Das Thurgauer Obergericht gab am Mittwoch einen schwerwiegenden Entscheid bekannt: Die Staatsanwaltschaft darf das Geständnis eines Angeschuldigten in einem Pädophilen-Fall nicht verwenden!
Der angeklagte Mann wurde wegen Verdachts der Schändung und der sexuellen Handlungen mit einem Kind verhaftet. Bei der ersten Einvernahme gab der Mann ein umfassendes Geständnis ab – er erhielt jedoch keinen Verteidiger. Das Geständnis legte er ohne Anwalt ab.
Anders bei der zweiten Befragung: Da hatte er einen Anwalt, der Angeklagte verweigerte jedoch jede Aussage. Die Anschuldigungen und das frühere Geständnis wollte er nicht kommentieren. Zusammen mit seinem Anwalt verlangte er darauf, dass die Protokolle beider Befragungen aus den Akten entfernt werden. Mit der Begründung, dass das Geständnis ohne Verteidigung «nicht verwertbar» sei. Die Staatsanwaltschaft sah das anders, weil es um die Aufklärung einer schweren Straftat gehe.
Sprachen-Widerspruch im Gesetz
Das Obergericht gab dem Angeklagten nun Recht! In Fällen der notwendigen Verteidigung sei eine Einvernahme absolut unverwertbar, wenn die Person auf der Anklagebank keinen Verteidiger hat. Das gelte unabhängig, wie schwer die Straftat sei.
Pikant: Die Frage, ob das Geständnis vor Gericht verwendet werden kann, ist durchaus umstritten. Grund dafür ist ein Widerspruch im Gesetz.
In deutscher und italienischer Sprache sagt die Strafprozessordnung, dass ein Geständnis nur dann «gültig» ist, wenn die beschuldigte Person auf eine Wiederholung der Einvernahme mit Verteidigung verzichtet. Anders jedoch im französischen Text: Dieser bezeichnet ein Geständnis als «unverwertbar», wenn der Verzicht auf eine Einvernahme-Wiederholung mit Anwalt fehlt.
Fall geht vors Bundesgericht
Ein grosser Unterschied. Das Obergericht entschied sich für die französische Variante. Begründung: «Gerade bei schweren Delikten könnte die Staatsanwaltschaft ansonsten versucht sein, die Vorschriften über die notwendige Verteidigung zu umgehen; sie könnte zunächst Beweise erheben, ohne die notwendige Verteidigung bestellt zu haben, und später argumentieren, es gehe um die Aufklärung schwerer Straftaten.»
Zu diesem Entscheid kam das Obergericht am 18. Mai. Laut Medienmitteilung ist es noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft will den Fall weiterziehen: Das Bundesgericht wird nun entscheiden müssen, welche Übersetzung des Gesetzesartikels gilt. (pma)