Eine Betroffene erzählt
Der Arzt wollte nicht, dass sie abtreibt

Schwangerschaftsabbrüche nehmen zu. Doch Blick-Recherchen zeigen: Die Frauen treffen auf Gynäkologen und Gynäkologinnen, die ihren Wunsch ablehnen – eine Aargauerin erzählt. Was das noch befeuert: Ein Netz von Abtreibungsgegnern, das bis ins Bundeshaus reicht.
Publiziert: 13.07.2025 um 11:41 Uhr
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Viele Ärzte verweigern Abtreibungen.
Foto: Illustration Birgit Lang
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft

Mit 44 noch einmal schwanger – damit hat Johanna Meier nicht gerechnet. Sie hat bereits zwei Kinder, steht mitten im Leben als Sozialarbeiterin. Und nun noch ein Kind? «Das lag energiemässig nicht drin», sagt sie heute, mehr als drei Jahre später. Sie beschliesst einen Schwangerschaftsabbruch. Und macht eine Erfahrung, die sie nicht mehr vergisst: Der Gynäkologe signalisiert ihr, dass er mit ihrem Entscheid nicht einverstanden ist. Sie sagt: «Er hat mir ein schlechtes Gewissen gemacht.»

2024 haben sich so viele Frauen wie schon lange nicht mehr für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden. In der Schweiz ist dieser in den ersten zwölf Wochen erlaubt. Doch Blick-Recherchen zeigen: So einfach ist es nicht. Die Hürden sind gross. Das Tabu riesig. Manche Ärztinnen und Ärzte weigern sich sogar, Abbrüche durchzuführen. Und Abtreibungsgegner in der Schweiz befeuern das alles noch. Sie sind aktiv. Und vernetzt. Sogar Nationalräte mischen mit. Aber der Reihe nach.

Helene Huldi ist Präsidentin des Arbeitskreises Schwangerschaftsabbruch und Verhütung (Apac Suisse). Sie sagt: «Ich bekomme mit, dass viele Ärztinnen in ihren Praxen medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche durchführen, es aber nicht öffentlich machen.» Bei Apac Suisse engagieren sich Frauenärzte und Fachstellen, auf ihrer Website klärt die Organisation auf, listet behandelnde Ärzte auf. Doch manche wollen nicht auf die Liste. Etwa eine Ärztin aus Zürich. Diese sagte Huldi: Sie mache die Abbrüche nur bei ihren Patientinnen, wolle nicht, dass andere dafür zu ihr kämen. Der Abbruch als Pfui-Geschäft. Huldi sagt: «Das Stigma ist gross.»

Schwangerschaftsabbrüche nehmen zu

Neue Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen: 2024 gab es 12’434 Schwangerschaftsabbrüche, im Jahr davor waren es 12’208. Die Zahl steigt seit 2017 an, damals lag sie bei 10’037. Das Bevölkerungswachstum ist nicht der Haupttreiber. Das zeigt die Schwangerschaftsabbruch-Rate. 2024 kamen auf 1000 Frauen im gebärfähigen Alter 7,3 Abbrüche, 2017 waren es 6,2. Die Zürcher Gynäkologin Choon-Kang Walther kennt den Grund: Pillenmüdigkeit. «Viele Frauen wollen keine Hormone mehr einnehmen», sagt sie. Auch wegen der vielen negativen Medienberichte darüber. Die Gesundheitsbefragung, die das Bundesamt für Statistik regelmässig durchführt, stützt das. Bei Paaren, bei denen der Partner und die Partnerin zwischen 25 und 34 Jahre alt sind, setzten 2022 nur noch 19,5 Prozent auf die Pille, während es 2017 noch 32 Prozent waren.

Neue Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen: 2024 gab es 12’434 Schwangerschaftsabbrüche, im Jahr davor waren es 12’208. Die Zahl steigt seit 2017 an, damals lag sie bei 10’037. Das Bevölkerungswachstum ist nicht der Haupttreiber. Das zeigt die Schwangerschaftsabbruch-Rate. 2024 kamen auf 1000 Frauen im gebärfähigen Alter 7,3 Abbrüche, 2017 waren es 6,2. Die Zürcher Gynäkologin Choon-Kang Walther kennt den Grund: Pillenmüdigkeit. «Viele Frauen wollen keine Hormone mehr einnehmen», sagt sie. Auch wegen der vielen negativen Medienberichte darüber. Die Gesundheitsbefragung, die das Bundesamt für Statistik regelmässig durchführt, stützt das. Bei Paaren, bei denen der Partner und die Partnerin zwischen 25 und 34 Jahre alt sind, setzten 2022 nur noch 19,5 Prozent auf die Pille, während es 2017 noch 32 Prozent waren.

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Das spüren auch jene Gynäkologinnen, die offen dazu stehen.

Choon-Kang Walther betreut die Website «schwangerschaftsabbruch-zh.ch», führt in ihrer Praxis in Zürich Abbrüche durch. Jedes Jahr klopfen mehr Frauen an. 2019 nahm sie 202 Abtreibungen vor, 2023 waren es 420. Sie sagt: «Es kommt vor, dass Kolleginnen und Kollegen die Frauen zu mir schicken, weil sie den Abbruch selbst nicht vornehmen wollen.» Einmal wechselten innerhalb kurzer Zeit zwei Patientinnen aus dem gleichen Ostschweizer Spital zu ihr. Wegen der Spitalpsychologin. Sie soll diese unter Druck gesetzt haben, mit Aussagen wie: «Wenn Sie kein Geld für ein Kind haben – gehen Sie mehr arbeiten.»

Doch Walther beobachtet noch etwas anderes: «Die Frauen schämen sich.» Kommen aus einem anderen Kanton nach Zürich zu ihr, weil ihre Gynäkologin nichts davon wissen soll. Oder weil sie dafür nicht ins Spital wollten, man sie dort kenne. Sie erlebe das mit Patientinnen aus der Innerschweiz, sagt sie. «Das Thema ist dort tabu.»

Das «Gottesgeschenk», das für sie keines ist

Johanna Meier, wie eingangs erwähnt, kennt das alles. Sie gehört zu den Betroffenen der Aarauer Selbsthilfegruppe für Schwangerschaftsabbruch. In ihrem Fall spielen religiöse Gründe eine Rolle.

Mit ihrer Gynäkologin fängt es an, sie will keinen Schwangerschaftsabbruch bei ihr machen, will nur Leben auf die Welt bringen. Sie arbeitet in einer Gemeinschaftspraxis, ihr Kollege übernimmt. Der tut beim Erstgespräch erst mal so, als ginge es nicht um eine Abtreibung. Erklärt ihr laut Meier länglich, dass sie finanziell stabil und noch jung genug ist, um ein Kind auszutragen. Eine Adoption sei eine Option. Irgendwann sagt er dann, so Meier, «wenn ich das Gottesgeschenk nicht annehmen könne, gebe es die Möglichkeit eines Abbruchs».

Der Mann ist nicht happy mit ihrem Entscheid, das lässt er sie auch danach spüren.

83 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz geschehen laut dem Bundesamt für Statistik durch Medikamente, der Rest durch eine Operation. Johanna Meier ist damals in der siebten Woche, genug früh für die medikamentöse Methode. Die erste Tablette muss sie beim Gynäkologen einnehmen, die weiteren daheim. Meier hat nach der Bedenkzeit wieder einen Termin. «Als ich zu ihm kam, tat er so, als wüsste er von nichts.» Und: Er klärt sie nicht richtig auf. Sagt ihr: Wirkten zu Hause die ersten Pillen nicht, solle sie weitere nehmen. Sie ist unsicher: Wie erkennt sie, ob sie wirken? Er winkt ab, so Meier. «Er sagte, er habe keine Zeit, mir alle Eventualitäten zu erklären.»

Bloss das sagt er laut Meier noch: Das Prozedere fühle sich wie eine starke Mens an. Eine starke Untertreibung. «Ich schwankte gegen Abend nur noch, weil ich so viel Blut verloren hatte.» Sie habe mehrere Badetücher voll geblutet, und dann im Spital angerufen, wo eine Hebamme super reagiert habe.

Die Aussagen lassen sich nicht überprüfen. Johanna Meier ist nach wie vor bei ihrer Gynäkologin in Behandlung, will die Praxis nicht outen. Doch fest steht: Der Glaube, religiöser Eifer spielen in der Schweiz eine grosse Rolle, wenn es um Abtreibungen geht.

Auch Spitäler weigern sich

Die Apac-Präsidentin Helen Huldi sagt: «Es gibt Ärzte, die sich aus religiösen Gründen weigern, Abbrüche zu machen.» In den Spitälern übernehme dann jemand anderes.

Doch was, wenn sich ganze Spitäler querstellen?

Das Bethesda-Spital in Basel, das zum grössten Teil dem Basler Universitätsspital gehört, lehnt Abbrüche strikt ab – auch Notfälle. Die evangelisch-methodistische Stiftung Diakonat Bethesda will es so, sie hat die Klinik gegründet und ist heute noch beteiligt. Auf der Spitalwebsite schreibt diese: «Bei einem gewünschten Schwangerschaftsabbruch setzen psychologisch-seelsorgerliche Fachkräfte alles daran, das Leben von Mutter und Kind zu erhalten.»

Ähnlich die Hirslandenklinik St. Anna in Luzern. Bis zur Übernahme 2005 führten die St. Anna Schwestern die Klinik. Ihre Bedingung an die Hirslanden-Gruppe: keine Schwangerschaftsabbrüche. In Einzelfällen rückt man davon ab. Eine Sprecherin sagt auf Anfrage: etwa dann, wenn die Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter festgestellt werde – also lebensbedrohlich für die Mutter und tödlich für das Kind sei.

All das passt gut zum Zeitgeist. Abtreibungsgegner haben weltweit Aufwind. Donald Trump, Viktor Orban, Giorgia Meloni – sie alle machen es mit Massnahmen Frauen schwer, abzutreiben. Und in der Schweiz lobbyieren christliche Kreise dagegen, ihr Arm reicht bis ins Parlament.

Die Abtreibungsgegner geben nicht auf

Erst im September eröffnete in St. Gallen eine neue Pro-Life-Organisation: 1000Plus Schweiz. Auch der emeritierte Churer Weihbischof Marian Eleganti (70) reiste an. Er sprach den Segen Gottes, sagte dabei: Am Ende könnten die Christen zwar stigmatisiert, aber nicht gestoppt werden, «da wir für das stehen und kämpfen, was Gott will».

Was Gott will, weiss 1000Plus offenbar genau. Gerade hat sie eine Petition eingereicht. Die Forderung: Der Bundesrat soll den «Abtreibungsrekord» stoppen. Und überprüfen, ob staatlich finanzierte Beratungsstellen den Schwangeren Alternativen aufzeigten, «die ein Ja zum Leben möglich machen». Die Ausbeute ist klein: 3600 Unterschriften. Doch die Liste der Erstunterzeichnenden lässt aufhorchen. Acht Nationalräte sind darunter. Davon sechs allein aus der SVP – bekannte Namen wie Lukas Reimann (42) oder Jean-Luc Addor (61).

Bei der Petition bleibt es nicht. Erstunterzeichner und EDU-Nationalrat Andreas Gafner (54) hat in der Sommersession einen entsprechenden Vorstoss eingereicht. Und ein anderer Name auf der Liste der Petitionäre führt zum «Marsch fürs Läbe»: Thomas Stettler (55). Der SVP-Nationalrat bestätigt Blick gegenüber, dass er im September an der Demo der Abtreibungsgegner eine Rede hält. So auch der ehemalige Weihbischof Eleganti.

Erst 2023 scheiterten zwei Initiativen in der Sammelphase, die Schwangerschaftsabbrüche erschweren wollten. Doch geht es so weiter, steigt der Druck auf Frauen mit Abtreibungswunsch weiter.

Unterstützung gibt es hier:
Apac Suisse, Schwangerschaftsabbruch.org. Selbsthilfegruppen zum Thema in Aarau, Basel, Winterthur und Uster: www.selbsthilfeschweiz.ch
 

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