Er musste wegen 6 Franken sterben

ERLEN TG – Fabio K.* (18) wird wegen 6 Franken erschossen: Ein Familienvater (45) richtet ihn kaltblütig.
Publiziert: 06.05.2008 um 11:06 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 21:31 Uhr
Von Corinne Landolt und Adrian Schulthess

Petra D.* sah den Mörder ihres Sohnes, schaute ihm in die Augen. «Er war ausser sich. Schrie wild herum.» Der 45-jährige Familienvater schiesst kurz zuvor Fabio (18) nieder. «Er zerrte ihn hinter die Garage und erschoss ihn», erzählt Petra D. geschockt.

Eine Bagatelle: So umschreiben die Freunde von Fabio K. (18) in Erlen TG den Grund für den fatalen Streit. Sie zittern, als sie davon erzählen: Wegen einer Bagatelle haben sie in der Nacht auf gestern ihren Freund verloren.

6 Franken. So viel schulden zwei Teenager einer Freundin von Fabios kleinem Stiefbruder Timon (13). Die vier Jugendlichen streiten sich deswegen am Sonntagabend auf dem Dorfplatz von Engishofen TG. Timon bekommt es mit der Angst zu tun, ruft seinen älteren Stiefbruder telefonisch zu Hilfe.

Es ist 20 Uhr, als Fabios Handy klingelt. Er ist mit Kollegen in seiner Wohngemeinde Erlen am Grillieren. Fabio zögert nicht, er will seinem kleinen Bruder helfen und auf dem Pausenplatz des Unterstufenschulhauses im Nachbarort Kümmertshausen die Sache regeln. Die Hilfe seiner Freunde lehnt er ab. «Fabio sagte noch: Es ist Bubi-Zeug, ein Streit unter Kleinen», erzählt ein Freund.

Da Fabio selbst nicht Auto fahren kann, bittet er seinen Freund Roger K., ihn dorthin zu bringen.
Was Familienmensch Fabio aber nicht ahnt: Ein Erwachsener hat sich in den Streit um die 6 Franken eingeschaltet – ein jugendlicher Schuldner hat seinen Vater zu Hilfe gerufen.

Der 45-Jährige steigt in seinen weissen Mercedes. Auf dem Beifahrersitz seine Frau. Die beiden fahren gegen 20.30 Uhr zum Schulhaus in Kümmertshausen. Dort warten bereits Fabio, Roger, Timon und dessen Kollegin.

Die Jugendlichen trinken sich offenbar Mut an, wie eine Anwohnerin des Schulhauses beobachtet. «Die beiden Älteren stiegen aus, tranken Alkohol aus der Flasche. Sie waren nervös.»

Kaum fährt der weisse Mercedes vor, steigt der 45-jährige Vater aus. Er trägt einen blauen Overall und schwarze Handschuhe. In seiner Hand einen Revolver. Wütend steuert er direkt auf Fabio zu, schubst ihn und schreit ihn an.

Bruder Timon und seine Kollegin rennen in Panik weg. Der 45-Jährige zerrt Fabio hinter die Garage des Schulhauses, hält ihm den Revolver an die Schläfe. Dann drückt er ab – ohne zu zögern. Der Knall schreckt ganz Kümmertshausen auf.

Der Vater flüchtet darauf mit seinem weissen Mercedes, kehrt aber wieder an den Tatort zurück. Dort liegt Fabio immer noch schwerverletzt am Boden. Inzwischen sind Polizei und Ambulanz eingetroffen – und Fabios Mutter
Petra D.

Der Mann, der ihrem Sohn eine Kugel in den Kopf jagte – er hat noch nicht genug. Als er zurückkommt, muss Petra D. miterleben, wie er ausrastet: «Er fluchte auf Hochdeutsch: ‹Ihr seid alle selber schuld. Es war Notwehr. Er hatte eine freche Schnauze.›»

Petra D. will auf den Mörder ihres Sohnes losgehen. Die Polizei hält sie zurück. Dann legen die Beamten dem Schützen Handschellen an und führen ihn ab. Ein Rega-Heli holt Fabio ab, bringt ihn ins Kantonsspital St. Gallen. Dort erliegt er Stunden später seinen schweren Kopfverletzungen.

«Fabio hatte keine Chance. Die Kugel hat seinen Kopf regelrecht durchbohrt. Er war nicht mehr ansprechbar», sagt seine Mutter am Tag danach verzweifelt. Sie kann das Ganze nicht verstehen. «Fabio war doch immer so hilfsbereit und friedliebend.»

Seine Freunde konnten nicht Abschied nehmen von ihm. Der Abend, der so friedlich mit einem Grillfest begann – er endete so tragisch. Sie sind immer noch geschockt. Ausgerechnet Fabio!

«Mit ihm konnte man nicht ernsthaft streiten. Ich versteh nicht, warum er nun auf diese furchtbare Art gehen musste», sagt ein 22-jähriger Freund.
Noch in der Tatnacht sind sie zum Schulhaus gefahren. Wo Fabio sein Leben lassen musste. Die Freunde inspizieren den Tatort hinter der Garage – wie sie es bei den Profis im Fernsehen gesehen haben. Und werden prompt fündig: «Die Patrone lag noch herum», erzählt ein Kollege.

*Name der Redaktion bekannt

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