Bürokauffrau Andrea Meier hat einen behinderten Sohn
«Ich will kein Mitleid, sondern einen Job!»

Stefan (17) ist schwer behindert. Seine Mutter möchte arbeiten. Sie glaubt, dass sie wegen der Behinderung ihres Sohnes keinen Job bekommt.
Publiziert: 12.04.2016 um 20:04 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 15:05 Uhr
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Stefan (17) ist schwer behindert. Seine Mutter Andrea (48) möchte arbeiten. Doch die Pflege des Sohnes braucht viel Zeit.
Foto: Toini Lindroos
Marlene Kovacs

Stefan (17) ist ein fröhlicher Bursche. Er lacht viel und wirkt glücklich. Jahrelang hat sich seine Mutter Andrea Meier-Campillo (48) aus Abtwil SG rund um die Uhr um ihren schwer behinderten Sohn gekümmert. Seit drei Jahren wohnt Stefan unter der Woche in einer Heil- und Bildungsstätte im Thurgau.

Seither sucht Meier einen Job für mindestens drei Tage pro Woche. «Ich würde so gerne wieder in einem Büro arbeiten, unter Leute kommen. Ausserdem möchte ich meinen Kindern wieder mal etwas gönnen können. Wir waren erst einmal richtig in den Ferien.»

Andrea Meier bewirbt sich immer wieder, ruft potenzielle Arbeitgeber an. Eine Rückmeldung bekommt sie nie. «Ich brauche wegen Stefan 13 Wochen Ferien im Jahr. Ich kann ihn nicht einfach irgendwo hingeben, weil er gepflegt werden muss. Ausserdem kann es immer vorkommen, dass ich ausfalle, weil etwas mit ihm ist. Ich bin ehrlich und sage es von Anfang an.»

Gearbeitet hat sie immer, auch vor der Scheidung. Oft in Aushilfsjobs oder auch mal als Putzfrau. Sie möchte wieder richtig arbeiten: «Ich will kein Mitleid, sondern einen Job.»

Zwei Anstellungen hat sie wegen Arztterminen ihres Sohnes verloren – einen Notfall kann es immer geben. So vor zwei Monaten: «Stefan ass plötzlich nichts mehr. Er musste notoperiert werden und wird nun durch eine Magensonde ernährt.»

Als er zur Welt kam, sagten die Ärzte: Sie haben ein gesundes Kind. Doch nach einem Jahr merkte die zweifache Mutter, dass mit ihrem jüngeren Sohn etwas nicht stimmt: «Er hatte Probleme mit der Motorik. War langsamer als die anderen.» Der Arzt machte Hoffnung, sagte, der Kleine werde sicher bald Fortschritte machen. Dazu kam es nicht.

Als Stefan vier Jahre alt war, wurde seine Behinderung offensichtlich. «Er hatte plötzlich Probleme mit dem Gehen. Seine Hände begannen sich nach innen zu krümmen.» Die Mutter suchte etliche Ärzte auf: «Niemand wusste, was genau los ist. Bis heute nicht.» Stefans Zustand verschlimmerte sich: Er konnte nicht mehr sprechen und gehen. Seit fünf Jahren sitzt er im Rollstuhl und verständigt sich mit einem Talker. Seine Mutter versteht ihn auch ohne elektronische Hilfe: «Ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit ihm. Ich weiss nicht, wie lange er noch leben wird, deshalb geniesse ich jeden Tag.»

Das Thema Behindertenbetreuung beschäftigt auch den Bundesrat. Im Dezember 2014 wurde ein Aktionsplan zur Unterstützung und Entlastung von pflegenden Angehörigen verabschiedet. Geprüft wird laut Bundesamt für Gesundheit, ob für längere pflegebedingte Abwesenheiten vom Arbeitsplatz ein Betreuungsurlaub mit oder ohne Lohnfortzahlung eingeführt werden soll.

Für Franziska Stocker (41) vom Verband Procap Schweiz ist klar: «Es wäre wichtig, dass Chefs mit betroffenen Angestellten eine flexible Regelung treffen würden. Das soziale Engagement der Arbeitgeber ist gefragt. Aber auch eine bessere Unterstützung von Seiten der Politik für eine Entlastung von Eltern mit Betreuungspflichten.»

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