Darum gehts
- Frau fällt auf Instagram-Betrüger herein, die sich als Marco Odermatt ausgeben
- Betrüger nutzen Geschenkkarten für nicht nachverfolgbare Geldtransfers
- Opfer verliert in weniger als drei Monaten 6500 Franken an Betrüger
Das Bild hat bei vielen für Lacher gesorgt. Es war Februar 2025. Um ihren Triumph bei der Weltmeisterschaft in Saalbach (Österreich) zu feiern, rasierten sich die Skifahrer des Schweizer Teams die Haare ab. Skisuperstar Marco Odermatt (27) postete ein Gruppenfoto des siegreichen Teams mit den neuen Frisuren. Wie Tausende von Fans gratulierte die Walliserin Corinne* dem Champion unter dem Beitrag. «Ich hatte mir seit Beginn der Saison angewöhnt, einen kleinen Kommentar zu hinterlassen oder auf einen Post mit einem Emoji zu reagieren», erzählt die 50-Jährige gegenüber Blick.
Corinne ahnte nicht, dass ihr Kommentar sie nicht nur für den Nidwaldner sichtbar machen würde, sondern auch für Betrüger, die auf der Lauer sind. Diese sogenannten «Scammer» – Cyberkriminelle, die vor allem in Westafrika, aber auch in Südostasien leben – haben nur ein Ziel: Sie wollen ihren Opfern möglichst viel Geld aus der Tasche ziehen, nachdem sie ihnen eine virtuelle Liebesbeziehung vorgaukeln.
Corinne ist seit über zwanzig Jahren geschieden, kinderlos und lebt allein. Sie sagt selber, dass sie zu einer Generation gehöre, die «nicht alle Codes des Internets beherrscht» – und schon gar nicht die der künstlichen Intelligenz. Sie ist daher die ideale Zielgruppe für Betrüger. Hinzu kommt: Die Sozialarbeiterin machte zu diesem Zeitpunkt persönlich und beruflich eine schwere Zeit durch. «Ich war am Ende», gesteht sie. «Eine Kette von Schicksalsschlägen hatte mich in eine grosse Depression gestürzt. Ich hatte mich isoliert und sprach nicht mehr mit meinen Freunden.»
Im April kontaktierte sie schliesslich der falsche Marco Odermatt. Sie möchte an die Echtheit des Champions glauben und nutzt die Gelegenheit, um aus dem Alltag auszubrechen. «Er sagte mir, dass er sich freue, mich zu seinen Fans zählen zu können, und wollte mehr wissen», schildert die Walliserin. «Er fragte, seit wann ich Fan bin, was ich mache, wo ich wohne. Wir haben uns etwa 30 Minuten lang ausgetauscht», erinnert sie sich.
Kein blauer Haken
Ein Detail lässt sie jedoch aufhorchen. Der Mann, der sich als Marco Odermatt ausgibt, schreibt nicht von dem mit einem blauen Haken zertifizierten Konto, sondern von einem Profil mit weit weniger Followern. Doch «der Skifahrer» beruhigt sie. Sein offizielles Konto werde ausschliesslich von «seinem Management» verwaltet, schreibt der Betrüger. Er nutze diesen zweiten Account, um freier mit seinen Fans schreiben zu können.
«Ich habe ihm geglaubt», sagt Corinne. Sie tauschten sich einige Tage lang «in freundschaftlichem Ton» aus, wobei der «Athlet» darauf achtete, seine Erzählungen mit sportlichen Anekdoten, Details über seine Karriere und den Namen seines Trainers und seines Managers zu versehen. So konnte er das Vertrauen von Corinne gewinnen.
Bald darauf schlug «Odi» ihr vor, ihr eine VIP-Karte zu schenken, mit der die ehemalige Skilehrerin «zu günstigen Preisen an Rennen teilnehmen oder mit ihm bei Meetings und Interviews zusammen sein» könne. Die VIP-Karte hatte jedoch ihren Preis: 2000 Franken. Zu teuer für Corinnes kleines Gehalt. Sie bricht das Gespräch erstmals ab.
Doch der Betrüger lässt nicht locker. Er bietet ihr die VIP-Karte für 1000 Franken und dann für 500 Franken an. Schliesslich schickt er der Frau sogar eine Art «ID-Kopie». Im Nachhinein gibt Corinne zu: «Sie sah meiner nicht ähnlich. Aber als ich im Internet recherchierte, fand ich einige, die so aussahen.» Schliesslich zahlt sie den Betrag.
«Ich wollte ihm meine Bankdaten nicht mitteilen. Also bot er mir an, mit Steam-Geschenkkarten zu bezahlen. Davon hatte ich noch nie gehört.»
Falle schnappt zu
Steam ist eine Plattform für den Vertrieb von Videospielen und Software. Man kann elektronische Karten im Wert von 20, 45, 50, 100 Franken kaufen. Auf der Rückseite befindet sich ein einmaliger Code, der freigerubbelt werden muss. Sobald dieser übermittelt wird, wird der Betrag direkt einem virtuellen Portemonnaie gutgeschrieben, mit dem man sich Spiele oder bestimmte Eigenschaften eines Spielers kaufen kann.
Durch den Weiterverkauf dieser Gegenstände auf anderen spezialisierten Websites kann der Betrüger echtes Geld oder Kryptowährungen einstecken. Eine nicht zurückverfolgbare Manipulation. Aber von all dem hatte Corinne keine Ahnung. Im Auto fährt sie die Kioske im Wallis ab, um die 500 Franken in Geschenkkarten zu 20 oder 45 Franken zusammenzubekommen.
«Er sagte mir, dass ich schön sei»
Die VIP-Karte kam nie an. Stattdessen gab es Entschuldigungen. Und vor allem Ströme von Komplimenten und Liebesbekundungen. «Er sagte mir, dass ich schön und nett sei. Er sei in mich verliebt», erzählt die Frau. «Er nannte mich Königin und versprach mir das Blaue vom Himmel.»
Corinne versucht, immer noch zu verstehen, wie sie sich in diese verrückte Geschichte hineinziehen lassen konnte. «Man bindet sich gegen seinen Willen. Er hatte tröstende Worte für mich.» Zwischendurch habe sie aber auch klar gesehen. «Ich sagte ihm, dass wir dreissig Jahre auseinander seien und dass ich wisse, dass er in einer Beziehung sei.»
Im Mai will «Marco» sie schliesslich treffen. Allerdings braucht er Geld, um die Reise zu finanzieren. Er fordert 5000 Franken von Corinne.
«Ich verlor die Kontrolle»
Am Steuer ihres Autos beginnt Corinne eine wilde Jagd nach Geschenkkarten. «Ich bin aufgestanden, Auto – Kiosk – Arbeit. Ich gab alles aus, ohne zu zählen. Ich wurde zu einer Maschine.» Und als das Geld nicht kommt, wird der Ton des Champions härter und bedrohlicher: «Du hörst mir nicht zu, warum tust du nicht, was ich sage?»
Die Sozialarbeiterin beantragt eine Kreditkarte. Innerhalb von drei Wochen ist das Limit von 3000 Franken erreicht. «Ich hatte völlig die Kontrolle verloren. Ich hatte Selbstmordgedanken, ich bin in mein Auto gestiegen, ich wollte gegen eine Wand fahren und mich umbringen.»
In weniger als drei Monaten hat Corinne 6500 Franken verloren. Das entspricht ihren Ersparnissen. Den echten Marco Odermatt sah sie nie. Der Betrüger hingegen tat so, als sei er in dem Hotel aufgetaucht, in dem sie sich angeblich treffen wollten. «In dem Moment habe ich es verstanden», sagte sie. Die Tränen stiegen ihr in die Augen. «Es hat mich wie eine Bombe getroffen. Ich habe mich geschämt. Ich habe mich nicht getraut, mit jemandem darüber zu sprechen.»
Corinne muss Beweise sammeln
Sie schrieb einer Mitarbeiterin der Walliser Polizei, die sie ermutigte, Anzeige zu erstatten. Corinne hat nun drei Monate Zeit, um alle Beweise zu sammeln und bei der Staatsanwaltschaft Klage einzureichen. Erfahrungsgemäss ist es jedoch schwierig, die Betrüger zu finden, da sie oft aus dem Ausland operieren.
Corinne weiss das. Sie möchte mit ihrer Geschichte andere warnen.
* Name geändert