Die Schande von St. Gallen
Kokain im Schoppen, Baby Samantha tot, Freispruch für die Mutter

Baby Samantha stirbt in St. Gallen durch Kokain im Schoppen. Das Gericht spricht die Mutter frei, obwohl sie «mit grosser Wahrscheinlichkeit» schuld ist.
Publiziert: 06.11.2012 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 12:24 Uhr
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Von Roland Gamp

Die kleine Samantha starb einen grausamen Tod. Das Baby erstickte. Drogen hatten die Atmung des Mädchens gelähmt. Heroin und Kokain – beides wurde Samantha mit dem Schoppen gefüttert.

Am 9. Mai 2009 gegen neun Uhr morgens hört Samanthas Herz auf zu schlagen. Sie war sieben Monate alt. Eine schlichte Grabplatte auf dem Friedhof Feldi in St. Gallen mahnt an eine Geschichte, die gestern vor dem Kreisgericht ihren tragischen Tiefpunkt erreichte.

Vor dem Richter stand O.* (25), die Mutter von Samantha. Die Büroangestellte, so glaubte die Staatsanwaltschaft St. Gallen, soll für den Tod ihres Babys verantwortlich sein.

Wie, das konnten die Ermittler allerdings nur bruchstückhaft erklären. So legte die Anklageschrift gleich drei Tatvarianten vor. Von Mord bis fahrlässiger Tötung – alles schien den Anklägern möglich.

Die Mutter des toten Babys hingegen sagte: «Ich habe das nicht gemacht. Meiner Tochter nichts verabreicht. Niemand tötet seine eigene Tochter. Sie ist doch meine kleine Samantha, mein eigenes Fleisch und Blut.»

Was war im Mai 2009 passiert? Die Anklage hält fest: O. hatte über die Internetplattform Facebook einen Mann kennengelernt. Da war O. schon schwanger. Der neue Liebhaber ist unzuverlässig, nimmt Heroin, Kokain und ist arbeitslos. Auch O. fängt an, Drogen zu konsumieren.

O., beschreiben die Ermittler, sei stark auf ihren Freund fixiert. «Besessen» nennen sie es. Immer mehr habe sie Baby Samantha als Hindernis für die Beziehung gesehen und die Kleine sogar weggeben wollen.

Für die Tatnacht hat die Staatsanwaltschaft drei mögliche Abläufe ermittelt. Mord: O. habe Samantha gegen 20 Uhr absichtlich Heroin und Kokain in den Schoppen gemischt. Das Baby dann schlafen gelegt. Die Nacht habe O. mit ihrem Freund verbracht. Am nächsten Morgen habe die Mutter das Baby laut schnarchen hören. Sie habe sich nicht um es gekümmert, weiter Hausarbeiten gemacht.

Vorsätzliche Tötung: O. will ihre Tochter nicht töten, sondern nur ruhig stellen. Fahrlässige Tötung: O. rutscht aus Versehen eine grosse Menge Heroin-Kokain-Gemisch ins Fläschchen. Beweisen können die Ankläger nichts davon.

Der Verteidiger von O. plädiert denn auch auf Freispruch. «Der Staatsanwalt hat überhaupt keine Beweise. Es könnte auch ein Unfall oder jemand anders gewesen sein. Zum Beispiel hatte der Freund auch ein Motiv. Der brauchte Geld für Drogen, aber dieses ging für Samantha weg», so Andreas Fäh.

Ausserdem hält die Verteidigung vor, am Schoppen seien keine Drogenspuren gesichert worden. Um 16.30 Uhr folgt das Urteil. Das Gericht zerpflückt die löchrige Anklage. Freispruch für O. «Mit grösster Wahrscheinlichkeit wurden die Drogen durch eine Handlung der Mutter aufgenommen. Aber die mangelnde Beweislage lässt nur einen Freispruch zu.»

O. verlässt das Gericht als freie Frau. Wer Baby Samantha auf dem Gewissen hat, bleibt unbeantwortet. Die Schande von St. Gallen.

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