Ausnahmezustand am Mittelweg in Trimmis GR. Rentner Emil Bizenberger (74) kämpft seit 22 Jahren gegen Nachbarn und Behörden. Die Anwohner im Quartier müssen sein Grundstück passieren, damit sie ihre Häuser erreichen. Ihr Fahrwegrecht ist juristisch stichfest. Nur Bizenberger ist anderer Meinung. Er verteidigt die Zufahrt mit Gewalt und radikalisiert sich zunehmend. Der Rentner geht sogar mit Pfefferspray gegen Kinder und Rollstuhlfahrer vor (BLICK berichtete).
Vor zwei Wochen sprühte er gezielt mit dem Reizstoff um sich – und trifft seinen Nachbarn Mathieu G.* (41), dessen Frau und ihre gemeinsame knapp zweijährige Tochter. Als der im Rollstuhl sitzende Schwager L.* dazwischengehen will, bekommt auch er eine Ladung ab. Rechtsanwalt Diego Quinter, der den Schwager vertritt, ist besorgt: «Die Behörden dürfen nicht länger zusehen. Dieser Mann ist eine tickende Zeitbombe.»
Gutachter attestieren gänzliche Unzurechnungsfähigkeit
Damit hat er wohl recht. BLICK liegen Auszüge aus zwei psychiatrischen Gutachten über Bizenberger vor. Die Ärzte stellen die gleiche Diagnose: «Er leidet an einer anhaltenden wahnhaften Störung.» Bezogen auf den Quartierstreit attestiert man ihm sogar eine gänzliche Unzurechnungsfähigkeit.
Für das ältere Gutachten vom 5. Januar 2005 wurde Bizenberger befragt. Der Psychiater kommt zum Schluss, «dass medizinisch-psychiatrisch Indikationen für eine therapeutische Behandlung vorliegen». Das sei aber schwierig, da ihm jede Krankheitseinsicht fehle.
Die bange Frage: Muss erst etwas Schlimmes passieren?
Das zweite Gutachten vom 11. April 2016 basiert auf Akten, da Bizenberger die Mitarbeit verweigerte. Darin steht: «Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat sich die Störung verfestigt und zu einem ausgeprägten Wahnsystem entwickelt.» Laut Gutachter können ausgeprägte Wut und gewalttätiges Verhalten auftreten.
Rechtsanwalt Hermann Just vertritt seit Jahren Parteien, die sich gegen den Querulanten wehren. Er kritisiert den Umgang der Behörden mit den Gutachten: «Weil Bizenberger als unzurechnungsfähig gilt, wird er strafrechtlich nicht belangt. Er hat eine Carte blanche.» Ihn ärgert, «dass trotz Radikalisierung keine neue Begutachtung angeordnet wird». Die verängstigten Nachbarn sehen im Zugriff der Behörden den letzten Ausweg.
BLICK wollte von der Staatsanwaltschaft Graubünden wissen, ob erst etwas Schlimmes passieren muss, damit Bizenberger behandelt wird? Man äussert sich nicht zum längst bekannten Fall. «Das aktuelle Verfahren ist noch zu wenig weit fortgeschritten», so die Begründung.
Psychiater empfiehlt Zwangsmedikation
Auch der forensische Psychiater Ralph Aschwanden sieht akuten Handlungsbedarf. Er äussert sich unabhängig zum Fall: «Wenn der Nachbar als wahnhaft und gefährlich, aber als unzurechnungsfähig gilt, muss man ihn behandeln», sagt er. «Auch gegen seinen Willen, etwa mit Zwangsmedikation oder einer Platzierung fern vom Zentrum seines Wahngebildes.»
Aschwanden sieht zwei Optionen: «Entweder man erreicht strafrechtlich eine stationäre therapeutische Massnahme oder zivilrechtlich eine fürsorgerische Unterbringung.» Er erklärt: «In solchen Fällen wird die Verhältnismässigkeit geprüft. Tätlichkeit, leichte Körperverletzung und Nötigung reichen meist für die genannte zivilrechtliche Massnahme, nur wenn es wiederholt ausartet für die strafrechtliche.»
Er rät Betroffenen deshalb: «Lasst euch nicht einschüchtern und wehrt euch mit der nötigen Vorsicht. Wenn alle sich zurückziehen, machen die Behörden nichts, und es geht so weiter.»
«Eine unbehandelte wahnhafte Störung ist sehr gefährlich»
Da sich die Situation immer mehr zuspitzt, empfiehlt Aschwanden eine stationäre Begutachtung in einer Klinik oder im Untersuchungsgefängnis: «Eine unbehandelte wahnhafte Störung ist als sehr gefährlich einzuschätzen und sehr unangenehm.» Er betont: Eine freiwillige ambulante Begutachtung sei bei einer wahnhaften Störung, wo jegliche Einsicht fehlt, gar nicht möglich und soll gar nicht erst versucht werden.
In der Schweiz setzen immer mehr Polizeikorps auf Software, die gefährliche Personen frühzeitig erkennt. Diese Risikoprofile basieren auf festen Algorithmen. Die Resultate werden in einer Gefährder-Datenbank gespeichert. So sollen Gewalttaten präventiv verhindert werden. Gemäss einem Bundesratsbericht vom Oktober 2017 etablierte sich das System in 13 Kantonen. Dazu wurden Datenschutzgesetze angepasst, damit Behörden, Schulen und Institutionen wie die Kesb ihre Daten rasch der Polizei übergeben dürfen.
Eine Umfrage von SRF Data zeigt, dass in den 13 Kantonen über 3000 Personen als Gefährder registriert sind. Von diesen Personen gehen Warnsignale aus, die auf zukünftige Taten hindeuten könnten. Drohungen gegen Behörden zum Beispiel – oder auch laute Streitereien in den eigenen vier Wänden.
In der Schweiz setzen immer mehr Polizeikorps auf Software, die gefährliche Personen frühzeitig erkennt. Diese Risikoprofile basieren auf festen Algorithmen. Die Resultate werden in einer Gefährder-Datenbank gespeichert. So sollen Gewalttaten präventiv verhindert werden. Gemäss einem Bundesratsbericht vom Oktober 2017 etablierte sich das System in 13 Kantonen. Dazu wurden Datenschutzgesetze angepasst, damit Behörden, Schulen und Institutionen wie die Kesb ihre Daten rasch der Polizei übergeben dürfen.
Eine Umfrage von SRF Data zeigt, dass in den 13 Kantonen über 3000 Personen als Gefährder registriert sind. Von diesen Personen gehen Warnsignale aus, die auf zukünftige Taten hindeuten könnten. Drohungen gegen Behörden zum Beispiel – oder auch laute Streitereien in den eigenen vier Wänden.