Darum gehts
- Solothurn ist laut Statistik die kriminellste Stadt der Schweiz
- Intensivtäter und öffentlicher Drogenkonsum prägen das Stadtbild beim Bahnhof
- 2024 wurden 270 Straftaten pro 1000 Einwohner in Solothurn verzeichnet
Die Idylle trügt. Solothurn, die Kantonshauptstadt mit gut 17'000 Einwohnerinnen und Einwohnern, gilt zwar als schönste Barockstadt der Schweiz.
Aber zuletzt gab es aus der beschaulichen Stadt negative Schlagzeilen. Denn in den Seitengassen breiten sich Kriminalität und Drogenprobleme aus. Gemäss der Kriminalstatistik 2024 wurde Solothurn gar als kriminellste Stadt der Schweiz ausgewiesen, mit rund 270 Straftaten pro 1000 Einwohner.
Letzte Woche hatte der Gemeinderat eine dringliche Motion der FDP mit grosser Mehrheit angenommen. Darin wird eine «sofortige Verbesserung der Sicherheit» gefordert. Schon innert 30 Tagen sollen wirksame Schritte umgesetzt werden.
Kriminalität und Crack-Konsumenten
Blick hat sich vor Ort umgeschaut und festgestellt: In Solothurn geht die Angst um. Seit 2024 hat sich eine offene Drogenszene in Solothurn etabliert, insbesondere durch Crack-Konsumenten. Diese sind teils auch obdachlos, was zu Betteln, Dealen und Diebstählen führt.
Immer wieder – auch dieses Jahr – kommt es in Solothurn zu Schlägereien. Auch zu Messerstechereien. Oder vor ein paar Jahren gab es gar schon ein Toter beim Bahnhof.
Dabei fällt auf: Im Jahr 2023 wurde ein Schweizer im Raum Solothurn für rund 360 Straftaten angezeigt. Und im 2024 wurden über 175 Straftaten einer einzelnen Person zugeordnet. Diese Intensivtäter treiben die Statistik in die Höhe.
Die Hotspots befinden sich vor allem südlich der Aare. Konkret: am Bahnhof und bei den Plätzen in der Umgebung. Schon am Morgen sind dort Drogenkonsumenten und Randständige anzutreffen.
Crack-Pfeife vor Kindern geraucht
Blick geht zum Dornacherplatz. Hier raucht eine jüngere Frau in aller Öffentlichkeit eine Crack-Pfeife – während Mütter mit Kindern vorbeigehen. Auf einer Sitzbank einer Bushaltestelle zieht sich ein Drögeler weisses Pulver in die Nase. Öffentlich darüber reden, das möchte keiner der Passanten. Eine Frau sagt nur: «Es ist schlimm. Hier werde ich immer nach Geld gefragt.»
Viele Geschäftsinhaber wollen keine Stellung beziehen. Ausser Aiman Akid (41), der Inhaber von Amun Take-away: «Bei mir wurde in einem Jahr dreimal eingebrochen! Zudem wurden mir mal zwei Laptops aus dem Auto gestohlen.» Er findet, für die Läden sei es schwierig. Und er hoffe, dass die Polizei wieder mehr mache. Zu sehen ist am Tag des Blick-Besuchs ein einziges Polizeiauto – verlassen am Kreuzackerplatz.
«Man kann uns eh nicht lange im Knast behalten»
Ein Drögeler erklärt: «Die Polizei ist schon unterwegs. Vor allem in Zivil.» Er zeigt auf zwei Männer, die auffällig schauen und gleich weitergehen. «Scheiss Bullen!» Er weiss: «Sie machen auch nur ihren Job. Aber die Probleme hier können sie nicht lösen.»
Er ist selber ein Intensivtäter. «Den Schraubenzieher habe ich immer in meinem Hosensack dabei!», sagt er fast ein wenig stolz. Er sei selber «über 130 Delikte» schwer. «Man kann uns, wenn wir niemanden verletzen, laut Gesetz eh nicht lange im Knast behalten», sagt der Mann. Und: «Die paar Hundert Franken, die ich vom Staat kriege, reichen einfach nicht. Also breche ich alles auf, wo Geld oder verkaufbare Ware zu finden ist.»
«Das sollten Kinder natürlich nicht sehen!»
Drögeler Bruno R.* (57) ist mutig und zeigt sein Gesicht. Der Präzisionsschraubenmacher kam als Jugendlicher «mit den falschen Leuten» zusammen, nahm Haschisch und später Kokain. Seine Eltern hätten davon erfahren, «weil ich wegen Delikten ins Gefängnis kam». R. war auch in der offenen Drogenszene am berüchtigten Platzspitz in Zürich, 20 Jahre lang berufstätig und ist seit zehn Jahren Sozialhilfeempfänger.
R. ist über den öffentlichen Konsum nicht überrascht. Aber: «Das sollten Kinder natürlich nicht sehen!» Er selber habe den Drogenausstieg versucht. «Schwierig», sagt er. «Es liegt am Ende an einem selber. Man sollte einfach nie damit anfangen!»
Marlies Hächler (67) ist meist auf der Nordseite der Aare unterwegs und fühlt sich sicher. Aber sie sagt auch, dass sie abends nicht gerne Richtung Bahnhof gehe und sich «dort nicht sicher» fühle. «Dabei sollte man sich überall frei bewegen können – ohne Angst zu haben.»
Stadtpolizei überwacht Intensivtäter
Und was sagt die Stadtpolizei Solothurn? Kommandant Walter Lüdi spricht davon, dass Solothurn Kantonshauptstadt sei und eine Zentrumsfunktion habe. «Arbeitsplätze, Freizeitangebote und Pendlerverkehr führen dazu, dass sich Delikte stark im Stadtgebiet konzentrieren.» Dies führe statistisch dazu, dass die Häufigkeitszahl im Vergleich zu anderen Gemeinden hoch sei.
Und: Wie in den Vorjahren seien auch 2023 und 2024 wenige Intensivtäter für einen erheblichen Teil der registrierten Straftaten verantwortlich. Lüdi: «Die meisten Delikte betreffen Vermögensdelikte, insbesondere Einbrüche sowie Laden- und Fahrraddiebstähle.» Der Stapo-Chef betont: «Intensivtäter werden gemeinsam mit anderen Behörden fokussiert überwacht und verfolgt, um die Sicherheitslage nachhaltig zu verbessern.»
Ob dies aber reicht?
* Name bekannt