Jurist zur Knast-Strafe für den Mühsam-Muslim von St. Margrethen
Wie hart ist das Urteil?

Zum ersten Mal muss ein Vater ins Gefängnis, weil er seine Tochter vom Schwimmunterricht fernhält. Die Massnahme könnte Schule machen, sagt ein Rechtsexperte.
Publiziert: 03.03.2016 um 17:54 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:30 Uhr
Der erste, und wohl nicht der letzte: Emir Tahirovic.
Foto: Screenshot SRF
Roman Rey

Der radikale Muslim Emir Tahirovic muss vier Monate ins Gefängnis, weil er seine 14-jährige Tochter nicht in den Schwimmunterricht schicken will. Das gab es in der Schweiz noch nie. Es ist eine ungewöhnliche Strafe, aber möglicherweise nicht die letzte dieser Art. «Das könnte ein Präzedenzfall sein», sagt der auf Strafrecht spezialisierte Rechtsanwalt André Kuhn (42). Eine Gefängnisstrafe könnte also auch anderen widerspenstigen Eltern drohen.

«Eine viermonatige, vollstreckbare Freiheitsstrafe ist eine harte Strafe», sagt der Experte. Bei Ersttätern werde eine Strafe in aller Regel auf Bewährung ausgesprochen. Bei Verletzungen der Schulpflicht wird man zuerst sogar nur verwarnt und dann gebüsst.

«Dass die Freiheitsstrafe vorliegend nicht auf Bewährung ausgesprochen wurde, zeigt, dass der Richter Herrn Tahirovic eine schlechte Legalprognose ausstellt.» Der Richter gehe also davon aus, dass die Freiheitsstrafe vollstreckt werden muss, um Herrn Tahirovic von weiteren Straftaten abzuhalten.

Rechtsanwalt André Kuhn.
Foto: ineo Rechtsanwälte

«Wir haben von Anfang an das Gespräch gesucht», sagte Schulratspräsident Roger Trösch in der «SRF»-Rundschau. «Der Vater ist allerdings nicht bereit, von seinem fundamentalistischen Islam abzuweichen.»

Die Strafe sei absolut nachvollziehbar, so Kuhn: «Auch die Religionsfreiheit hat ihre Grenzen». Man könne sich nicht sämtlichen Pflichten, wie etwa der Schulpflicht entziehen, indem man sich auf die Religionsfreiheit beruft.

In Basel werden jedes Jahr Eltern gebüsst

Bislang waren Bussen die härteste Strafe für Fälle dieser Art. Der Kanton Basel-Stadt etwa büsst seit 2010 Eltern, deren Kinder nicht am Schwimmunterricht teilnehmen. Gemäss Simon Thiriet vom Erziehungsdepartement Basel-Stadt gebe es jedes Jahr ein paar wenige solche Fälle. Eine Busse sei jedoch der letzte Ausweg. Zuerst werden andere Lösungswege wie das Tragen eines Burkini oder getrennte Duschen angeboten.

Im Kanton Zürich können Bussen von bis zu 5000 Franken ausgesprochen werden. Das kommt jedoch kaum vor, wie Lilo Lätzsch, Präsidentin des Lehrerinnen- und Lehrerverbands auf Anfrage sagt. Sie selber kenne keinen Fall.

Zum Strafbefehl gegen Emir Tahirovic sagt Lätzsch: «Es ist eine extreme Massnahme». Aber offenbar sei es das letzte Mittel gewesen, um den Mann zur Einsicht zu bringen.

Widerstand im Dorf

Wie die Staatsanwaltschaft St. Gallen auf Anfrage bestätigt, hat der Anwalt Tahirovics Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Der Salafist stellt sich nicht zum ersten Mal stur: Nationale Berühmtheit erlangte er, als er seine Tochter nur noch mit Kopftuch in den Unterricht liess. Die Schulleitung wehrte sich zwar dagegen, doch Tahirovic ging bis vors Bundesgericht – und bekam Recht. Auch vom Skilager hielt er seine Tochter fern.

Darauf wollte ihn seine Nachbarschaft loswerden. Eine Unterschriftensammlung, welche die Ausweisung der Familie Tahirovic fordert, wurde über 2000 Mal unterschrieben. Dem Familienvater wurde das Ganze offenbar zu viel: Er wolle so bald wie möglich aus St. Margrethen wegziehen, sagte er vergangenen Herbst.

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