Darum gehts
In der Gemeinde Eschenbach im Kanton St. Gallen wurde die Einstellung einer Lehrerin rückgängig gemacht, obwohl ihr die Stelle bereits mündlich zugesagt worden war. Grund dafür waren Beschwerden einiger Eltern über ihr Kopftuch, da sie darin eine Verletzung der schulischen Neutralität sahen. Hier treffen Recht und Empfinden, Prinzipientreue und politische Symbolangst aufeinander.
In einer idealen Welt wäre es irrelevant, ob eine Lehrerin ihre Haare offen trägt oder ein Kopftuch, solange sie ihre Arbeit gut macht. Doch wir leben nicht in einer idealen Welt, und das Kopftuch ist schon lange nicht mehr nur ein Stück Stoff. Es steht im Spannungsfeld zwischen individueller Religionsfreiheit und gesellschaftlicher Symbolik, zwischen persönlicher Wahl und politischer Deutung.
Nervöser Westen
Der Westen gibt sich nach aussen hin weltoffen und pluralistisch, wirkt nach innen aber zunehmend nervös und fragmentiert. Jede Geste, jedes Wort, jedes Kleidungsstück kann zum Auslöser eines identitätspolitischen Konflikts werden. Das ist das Ergebnis einer Diversität, die nicht moderiert, sondern sich selbst überlassen wird, in der die Mehrheitsgesellschaft auf nationale Symbole verzichten soll, während Minderheiten ermutigt werden, ihre religiösen Zeichen sichtbar zu machen.
Ich vermute, dass die betroffene Lehrerin tatsächlich weltoffen ist, wie sie im Vorstellungsgespräch bekräftigte. Sie wollte ihre Religion nicht thematisieren, versprach, Weihnachten mit den Schülern zu feiern und sich loyal gegenüber dem Lehrplan zu verhalten. Doch es geht hier nicht um diese einzelne Frau. Es geht um das, was das Kopftuch in einem grösseren Kontext bedeutet, und darum, was andere darin sehen wollen oder müssen.
Wäre das Kopftuch lediglich Ausdruck persönlicher Frömmigkeit in einer säkularen Gesellschaft, hätte es keine Kontroverse gegeben. Doch es ist weit mehr. In vielen muslimischen Gemeinschaften, auch im Westen, wird es als Ausdruck einer kollektiven Identität gelesen, als Schutzschild einer als gefährdet empfundenen religiös-kulturellen Selbstvergewisserung. Und in nicht wenigen Fällen auch als politisches Signal. Es sagt nicht nur «Ich glaube», sondern auch: «Ich bin Teil einer Bewegung, die mitreden und mitgestalten will.»
In der islamischen Welt war es einst selbstverständlich, dass jüdische Lehrer mit Kippa oder christliche Lehrer mit Kreuz muslimische Schüler unterrichteten. Ihre religiösen Zeichen galten damals nicht als Provokation, da sie keinen politischen Anspruch formulierten. Ironischerweise war gerade in dieser Zeit (den 1920er- bis 1940er-Jahren) das Kopftuch im öffentlichen Bildungswesen kaum präsent. Es galt vielen als Symbol der Rückständigkeit.
Vertriebene Juden
Erst mit dem Niedergang des arabischen Nationalismus nach den Niederlagen gegen Israel trat der Islamismus als politische Ersatzideologie auf den Plan. Das Kopftuch wurde zum sichtbaren Zeichen eines neuen Selbstverständnisses, zur Symbolik der Islamisierung des öffentlichen Raums, der Schule und der Universität. Dies war kein privater Akt, sondern ein stiller Triumphzug, eine langsame, aber konsequente Verschiebung der Norm. Bald verschwanden christliche Symbole aus dem öffentlichen Raum. Juden wurden zuvor aus der islamischen Welt vertrieben.
Diese Dynamik wiederholt sich nun im Westen, getragen von einer Mischung aus Selbstbehauptung, Opferbewusstsein und ideologischer Strategie. Und sie erzeugt Reaktionen. Man mag sich wünschen, dass ein Kopftuch in Deutschland oder der Schweiz keinen Aufschrei auslösen würde. Doch die Realität ist komplexer: Viele Menschen verbinden damit Erfahrungen und Beobachtungen, die über das Einzelbeispiel hinausreichen. Ihre Reaktionen sind daher nicht bloss irrational oder islamophob, sondern Ausdruck realer gesellschaftlicher Spannungen.
Deshalb braucht es keine Symbolverbote, sondern eine konsequent verstandene staatliche Neutralität. Der Staat darf sich nicht auf die Seite von Befindlichkeiten schlagen, aber er muss auch anerkennen, dass Symbole eine Macht entfalten, die das Zusammenleben bedrohen könnte. Neutralität darf kein formaler Begriff bleiben. Sie muss sich im Alltag durch klare Regeln bewähren. Die politischen Eliten im Westen zelebrieren kulturelle Unterschiede, betonen jedoch nicht den gemeinsamen Nenner. Dadurch entsteht gesellschaftliche Spannung statt ein friedliches Zusammenleben!
Hamed Abdel-Samad, geboren 1972 in Ägypten als Sohn eines Imams, kam mit 23 nach Deutschland, wo er Englisch, Französisch und
Politik studierte. Nach islamkritischen Publikationen sprachen radikale Geistliche eine Fatwa gegen ihn aus. Er lebt unter Polizeischutz.