Darum gehts
Endlich Ferien! Weg mit Videomeetings, klingelnden Telefonen und Papierstau im Fach A4 quer. Ich klinke mich aus in Richtung griechische Insel. Weil ich schliesslich geschuftet und gespart habe, gönne ich mir etwas Besonderes: ein Boutique-Hotel am Meer, mit Infinity-Pool und Spa. Der Vermerk «Adults only» ziert die Hotelwebsite, als wäre es ein geheimes Gütesiegel der vereinten Kinderhasser. Genau mein Ding, denke ich: kein Geschrei, keine aufblasbaren Einhörner, nur Ruhe und eine Barkarte so dick wie ein Telefonbuch.
«Lassen Sie den Alltag hinter sich und erleben Sie die heilende Kraft unseres exklusiven Thalassa-Spa-Rituals», heisst es weiter. «Jede Minute bei uns wird Ihr Wohlbefinden steigern und Ihnen kostbare Momente purer Entspannung bescheren.»
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Probieren Sie die Mobile-App aus!
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Count me in! Nachdem ich über Wochen gekrümmt wie ein Nussgipfel vor meinem Laptop gesessen hatte, hat mein Rücken die Zuwendung mehr als verdient. Ich entscheide mich für eine entschlackende Detox-Massage mit lokalem Olivenöl.
Ein zierliches Persönchen, aber …
Eingewickelt in einen weichen Bademantel schlürfe ich also meinen basischen Kräutertee und warte darauf, von einem griechischen Adonis abgeholt zu werden.
Und dann erscheint Eleni. Das zierliche Persönchen sieht aus, als hätte es gerade noch rechtzeitig vor ihrer Schicht die Schulbücher zugeklappt. Die kindliche Fee führt mich zur Liege und stellt sich als meine Masseurin vor. «Hoffentlich hat die genügend Pfupf», denke ich.
Sie hat. Sie beginnt zu massieren – und bei allem, was folgt, hätte ich mir gewünscht, ein Safeword vereinbart zu haben.
Eleni traktiert zunächst meine Schultern und arbeitet sich dann energisch die Wirbelsäule hinunter. Doch das wahre Martyrium beginnt, als sie sich meinen Oberschenkeln zuwendet. Sie knetet sie mit präziser Grausamkeit, als hätte sie die Aufgabe gefasst, mir den Teufel persönlich zu exorzieren. Ist das also «Detox»? Habe ich Sündige das vielleicht sogar verdient?
Soll ich reklamieren?
«Ein bisschen sanfter, bitte», hauche ich durch die Gesichtsöffnung der Massageliege. Eleni entschuldigt sich aufrichtig und … macht auf genau die gleiche, knochenbrecherische Weise weiter – als hätte ich um mehr Schmerz gebettelt. Nach vier vergeblichen Bitten, ihren Eifer etwas zu bremsen, gebe ich auf und lasse meine Peinigerin walten.
Immer wenn sie ihre knetenden Bewegungen verstärkt, spanne ich die Muskeln an und beisse auf die Unterlippe. Soll ich abbrechen? Die Zahlung verweigern? Eine saftige Reduktion verlangen? Bei der Rezeption reklamieren?
Tragödie im Massage-Paradies
Wenn sich jemand in der Beobachter-Rechtsberatung danach erkundigt hätte, wäre der Fall klar: Ich hätte die Geplagte sofort dazu ermutigt. Aber ich rede mir lieber ein, dass die tief dringenden Druckbewegungen mein Bindegewebe stärken und mich entgiften.
Immerhin bin ich an der gestrigen Happy Hour in der Hotellobby versumpft. Die Schlagzeilen, die vor meinem geistigen Auge erscheinen («Tragödie im Paradies: Schweizer Touristin nach Massage spitalreif!»), verdränge ich gekonnt.
Eine gefühlte Ewigkeit später (in Wirklichkeit waren es wohl 50 Minuten) bin ich – oder was noch von mir übrig ist – befreit.
Als ich am nächsten Tag auschecke, erinnern meine Oberschenkel an einen Streifzug durch Picassos blaue Periode. Steif wie eine antike griechische Statue schiebe ich meine malträtierten Glieder an die Rezeption. Ich bilde mir ein, dass das Personal insgeheim weiss: Hier räumt wieder eine echte Kriegerin aus dem Spa das Feld.
«War alles zu Ihrer Zufriedenheit?», fragt der Rezeptionist. «Alles bestens.» Ich zahle, verabschiede mich und überlege, ob nächstes Mal auch spielende Kinder eine beruhigende Alternative sein könnten.