Darum gehts
Inmitten des Luxuskurorts St. Moritz lebt der wohl bekannteste Messie der Schweiz: Adolf Haeberli, der am Dienstag seinen 91. Geburtstag feiert. In seiner legendären «Villa heb di fest» – dem Elternhaus von Haeberli aus dem Jahr 1928 – empfing er so manchen Journalisten und präsentierte sein langjähriges Chaos: Das Dorforiginal bewegte sich in seiner Wohnung zwischen einem Meer aus Abfall und alten Zeitungen, die er alle noch lesen wollte und deshalb nicht wegwarf. Über den Quergeist entstand im Jahr 2019 gar eine Doku: «Haeberli». Das Werk von Regisseur Moritz Müller-Preisser wurde zum Kinohit, der zahlreiche internationale Preise einheimste.
Doch vor wenigen Tagen dann die erschütternde Nachricht aus St. Moritz an die Blick-Redaktion: Haeberli, der belesene Freigeist und gemäss Gemeindepräsident «Ehren-Wutbürger», soll tot sein! So heisst es: «Adolf Haeberli hat einen Herzinfarkt erlitten und ist von der Bildfläche verschwunden.» Und: Vor seiner Villa sollen sich Entsorgungsteams und Handwerker zu schaffen machen. Ein Telefonanruf bei den Nachbarn des Greisen lässt Böses ahnen: «Der ist gestorben», heisst es. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger.
Medizinischer Notfall
Als Blick beim Engadiner Lebenskünstler anklopft, öffnet Haeberlis Anwalt die Tür sperrangelweit. Haeberli sitzt auf einem Sessel, seine Augen aber sind hellwach. «Äusserst interessiert» sei er an einem Interview, sagt er. Und legt gleich los: «Es ist nicht das erste Mal, dass man mich für tot hält! Es gab mal einen, der hiess genau gleich wie ich. Ein Metzger. Als der starb, dachten auch alle, ich sei tot.» Er erhebt seinen knorrigen Zeigefinger: «Totgesagte leben länger!»
Dass es bei Haeberli im Wohnzimmer bei einem solch morbiden Thema so lustig zugehen kann, hat einen einfachen Grund: «Meine Schwester sagte mir einmal: ‹Britischer Humor ist ja gut und recht, aber deiner ist schwärzer als Schwarz!›»
Adolf Haeberli wurde 1934 in der «Villa heb di fest» in St. Moritz geboren. Er war der Sohn einer Nobel-Coiffeuse und arbeitete in ihrem Salon mit. Der belesene Mann spricht sechs Sprachen. Auf die Frage, ob er etwas in seinem Leben bereut, sagt er: «Ich hätte mich mehr auf die Buchhaltung im Salon konzentrieren und weniger Karl May lesen sollen!»
2020 erschien der liebevoll gemachte Dokumentarfilm «Haeberli» des deutschen Regisseurs Moritz Müller-Preisser. Dieser gewährte einen ungefilterten Blick in das Leben des alten Mannes und machte ihn schlagartig bekannt. Zeitungen und Fernsehstationen wollten alle über ihn berichten. «Das sympathische Männlein wurde über Nacht zum Medienstar», schrieb beispielsweise die «Schweizer Illustrierte». Doch wie kam es überhaupt zu seiner «Sauordnung» in der Wohnung?
Als 2006 Haeberlis Mutter verstarb, hörte er auf, aufzuräumen. «Davor war ich der ordentlichste Mensch.» Noch bis vor ein paar Wochen stapelten sich in seinem Wohnzimmer Zeitungen bis zum Fenstersims. 100'000 davon waren es einmal. Das Chaos wuchs ihm sprichwörtlich über den Kopf: «Ich bin mit dem Kopf an diese Lampe angekommen», sagt Haeberli und zeigt auf die Mitte des Wohnzimmers. «Ich wollte in den Zeitungen eigentlich noch Artikel lesen. Ich hätte aber besser nur die Artikel behalten, und nicht die kompletten Zeitungen!»
Adolf Haeberli wurde 1934 in der «Villa heb di fest» in St. Moritz geboren. Er war der Sohn einer Nobel-Coiffeuse und arbeitete in ihrem Salon mit. Der belesene Mann spricht sechs Sprachen. Auf die Frage, ob er etwas in seinem Leben bereut, sagt er: «Ich hätte mich mehr auf die Buchhaltung im Salon konzentrieren und weniger Karl May lesen sollen!»
2020 erschien der liebevoll gemachte Dokumentarfilm «Haeberli» des deutschen Regisseurs Moritz Müller-Preisser. Dieser gewährte einen ungefilterten Blick in das Leben des alten Mannes und machte ihn schlagartig bekannt. Zeitungen und Fernsehstationen wollten alle über ihn berichten. «Das sympathische Männlein wurde über Nacht zum Medienstar», schrieb beispielsweise die «Schweizer Illustrierte». Doch wie kam es überhaupt zu seiner «Sauordnung» in der Wohnung?
Als 2006 Haeberlis Mutter verstarb, hörte er auf, aufzuräumen. «Davor war ich der ordentlichste Mensch.» Noch bis vor ein paar Wochen stapelten sich in seinem Wohnzimmer Zeitungen bis zum Fenstersims. 100'000 davon waren es einmal. Das Chaos wuchs ihm sprichwörtlich über den Kopf: «Ich bin mit dem Kopf an diese Lampe angekommen», sagt Haeberli und zeigt auf die Mitte des Wohnzimmers. «Ich wollte in den Zeitungen eigentlich noch Artikel lesen. Ich hätte aber besser nur die Artikel behalten, und nicht die kompletten Zeitungen!»
Vor bald zwei Monaten hatte das Dorforiginal einen medizinischen Notfall. «Ich wurde ins Spital überführt.» Ob es nötig gewesen ist, dass er mit der Ambulanz geholt wurde, stellt er jetzt noch infrage. Aber: «Ich hatte schon immer ein schwaches Herz, wie meine Mutter auch.»
Jetzt sitzt er in seinem frisch aufgeräumten Wohnzimmer, in dem er sich einst auf einem meterhohen Stapel Zeitungen bettete und darauf schlief.
Sieben Arbeiter mussten her
«Ich bin wahnsinnig schwach geworden. Ich bin selbst erstaunt darüber», sagt Haeberli. Nachdenklich fügt er an: «Aber mit bald 91 Jahren muss man sich nicht wundern.»
In seiner Abwesenheit wurde die Wohnung komplett geräumt. Eine Entscheidung seines Anwalts, seines administrativen Beistands und auch ein bisschen von ihm selbst. Schon mehrfach gab Haeberli an, aufräumen zu müssen. Im psychiatrischen Befund nach seiner Einlieferung ins Spital steht: «Inzwischen hat er erkannt, dass man eine Zeitung nicht nur lesen, sondern auch entsorgen muss.» Der Befund zeigt aber auch: Haeberli ist nach wie vor vollständig selbst handlungsfähig.
Ein bisschen war die Räumerei aber auch Zwang: Die Kesb hätte ihn nach dem Spitalaufenthalt wohl nicht mehr in einer solchen Wohnung leben lassen, lässt Haeberli durchblicken. So arbeiteten sieben Arbeiter sieben Tage lang, um seine Wohnung in der «Villa heb di fest» zu entrümpeln. Sie ist kaum wiederzuerkennen.
Knatsch mit der Gemeinde
Noch etwas zum besonderen Namen der Villa: Die heisst so, weil das Gebäude anfing zu rutschen, als die Gemeinde in den 80er-Jahren das Parkhaus Quadrellas baute. Seitdem wird das Haus, das zur Mehrheit Haeberli gehört, mit Stahlträgern und -seilen im Lot gehalten. Tiefe Risse ziehen sich durch die Fassade.
Juristisch ist der Fall abgeschlossen – aber nicht für den «Ehren-Wutbürger»: Seit Jahren deckt er nicht nur die Gemeinde, sondern auch Staatsanwaltschaft, Polizei und Gerichte mit Briefen ein und wittert Betrügereien am Laufmeter. Antwort bekommt er selten, so macht er seinem Ärger bei den Gemeindeversammlungen lautstark Luft, wo seine Voten alljährlich ein Highlight sind.
Beim Besuch von Blick erzählt Haeberli stolz, dass er «übrigens mehrfacher Weltrekordhalter» sei. «Mit 88 Jahren habe ich noch selbst das Dach vom Schnee befreit!» Und beim Cresta Run, einer Vorläufer-Art des heutigen Skeleton, habe er ebenfalls Geschichte geschrieben. «Mit 90 Jahren bin ich in einer Kurve rausgeflogen!» Er lacht ein kehliges, ansteckendes Lachen, das aber schnell einem kleineren Hustenanfall weichen muss.
Weitere Ziele im Leben
Jetzt haust Haeberli zum ersten Mal seit über 15 Jahren in einer aufgeräumten Wohnung. Am 11. November feiert er seinen 91. Geburtstag und will passend dazu eine Stiftung ins Leben rufen, die sich für bezahlbaren Wohnraum für Einheimische in St. Moritz auf die Fahne schreibt – die Stiftung «Haus zur Flora». Blick weiss: Geld ist reichlich da.
Ob er nicht verärgert sei, dass sein liebgewonnenes Chaos in seiner Abwesenheit verschwunden ist? Haeberli grinst unter seinem Rauschebart und entgegnet auf Rätoromanisch: «Che voust fer, cunter il vent nu poust pischer. Was willst du machen, gegen den Wind kannst du nicht brünzeln!»