Vor zwei Monaten hat Markus Eberhard (64) den Stopp-Knopf gedrückt. Der medizinische Direktor des Kantonsspitals Schaffhausen musste sein Haus auf die Corona-Krise vorbereiten. Also sagte Eberhard alle Operationen ab, richtete Isolierstationen ein, liess Narkosegeräte von der Chirurgie als Beatmungsgeräte auf die Intensivstation bringen. (BLICK berichtete)
Eberhard wusste damals nicht, ob es reicht. Er wusste nur: Die Welle kommt.
Schaffhausen, sieben Wochen später. BLICK will wissen: Wie gross die Welle war? Hat es gereicht?
Wer Eberhard sieht, weiss auf einen Blick: Es hat. «Gott sei Dank!», sagt er. «Weil national gute Massnahmen ergriffen wurden und wir glücklicherweise verschont wurden.» Der Mediziner ist entspannt. Am letzten Wochenende konnte er gar seine Enkel zum ersten Mal wiedersehen.
Schaffhausen hat nur sechs Corona-Tote
Nur 76 Menschen wurden im Kanton Schaffhausen (rund 82'000 Einwohner) positiv getestet, selbst in der schlimmsten Phase der Krise mussten nie mehr als vier Corona-Patienten gleichzeitig beatmet werden.
Chefchirurgin Adrienne Imhof (50), die in der Krise den Personalpool verwaltete, musste sogar Mitarbeiter wegen Arbeitsmangels nach Hause schicken. Das ist eine sehr gute Nachricht: besser Däumchen drehen als Bilder wie in Norditalien.
«Das letzte Mal habe ich gesagt: Wir stehen da und warten auf den Tsunami. Und dann haben wir halt gewartet», erzählt Nadine Gehring (45), Leitende Ärztin auf der Intensivstation. «Zum Glück kam es nicht so schlimm, wie wir es erwartet haben.»
Der Kanton verzeichnet nur sechs Corona-Tote. Auch deshalb, weil die Grenzen nach Deutschland schnell zu waren. Der Rhein trennt Schaffhausen von den anderen Kantonen. «Das Virus hat noch nicht schwimmen gelernt», scherzen die Schaffhauser.
Eine Patientin ist seit zwei Monaten hier
Sie wissen, wie privilegiert ihre Lage ist. Etwa vier Wochen Vorsprung hatten sie vor dem schwer gebeutelten Tessin. Wäre die Welle ähnlich schlimm wie im Süden gekommen, hätten die Massnahmen wohl nicht gereicht.
So aber war Zeit für die neu gemischten Teams im Spital, sich zu finden und die Krankheit zu studieren. Im Positiven könnte man darin ein grosses Weiterbildungsprogramm sehen.
Doch das Negative überwiegt. «Beängstigend», nennt es der medizinische Direktor Eberhard, wenn selbst ansonsten gesunde U30-Jährige manchmal beatmet werden müssen. Viele Covid-19-Erkrankte müssen extrem lange beatmet werden.
Eine Patientin liegt seit zwei Monaten auf der Intensivstation. Das Virus ist überstanden, seine Folgen nicht. Eine Langzeitbeatmung hat immer Auswirkungen auf die Organsysteme, die Muskulatur. «Wir haben regulär fünf Beatmungsplätze. Wenn man drei solche Fälle hat, wird es schon schwierig», erklärt Klaus Lang (56), Chefarzt der Anästhesie und Intensivmedizin.
«Es ist noch nicht vorbei»
Ab dieser Woche soll Schaffhausen wieder im Vollbetrieb laufen. Doch das Hochfahren ist genauso schwierig wie das Runterfahren. Das Zauberwort «Schutzkonzepte» stellt wie jeden Coiffeur auch das Spital vor Herausforderungen. Wie muss ein Warteraum künftig aussehen? Kann man gleich viele Patienten in der gleichen Zeit durchschleusen? Wie schützt man alle bestmöglich, wenn jeder Besucher potenziell das Virus einschleppen kann?
Maximal ein Mitarbeiter hat sich bislang am Arbeitsplatz angesteckt, der Fall wird intern noch untersucht. Pfleger und Ärzte wissen, dass sie ihr Beruf besonders gefährdet. Umso rigider halten sie die Vorschriften ein.
Infektiologe und Spitalhygieniker Markus Schneemann (56), quasi der Daniel Koch Schaffhausens, ist hier noch mal besonders gefragt. «Es ist auch meine Aufgabe, alle daran zu erinnern: Es ist noch nicht vorbei!», sagt der Chefarzt der Inneren Medizin. Das heisst: Abstandhalten und konsequente Händehygiene. Ausserdem gilt innerhalb des Spitals die Maskenpflicht.
Spital ist für zweite Welle bereit
So, wie sie alle hier vor zwei Monaten auf die erste Welle geschaut haben, warten sie jetzt auf Montag. Dann wird nicht nur das Spital wieder zum Leben erweckt, sondern auch die Corona-Massnahmen werden schweizweit grossflächig gelockert.
Und was, wenn die zweite Welle kommt?
«Dann holen wir das Konzept wieder aus dem Schrank», sagt Intensivmedizinerin Nadine Gehring. Möglicherweise würden Details optimiert, erstmal zwei Isolierstationen eröffnet – und erst mit der Zeit eine dritte. «Aber grundsätzlich müssen wir das gleiche machen: Wir müssen wieder bereit sein, wir müssen wieder Kapazitäten schaffen», sagt Markus Eberhard. Einen Unterschied immerhin gibt es: Die Spitäler wissen besser, was auf sie zukommt.