Mit Detektiven gegen verbotene Liebe
Kataris wollten lesbische Tochter aus der Schweiz zurückholen

Eine junge Frau aus Katar setzt sich auf einer Ferienreise in der Schweiz von ihrer Familie ab, um künftig mit ihrer Freundin leben zu können. Die Eltern versuchen mit allen Mitteln, die Tochter zurückzuholen und die lesbische Liebe zu unterbinden.
Publiziert: 31.05.2025 um 15:24 Uhr
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Aktualisiert: 31.05.2025 um 22:08 Uhr
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Wie aus einem modernen Märchen: Doha, die Hauptstadt Katars.
Foto: Shutterstock

Darum gehts

  • Katarische Frau flieht in die Schweiz, um zur Partnerin ins Ausland zu fliehen
  • Familie setzt Privatdetektive ein, um die Tochter zurückzuholen
  • Homosexualität ist in Katar verboten und wird bestraft
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Andreas SchmidInlandredaktor

Es ist ein trüber, regnerischer Tag im Dezember 2024. Ungastlich wirkt auch die Altbauwohnung irgendwo in der Deutschschweiz. Verdrückt in einer Ecke sitzt eine Frau Mitte 20.

Misstrauisch betrachtet sie den Reporter. Ängstlich. Mit leiser Stimme beantwortet sie die Fragen. Im Gespräch – auf Englisch geführt – setzt sich ihre Geschichte zusammen. Puzzleteil für Puzzleteil.

Die junge Frau ist hier untergetaucht. Ihren Namen gibt sie nicht preis. Sie hat sich auf einer Ferienreise in der Schweiz von ihrer Familie abgesetzt. Zu Hause in Katars Hauptstadt Doha hat sie ihre Flucht vorbereitet. Mithilfe einer Schutzorganisation versteckt sie sich wochenlang in der Schweiz.

Reich, aber unglücklich

Der Vater gehört in Doha zur Elite, die Familie mit fünf Kindern – drei Töchtern, zwei Söhnen – ist angesehen und kann sich ein luxuriöses Leben leisten. Doch es darf nicht sein, dass sich die älteste Tochter zu einer Frau hingezogen fühlt. «Dass ich lesbisch bin, ist inkompatibel mit dem Lebensstil meiner Familie», sagt die ehemalige Studentin an der Universität von Doha.

2021 habe sie über die Social-Media-Plattform Discord eine Frau aus Übersee kennengelernt, mit der sie sich ausgetauscht habe, der sie zunehmend nähergekommen sei und in die sie sich schliesslich nach der Flucht verliebt habe, sagt die Katarerin.

Homosexualität ist in Katar verboten. Gleichgeschlechtliche Paare, die sich in der Öffentlichkeit zeigen, werden im Wüstenstaat bestraft.

Sie habe mit ihrer Freundin Zukunftspläne geschmiedet, die nicht vereinbar gewesen seien mit den Moralvorstellungen ihres Umfelds, sagt die Frau.

Autofahren untersagt

Wie hätte eine Familie, die ihrer Tochter Sporttreiben nur auf separaten, abgeriegelten Plätzen erlaubte und ihr das Autofahren untersagte, deren lesbische Beziehung tolerieren sollen? «Auto fahren liess mich mein Vater nicht, weil er es für Frauen nicht angebracht fand», erzählt die Tochter. Er habe begründet: «Frauen sind zu emotional dafür.»

Mit Gleichaltrigen auszugehen, sei ihr ebenfalls nicht gestattet worden, nur in der Schule, an organisierten Freizeitkursen und später an der Universität habe sie sich ausserhalb der Familie bewegen können.

Träume von Freiheit

Weil sie im Austausch mit ihrer Partnerin erfahren habe, wie andere frei und ohne solche Schranken leben können, sei sie «zunehmend frustriert» gewesen. Umso mehr, als die Hoffnungen, einvernehmlich aus der eigenen starren Welt ausbrechen zu können, an der Realität zerbrochen seien.

Die junge Frau spricht auch darüber, wie ihre Cousine im Alter von 17 Jahren zwangsverlobt worden sei. Und dass auch ihr selbst 2025 eine arrangierte Heirat gedroht habe.

«Hilf mir», habe sie ihrer Freundin eines Tages geschrieben, berichtet die Frau am Schweizer Zufluchtsort, in der tristen Wohnung in einem Familienquartier. Ohne sich je gesehen zu haben, beschliessen die beiden, zusammenzukommen.

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Bruch mit der Familie

Ihre Familie weiht die Abtrünnige nicht ein, die Eltern, die beiden Schwestern und die zwei Brüder informiert sie nicht über die Gründe. Sie habe eine gute Beziehung zu den Geschwistern gehabt, ihre Eltern geliebt, sagt die Frau. «Aber es war unmöglich, ihnen die Absichten darzulegen.» Denn die Regeln seien klar: «Homosexualität geht nicht.» Die Reputation der Familie stehe auf dem Spiel.

Zum Gewissenskonflikt hinzu kommt für die junge Frau die drastische Konsequenz, mit der Familie zu brechen. Es sei deshalb enorm schwierig und langwierig gewesen, sich dazu durchzuringen, sagt sie. «Doch ich hatte keine andere Wahl.»

Heikler Plan

Über Monate berät das Chat-Paar, wie und wann die Flucht geschehen soll und wo das Paar ein neues Leben beginnen kann. Eine Ferienreise der katarischen Familie in die Schweiz Ende 2024 öffnet der ältesten Tochter schliesslich das Tor. Deren Partnerin organisiert aus der Ferne das Abtauchen in der Schweiz.

So sitzt die junge Frau an diesem trüben Dezembertag verloren in einer Wohnung in der Deutschschweiz. Die Familie ist zurück in Katar, versucht aber weiterhin alles, um die verlorene Tochter zurückzuholen.

Nach dem Verschwinden der Ältesten hat der Vater die Polizei eingeschaltet, um nach ihr suchen zu lassen. Weil die erwachsene Frau aus eigenen Stücken geflohen ist, hat diese aber keinen Anlass, eine Fahndung einzuleiten. Auch die Forderung der Familie, den Pass der Tochter sperren zu lassen, ist rechtlich haltlos.

Mit Anwälten und Privatdetektiven

Bald kontaktieren aber Anwälte der Eltern Behörden in der Schweiz, Privatdetektive spionieren der untergetauchten Frau nach. Weil sie und ihre Freundin im Internet viele Spuren hinterlassen haben, haben die Verfolger einige Informationen über die Fluchtpläne, kennen elektronische Kontakte und Angaben zu Vertrauten. Die Observationen verängstigen die Frau.

Zu ihrem Schutz erzählt Blick ihre Geschichte erst jetzt, lange nachdem sie die Schweiz verlassen hat und mit ihrer Partnerin weit weg in Sicherheit lebt. In den ersten Wochen nach der Ausreise hätten auch im Ausland Privatdetektive im Umfeld des Paars geschnüffelt, sagt eine Eingeweihte. «Die Familie lässt ihre Tochter nicht los.» Deren Schritt in eine andere Welt lasse sich nicht mit dem Stolz eines angesehenen Clans in Katar vereinbaren.

Langer Arm Katars

Sie wolle künftig nicht in einem Land leben, in das der lange Arm Katars hineinreiche, sagt die Flüchtende. Im Bewusstsein, dass der Abschied für immer ist. Von der Familie, vom Zuhause, vom Heimatland. Eine Versöhnung mit den Liebsten werde es nicht geben, zu stark seien Traditionen, Werte und Prinzipien zementiert, sagt die Frau mit zittriger Stimme.

Dass ihre Liebe im Internet entflammt und im wahren Leben noch wenig geprüft ist, lässt sie nicht zweifeln. Der lange und harte Weg zur Partnerin sowie der gemeinsam umgesetzte Plan gäben ihr die Gewissheit, dass ihr Entschluss richtig sei, sagt die Katarerin.

Dennoch habe sie hin und wieder Bedenken und räumt ein: «Es ist gefährlich, was ich mache.»

Noch ist ihr Leben in Freiheit nicht unbeschwert.

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