Darum gehts
Im Toggenburg, nahe Nesslau SG, scheint die Welt noch in Ordnung. Zur Begrüssung bellt ein Hund, im Garten watscheln ein paar Laufenten. Bruno Koller drückt dem Beobachter-Reporter so kräftig die Hand, als wolle er damit sagen, dass ein Handschlag hier noch etwas zählt.
Der 36-Jährige ist gross, hat wache, helle Augen und eine Smartwatch am Handgelenk. Man kennt ihn in der Region. Das strahlt er auch aus. Koller führt in sein 300 Jahre altes Toggenburgerhaus, in dem schon sein Vater lebte und zuvor dessen Vater und so weiter. Einige Zimmer sind so niedrig, dass man instinktiv den Kopf einzieht.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Behandelt wie ein Krimineller
Der Mythos Schweiz, er liegt hier im Obertoggenburg, wo die Churfirsten steil in die Höhe ragen, förmlich in der Luft. Jene Wehrhaftigkeit und Unabhängigkeit, die Politiker gern an 1.-August-Reden beschwören.
Doch just an diesem Selbstbild wird gerade arg gekratzt. Koller sitzt am Küchentisch – aus dem Radio trällern die neuesten Hits – und fängt an zu erzählen. Wie es kam, dass er plötzlich wie ein Krimineller behandelt wurde.
Es begann damit, dass er zuerst kein Geld für seinen Muni erhielt, den er an die Migros verkaufte. Koller produziert Bio-Beef aus Weidehaltung – als «Nebenerwerb». Denn eigentlich leitet er die Regionalvertretung des örtlichen Energieversorgers.
Dann, Monate später, geschah noch etwas, worauf Koller sich zuerst keinen Reim machen konnte. Eine Gefriertruhe, die er beim Onlinehändler Frankenspalter.ch bestellt hatte, kam nicht. Die Speditionsfirma Sieber – ebenfalls ein Schweizer Unternehmen – weigerte sich, sie ihm zu liefern.
Als Bruno Koller nach einigem Hin und Her den Grund für diese Merkwürdigkeiten herausfand, dachte er zuerst, das sei ein Scherz.
«Leider mussten wir heute erfahren, dass wir Sie nicht beliefern dürfen. Laut Mitteilung unserer Spedition stehen Sie auf einer Sanktionsliste, was unserem Transportpartner die Zustellung untersagt», schrieb ihm eine Kundenbetreuerin des Onlineshops. Koller zeigt die Mail auf seinem Laptop. «Uns sind leider die Hände gebunden, und wir wissen auch nicht, ob diese Aussage überhaupt der Wahrheit entspricht.»
Nicht der erste betroffene Bruno Koller
Koller fand heraus – auch mithilfe eines Beobachter-Artikels –, dass seit dem 24. Februar 2023 ein anderer Bruno Koller, rund 40 Jahre älter als er, auf der Sanktionsliste der US-amerikanischen Behörde Ofac steht. Dem «Office of Foreign Assets Control», quasi das Bundesamt zur Kontrolle ausländischer Vermögenswerte.
Die Liste umfasst Drogenkartell-Bosse, Mitglieder internationaler Terrororganisationen, Unterstützer Putins – und Bruno Koller; weil er, angeblich, einen anderen Schweizer Geschäftsmann bei der Beschaffung «sensibler westlicher Technologien» und «Ausrüstung für russische Geheimdienste und das russische Militär» unterstützt haben soll.
Plötzlich alle Konten blockiert
Wer auf der Liste steht, ist so gut wie erledigt. Wer den Amerikanern als Feind gilt, mit dem will niemand mehr etwas zu tun haben, vor allem keine Bank.
Bruno Koller, der Namensvetter, produzierte kein Bio-Beef, sondern Lasermaschinen, und verkaufte sie auf der ganzen Welt. Von seiner Sanktionierung erfuhr er damals per SMS. Plötzlich funktionierten seine Kreditkarten nicht mehr, die Banken blockierten seine eigenen und die Konten seiner Firma, erzählte er der NZZ und später dem Beobachter.
Er konnte weder Rechnungen noch Löhne bezahlen. Er ging deswegen in Konkurs und lebt seither von AHV-Rente und Pensionskassengeldern – alleinstehend in einer kleinen Gemeinde im Zürcher Unterland.
Verwechslungen werden in Kauf genommen
Doch was hat das alles mit seinem jüngeren Namensvetter zu tun, dem Bruno Koller im Toggenburg? Dieser hat so wenig am Hut mit den USA oder Russland wie eine Olma-Bratwurst mit McDonald’s.
Recherchen des Beobachters zeigen: Die USA fordern selbst von Versandfirmen weitgehende Massnahmen. Sie müssen Pakete blockieren, wenn ein Empfänger auf der Sanktionsliste steht – auch in der Schweiz.
Und nicht nur das. Die Sanktionsbehörde nimmt in Kauf, dass es dabei zu Verwechslungen kommt. Denn, so schreibt sie auf ihrer Website: Lieferungen müssen blockiert werden, auch wenn nur eine «Namensgleichheit ohne weitere Übereinstimmung» vorliegt. Der Name muss nicht mit weiteren Identifikatoren geprüft werden, etwa Geburtsdatum oder Passnummer.
Das Ziel: Niemand soll durch das Raster fallen. Darum wird auch die Umsetzung rigoros kontrolliert. Nach Informationen der «Sonntagszeitung» schicken die USA regelmässig sogenannte Hunting-Teams nach Bern. Diese «Jäger» treffen sich mit Vertretern des Staatssekretariats für Wirtschaft und der Finanzmarktaufsicht, um sie auf die Einhaltung der Sanktionen einzuschwören.
Vorauseilender Gehorsam
Wer sich nicht an die US-Vorgaben hält, riskiert hohe Geldstrafen, Kontosperrung, Ausschluss vom US-Markt – oder noch schlimmer: vom Dollar. Für Firmen lautet deshalb die Devise: im Zweifel lieber unbescholtene Bürger erwischen, als selbst ins Visier zu geraten.
Offiziell äussern möchte sich in der Schweiz niemand dazu. Auch die Speditionsfirma Sieber, die Koller die Lieferung seiner Gefriertruhe verweigerte, schreibt auf Anfrage, man könne keine Auskünfte zu «konkreten internen Abläufen und Prüfmechanismen» geben.
Doch der Beobachter erfährt von Insidern der Speditionsbranche, die anonym bleiben möchten, dass auch Schweizer Firmen sämtliche Lieferungen mit der Sanktionsliste abgleichen und potenziell Sanktionierte grundsätzlich nicht beliefern.
Deutsche Unternehmen reden Klartext
Weniger verschwiegen ist die Deutsche Post. Sie schreibt in ihren Compliance-Bestimmungen, dass «im Rahmen der Stärkung der globalen Sicherheit» jede Sendung verzögert werden könne, «wenn der Versender oder Empfänger mit einer Person oder Organisation in Verbindung steht, die auf einer Sperrliste steht».
Die deutsche Firma DBH, eigenen Angaben zufolge eines der weltweit führenden Unternehmen in Logistiksoftware, entwickelte dazu gar eine eigene IT-Lösung, die «Advantage Compliance»-Software. Sie identifiziere automatisch sanktionierte Kontakte anhand der täglich aktualisierten Listen – «innerhalb von Sekunden».
Zum Verhängnis wurde Bruno Koller, dem jüngeren, wohl sein gängiger Name. Brunos gibt es hierzulande 26’478; Platz 14 der häufigsten männlichen Vornamen. Koller heissen 7199 Leute, sie belegen damit Platz 55.
Auch in Deutschland und den USA ein Problem
Gleichwohl scheint es in der Schweiz der erste derartige Verwechslungsfall zu sein. Nicht jedoch in Europa. Darauf deuten zumindest Berichte auf der Onlineplattform Reddit hin.
So schreibt eine Person unter weiblichem Pseudonym – mutmasslich aus Deutschland –, sie werde seit rund fünf Jahren jedes Mal, wenn sie etwas bestelle und es per DHL verschickt werde, aufgefordert, eine Kopie eines amtlichen Ausweises vorzulegen. Schlicht weil ihr arabischer Name mit jemandem auf der «Liste der abgelehnten Parteien» übereinstimme. Trotz mehreren Anfragen wollte sie sich nicht mit dem Beobachter unterhalten.
Die Verwechslungsgefahr wird auch in den USA seit Jahren kritisiert. Wie bei so vielen derartigen Problemen liegt der Ursprung in den Terroranschlägen vom 11. September 2001. US-Präsident George W. Bush rief kurz darauf den «Krieg gegen den Terrorismus» aus. Seine Administration versprach, hart gegen die Vermögenswerte von Terroristen und deren Organisationen vorzugehen.
Massenhaft falsche Treffer
Die US-Sanktionsbehörde geriet unter Druck. Sie sollte schnell Resultate liefern – und veröffentlichte alsbald fast wöchentlich neue Listen, auf denen neben konkreten Personen auch viele alternative Namensformen aufgeführt waren, sogenannte Aliasnamen.
Banken, Logistik- und Leasingfirmen führten daraufhin automatisierte Screenings ein und glichen die Namen ab – ohne weitere Prüfung. Das führte zu massenhaft falschen Treffern, sogenannten «false positives».
Die 9/11-Kommission, ein Ausschuss des US-Kongresses, rügte einige Jahre später auch die schwache Beweisgrundlage und die chaotischen Zustände, unter denen die Sanktionen ausgesprochen wurden. In den letzten Jahren klagten Hunderte Opfer solcher Verwechslungen gegen die Diskriminierung – etwa weil sie keinen Kredit oder Leasingvertrag erhielten – und bekamen teilweise hohe Entschädigungssummen zugesprochen.
«Das gäbe ein Affentheater»
Auch bei Bruno Koller im Toggenburg kam es zumindest zu einem halben Happy End. Nachdem er die Verwechslung mit Bank und Speditionsfirma hatte klären können – er musste seine ID vorzeigen und das Geburtsdatum des eigentlich sanktionierten Bruno Koller beilegen –, erhielt er das Geld für seinen Muni. Und auch die Gefriertruhe wurde ihm schliesslich geliefert.
Die Kundenbetreuerin des Onlineshops schrieb ihm: «Wir selbst wussten gar nicht, dass es überhaupt so etwas gibt. Ich bin sehr froh, konnte es durch Ihre Hartnäckigkeit geklärt werden.»
Koller ist zwar zufrieden, wie der Onlineshop und die Spedition mit seinem Problem umgegangen sind. Er stört sich aber noch immer am Grundsätzlichen, wie er am Küchentisch sagt: «Ich dachte eigentlich, wir seien ein unabhängiges Land.»
Es gebe ihm zu denken, dass «ennet em Teich» irgendjemand etwas auf eine Liste schreiben kann und er dann im Toggenburg als unbescholtener Bürger bezahlte Ware nicht geliefert bekomme.
Man stelle sich nur vor, er wolle einmal in die USA reisen, sagt Koller. «Das gäbe ein Affentheater, nur weil ich so heisse, wie ich heisse.»