Darum gehts
- Solothurn ist statistisch kriminellste Stadt der Schweiz, Zustände besorgniserregend
- Kleinkriminalität führt zu unverhältnismässigem Aufwand für die Polizei
- Stadt will mehr Sicherheit schaffen, stösst aber bei einem Nationalrat auf Unverständnis
Der Fall Solothurn schockiert. Blick besuchte die statistisch kriminellste Stadt der Schweiz. Die Zustände sind besorgniserregend. Einbrüche, offener Drogenkonsum, Betteln, Dealen. Hinzu kommen Schlägereien und Messerstechereien.
Krass: 2023 wurde ein Schweizer im Raum Solothurn für rund 360 Straftaten angezeigt. Praktisch jeden Tag eine! Ein Jahr darauf wurden einer Person über 175 Straftaten zugeordnet. Diese Intensivtäter treiben die Statistik in die Höhe.
Einer dieser Wiederholungstäter sagte zu Blick, dass er «über 130 Delikte» schwer sei. «Man kann uns, wenn wir niemanden verletzen, laut Gesetz eh nicht lange im Knast behalten.» Und er erklärt: «Die paar Hundert Franken, die ich vom Staat kriege, reichen einfach nicht. Also breche ich alles auf, wo Geld oder verkaufbare Ware zu finden ist.» Ist die Justiz hier machtlos?
«Diese Delinquenz ist lästig»
Einer, der sich gut mit Kleinkriminellen auskennt, ist Andreas Fäh. Er ist Rechtsanwalt und Strafverteidiger bei der Anwaltskanzlei Grand & Nisple in St. Gallen. «Kleinkriminalität gab es schon immer. Diese Delinquenz ist vor allem lästig und die Geschädigten bekommen oft nur über die Medien Aufmerksamkeit», sagt er. Die Gründe für ein solches Leben seien vielfältig: «Drogenkonsum, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit oder mangelnde gesellschaftliche Einbindung sind die Grundproblematiken.»
Speziell die Beschaffungskriminalität sei gefährlich: «Wenn das erste Mal die Hemmschwelle überwunden ist und das schnelle ungefährliche Geld lockt, kann die Delinquenz schnell zur Gewohnheit werden.»
«Staatsanwaltschaft hätte die Möglichkeiten»
Dass viele Kleinkriminelle gefühlt eine Minute nach der Tat wieder auf freiem Fuss sind, hat einen Grund, sagt Fäh: «Wenn keine Untersuchungshaft angeordnet wird, kann weitergemacht werden.»
Härtere Strafen? Eher nicht, sagt Fäh: «Strafen führen nicht automatisch zum deliktfreien Leben.» Die Grundprobleme würden dadurch nicht gelöst. Für gewerbsmässigen Diebstahl sieht das Gesetz zwischen sechs Monate und zehn Jahre vor. «Die gesetzlichen Möglichkeiten für hohe Strafen wären gegeben. Ob das bei lästiger Kleinkriminalität zum Ziel führt, bezweifle ich.»
Der Intensivtäter von Solothurn lebt allerdings gefährlich. Die geschilderten Diebstähle könnten schnell zu gewerbsmässigem Diebstahl mit hohen Strafen werden, sagt Fäh: «Rechtlich hätte die Staatsanwaltschaft durchaus die Möglichkeiten, den Täter länger aus dem Verkehr zu ziehen.»
Auf Anfrage schreibt die Solothurner Staatsanwaltschaft: «Zum Umgang mit solchen kleinkriminellen Intensivtätern hat sich die Staatsanwaltschaft bereits eingehend in ihren letzten beiden Jahresberichten vernehmen lassen und die Schwierigkeiten und Herausforderungen aufgezeigt. Das Problem ist erkannt und benannt.»
«Ladendiebstahl kann Stunden in Anspruch nehmen»
Die lästigen Delikte, wie Fäh sie nennt, bereiten den Polizeien unverhältnismässig viel Aufwand. Milo Frey, Mediensprecher der St. Galler Kantonspolizei, sagt: «Bei einem geringfügigen Ladendiebstahl kann die Fallbearbeitung mehrere Stunden in Anspruch nehmen.»
Obendrauf kommen renitente und uneinsichtige Straftäter. Diplomatisch sagt Frey: «Für die Polizistinnen und Polizisten gehören solche Situationen zum Job. Dennoch können sie frustrierend sein, vor allem wenn die beschuldigten Personen erst ein Delikt begehen und sich danach auch noch respektlos gegenüber der Polizei verhalten.»
Klassische Musik am Bahnhof Solothurn – Nationalrat hat genug
Die Stadt Solothurn schreibt gegenüber Blick, dass sie die Sicherheitslage ernst nähme: «Die Stadt steht in engem Austausch mit der Kantonspolizei und weiteren relevanten Partnern und prüft laufend, welche Massnahmen kurz- wie auch längerfristig am wirkungsvollsten zur Sicherheit in der Stadt beitragen.» Vergangene Woche berichtete Tele M1, dass am Bahnhof Solothurn bald klassische Musik erklingen soll. Zur Abschreckung.
«Realsatire», sei das, sagt Remy Wyssmann (58, SVP). Der Solothurner Nationalrat arbeitet der zurzeit an einer parlamentarischen Initiative mit dem Arbeitstitel: «Serien-Kriminalität ist kein Kavaliersdelikt». Das Ziel: speziell Serien-Einbrecher und Wiederholungstäter einfacher wegsperren zu können.