunkt der Tat derart berauscht und steuerungsunfähig, dass er nicht mehr in der Lage war, das Unrecht seiner Tat einzusehen. «Andere wachten nach der Fasnacht mit einem Kater auf, Sie mit blutigen Händen», sagte der Richter.
Kevin P. blieb während des gesamten Prozesses ruhig, wirkte manchmal fast ein bisschen genervt vom Rummel um seine Person. Über den Menschen, dem er mit einem Regenschirm in die Augen das Leben nahm, sagte er zum Abschluss: «Es tut mir sehr leid, dass Salvatore N. tot ist.»
* Namen geändert