Hochschulabschluss – und trotzdem auf Jobsuche
«Ich habe rund 160 Bewerbungen geschrieben»

Sie sind jung, gebildet – und finden keinen Job: Momentan ist es für Hochschulabsolventinnen und -absolventen besonders schwierig, in die Berufswelt einzusteigen. Nur: Warum?
Publiziert: 11:53 Uhr
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Aktualisiert: 12:54 Uhr
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Für Hochschulabsolventinnen und -absolventen ist der Berufseinstieg gerade schwierig. Im Bild: Die Polyterrasse der ETH.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Arbeitsmarkt angespannt: Hochschulabsolventen haben Schwierigkeiten beim Berufseinstieg
  • Künstliche Intelligenz könnte zukünftig Einstiegsjobs für Hochschulabsolventen beeinflussen
  • Erwerbslosenquote der Hochschulabsolventen stieg von 2,7% auf 3,2% zwischen 2021–2023
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sara BelgeriRedaktorin

Pascal M.* (30) glaubte, er finde nach dem Studium schnell einen Job. Schliesslich war er mit Abschlüssen von zwei Deutschschweizer Universitäten bestens aufgestellt: Im Bachelor hatte er Biologie studiert und sich im Master in Ökologie vertieft. Sein Doktorat in Geografie schloss er mit magna cum laude ab, der zweithöchsten Bewertung. Nun aber, rund zwei Jahre danach, ist er ernüchtert. «Ich habe rund 160 Bewerbungen geschrieben.»

Nach langer Suche fand er wenigstens ein Praktikum. «Aber der Lohn ist mies, und es ist nicht in dem Bereich, in dem ich arbeiten will.» Zuvor war er acht Monate lang beim RAV gemeldet. Ende Jahr läuft sein Vertrag aus. Aussichten auf eine Festanstellung hat er nicht.

Berufseinstieg? Schwierig

Wer jung ist und in die Berufswelt einsteigen will, muss sich derzeit gedulden. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist angespannt. Der Swiss Job Market Index des Personaldienstleisters Adecco und der Universität Zürich (UZH) zeigt: Heute werden 3 Prozent weniger Stellen angeboten als in der Vorjahresperiode. Besonders betroffen sind Hochschulberufe im IT-Bereich, Jobs in der Sachbearbeitung, in der Verwaltung und KV-Stellen.

Auch wer einen Uni- oder Fachhochschulabschluss vorweisen kann, bleibt von der Flaute nicht verschont. Laut Bundesamt für Statistik stieg die Erwerbslosenquote von Hochschulabsolventinnen und -absolventen zwischen 2021 und 2023 von 2,7 auf 3,2 Prozent. Und aktuelle Zahlen des Seco zeigen: Im Vergleich zum Vorjahr waren im August rund 4 Prozent mehr Akademiker unter 30 Jahren beim RAV gemeldet.

Unter- oder überqualifiziert

Blick sprach mit einer Politikwissenschaftlerin, die ihren Master an der Uni Zürich im Sommer 2023 abgeschlossen hat. Bis März absolvierte die 30-Jährige, die ihren Namen nicht gedruckt sehen möchte, ein einjähriges Verwaltungspraktikum, seitdem ist sie auf Jobsuche – bislang ohne Erfolg. «Ich bin offen für verschiedene Bereiche, aber momentan gibt es kaum Einstiegspositionen», sagt sie. Entweder sei sie für die ausgeschriebenen Praktika zu hoch qualifiziert, oder man suche Fachspezialistinnen und Führungskräfte, die mehr Berufserfahrung mitbringen als sie.

Auf die wenigen Jobs, die übrig bleiben, bewerben sich viele. Auch von Recruitern hörte die junge Politologin Ähnliches. «Einer hat mir gesagt, dass er noch nie so viele Bewerbungen erhalten habe.» Bei einer Stelle, auf die sie sich bewarb, hätten sich in wenigen Tagen 95 Kandidaten gemeldet.

Wenig Einstiegsstellen

Gerd Winandi-Martin leitet das Karrierezentrum der Hochschule St. Gallen (HSG) und beobachtet diese Entwicklung seit einiger Zeit. «Wir stellen eine zunehmende Nachfrage nach Einzelberatungen und Karriereworkshops fest», erklärt er. Zugleich sehe man auf der HSG-Karriereplattfom, dass die Zahl der Stelleninserate zurückgehe: «Das Angebot an Praktika und Einstiegspositionen ist – verglichen mit anderen Jahren – nicht so stark ausgeprägt.»

Auch die generelle Lage ist laut Winandi-Martin angespannt. «Der Arbeitsmarkt ist derzeit herausfordernder.» Während im Blue-Collar-Bereich, also in Handwerk und Industrie, nach wie vor Fachkräfte gesucht würden, habe der Wettbewerb um Büroangestellte, sogenannte White-Collar-Jobs, deutlich abgenommen.

Winandi-Martins Beobachtungen decken sich mit den Zahlen des Netzwerks der Schweizer Uni-Karrierestellen, das monatlich erfasst, wie viele Stellen auf den Jobplattformen von 15 Schweizer Hochschulen ausgeschrieben werden: Von April bis Juni waren es 17 Prozent weniger als 2024, im gleichen Zeitraum 2023 sogar 31 Prozent.

Angespannte Wirtschaftslage

Dies sei auch der Konjunkturlage geschuldet, sagt Edgar Spieler von der Outplacement- und Karriereberatungsfirma von Rundstedt. Er verweist auf die Zollpolitik der USA, die Aufwertung des Frankens gegenüber dem Dollar oder die schleppende Wirtschaftsentwicklung in der EU. Dass Berufseinsteiger stärker betroffen sind, liege auch daran, dass Unternehmen bei Unsicherheit zurückhaltender rekrutierten. «Bevor sie Personal entlassen, verhängen viele zunächst einen Einstellungsstopp.»

Aber es gibt auch gute Nachrichten für junge Jobsuchende: Sie sind zwar die Ersten, die von einer schwächeren Konjunktur betroffen sind – sie profitieren aber auch am ehesten, wenn die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt.

Diese Rechnung enthält jedoch eine neue grosse Unbekannte: die künstliche Intelligenz.

Arbeitsmarktexperte Spieler geht davon aus, dass KI in Zukunft vor allem Aufgaben mit überschaubarer Vielfalt und Komplexität übernehmen wird. «Das betrifft in erster Linie Berufseinsteiger, weil es genau diese Aufgaben sind, die traditionell am Anfang einer Laufbahn stehen.»

Stimmen aus den USA, wo die Arbeitslosenquote von Hochschulabsolventen zuletzt markant gestiegen ist, deuten in dieselbe Richtung. So prophezeite Dario Amodei, Chef des KI-Unternehmens Anthropic, in einem Interview, dass 50 Prozent der Einstiegsjobs für Hochschulabsolventen in den nächsten fünf Jahren wegfallen und die Arbeitslosenquote auf bis zu 20 Prozent ansteigen könne.

KI im Schweizer Arbeitsmarkt

Und wie sieht es in der Schweiz aus? Bislang hat kein Unternehmen offen bestätigt, wegen KI weniger Arbeitskräfte eingestellt zu haben. Klar ist aber: Viele Betriebe setzen zunehmend auf Automatisierung. Der Swiss Job Market Index macht für den Rückgang bei Informatik-Hochschulberufen bereits diesen Trend und den wachsenden Einsatz von künstlicher Intelligenz verantwortlich.

Arbeitsmarktexperte Spieler indes warnt vor Panikmache: Er glaubt nicht, dass Schweizer Unternehmen wegen KI auf Nachwuchs verzichten werden. Denn: «Auf Dauer brauchen Firmen junge Talente, allein schon wegen des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels.»

Pascal M. gibt noch nicht auf. «Wenn ich für ein Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, bin ich meistens in die nächste Runde gekommen.» Der 30-jährige Akademiker ist fest davon überzeugt, dass es die Stellen, die er mit Leidenschaft ausfüllen würde, irgendwo gibt. Für einen solchen Job wurde er vor kurzem zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.

Noch hat er ihn nicht, aber demnächst darf er dort schon mal auf Probe arbeiten.

* Name geändert

«Es gibt nie eine Begründung, sondern immer nur die gleiche Antwort»
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Marcel Kölliker:«Bekomme immer die gleiche Antwort»
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