Darum gehts
- Autoposer in Rorschach sorgen für Ärger. Anwohner und Politiker suchen Lösungen
- Kulturclash zwischen Autoliebhabern und lärmgeplagten Einwohnern in Kleinstadt am Bodensee
- Petition mit über 400 Unterstützenden fordert Lärmblitzer in St. Gallen
«Sehen Sie die schwarze Reifenspur?» Der junge Mann zeigt auf den Asphalt. «Ein Mercedes-Fahrer.» Er hat sie am Vorabend liegen lassen. Dutzende Jungs waren mit ihren Autos da. «Dem geht es nur um den Bluff.» Der dünne Mittzwanziger im Baseballshirt tätschelt liebevoll das Auto, das vor ihm steht, sein Baby. «Ich bin nicht so.» Wie? «Ein Poser.» Er sei mehr … Was? «Autoliebhaber.»
Es ist Samstagnachmittag in Staad SG, drei Fahrminuten von Rorschach entfernt, die Fotografin und ich stehen auf dem Parkplatz der McDonald’s-Filiale und blicken ungläubig auf sein Auto. Ein Diamant in einer Jauchegrube, so wirkt der BMW hier, umgeben von Autowäscheanlage, Aldi, Schnellimbiss und ranzigem Hundertwasser-Gebäude, von dem der Putz bröckelt.
Die Sonne brennt auf den Autolack, lässt das Grün noch heller leuchten. Froschgrün, metallic. Danach hat er lange gesucht, erklärt uns der Fahrer mit blondem Kinnbart, Designersonnenbrille und einem Gucci-Umhängetäschchen für Männer. Alles an ihm ist sorgfältig ausgesucht. Jedes Detail an seinem Auto passt perfekt, er rückt das Täschchen zurecht und zirkelt einmal um den Wagen, zeigt auf die glänzenden Chrom-Felgen – 10’000 Franken. «Massanfertigung.» Auch die Auspuffanlage – 6000 Franken.
Wir kommen nicht mehr dazu, nach dem Modell des BMW zu fragen, er winkt ab, will nicht mehr von sich verraten.
Der junge Fahrer ist der Erste, den wir an diesem Tag auf der Suche nach Autoposern auf dem Parkplatz erwischen, aber nicht der Letzte, der anonym bleiben will. Die Jungs, die mit ihren getunten BMWs und Mercedes am Ufer des Bodensees entlangcruisen, haben in Rorschach eine Protestwelle ausgelöst. Kaum scheint die Sonne, drehen sie mit ihren Boliden Runden, verstopfen die Strassen des Städtchens und lassen mit aus dem Fenster hängenden Ellbogen die Motoren aufheulen.
Die Anwohner wehren sich. Stellten sich schon an den Strassenrand und bewarfen die Krachmacher mit dem, was ihre Küche auf die Schnelle hergab: Birnen, Kartoffeln, Eier und Mehltüten. Andere griffen zur Wasserpistole. Bis die Polizei vor der Selbstjustiz warnte. Jetzt ist die Politik dran. Gerade haben die Grünen bei der St. Galler Regierung eine breit abgestützte Petition eingereicht. Ende Mai haben sie zu einer Demonstration aufgerufen. Hunderte sind mit Plakaten durch die Gassen gezogen und schrien sich den Frust von der Seele: «Autoposer, loset zue, mir wänd jetzt ändli üsi Rueh!»
Röbi Raths sieht rot
«Die Auspuff-Klöpferei.» Das stört den FDP-Stadtpräsidenten Röbi Raths am meisten. Er steht vor dem Rathaus und zeigt zum See. «Die finden es auch noch geil», poltert er, «vor dem Bahnübergang im Stau herumzustehen.» Dann liessen sie eine Lücke entstehen, um mit quietschenden Reifen davonrasen zu können. «Kinder, Alte, Tierli» – auf nichts nähmen diese Leute Rücksicht. «Die haben doch einen Flick weg!»
Röbi Raths ist der Typ zupackender Gemeindepräsident, wie man ihn in der Ostschweiz oft findet. Ein Mann, der so bei sich ist, dass er keine Angst hat, sich lächerlich zu machen. Er eröffnet in pinken Badehosen eine neue Wasserrutschbahn. Trägt einen Schnauz wie Tom Selleck in der Achtzigerjahre-Serie «Magnum». Mit einem Büezer redet er gleich hemdsärmelig wie mit einer Bundesrätin. Und vor dem Rathaus hebt er alle paar Minuten die Hand, weil ihn so viele grüssen. Raths, der Boomer, ist die Antithese zu den jungen Autoposern, doch etwas haben sie gemein: Einmal in Fahrt, ist auch er kaum zu bremsen. «Warum zum Teufel braucht ein 25-Jähriger eine fünf Meter lange Merc-Limousine?» Er holt Luft. «Glaubt er, er sei der Herr Oberdirektor?»
Der Lärm hat Raths zermürbt. Er wohnt an der Lieblingsstrecke der Poser, der Hauptstrasse. Er ist Betroffener. Doch nicht nur. Raths ist auch ein Stadtpräsident mit einer Vision, die die Auto-Kids kaputt machen.
Er will die Kleinstadt aufwerten, Rorschach soll wachsen. Und neue Bewohner anziehen. 450 Wohnungen sind für die nächsten Jahre geplant, ein langer Spazierweg mit zig Baumarten hat man schon angelegt. Das Städtchen soll sich häuten, das alte Rorschach abstreifen.
Und das fing als kleiner Ort mit Eisenbahnerwerken an, stieg rasch zu einer Industriestadt mit 12’000 Einwohnerinnen und Einwohnern im Jahr 1910 auf – 8000 mehr als 1895 und rund 2000 mehr als heute. Die Leute arbeiteten in der Stickerei, Konservenfabrik, Nähmaschinenfabrik. Manche Betriebe wechselten später die Besitzer und den Namen, einige blieben lange erhalten. Immer waren sie hungrig nach Arbeiterinnen und Arbeitern. Diese kamen aus Italien, vom Balkan. Ab den Nullerjahren wurden immer mehr Fabriken stillgelegt. Geblieben ist der hohe Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund: 50 Prozent.
Autoposer, Motorenlärm, Tuning – in der ganzen Schweiz sorgt das seit der Pandemie für Ärger. Allein die Stadtpolizei Zürich hat seit 2019 über 2000 Fahrer verzeigt. Doch nur in einem Städtchen wie Rorschach ist das mehr als ein Problem. Es ist ein Symbol. Es steht für einen Kulturclash.
Er ist 18 und fährt einen fetten, weissen Benz
«Ein Mann braucht ein stabiles Auto.» Der Junge ist 19, obwohl die Sonne auf dem McDonald’s-Parkplatz schon tief steht, trägt er wie seine Kumpels eine schwarze Sonnenbrille. Breitbeinig steht er da, um den Hals baumelt eine dicke Silberkette, ernst schiebt er nach: «Ein Auto muss einen Mann repräsentieren.» Der Sound, die Optik, alles müsse stimmen.
Es ist 21.30 Uhr. Gerade sind die Jungs aus einem SUV, Mercedes GLC, geklettert, alle zwischen 18 und 20. Daneben steht ein schiffslanger, weisser Mercedes S-Klasse mit rot verkleidetem Innenraum. Der Fahrer mit Flaum am Kinn ist so zierlich, dass er fast im Sitz verschwindet. Er grinst, als er unsere verdutzten Gesichter sieht. «Gehört meinem Schwager.» Er ist 18. Vor vier Tagen hat er die Fahrprüfung bestanden. Wir gratulieren. Er nickt stolz. Jetzt posiert er mit verschränkten Armen vor dem Wagen, will, dass wir ihn fotografieren.
Die Jungs sind Kindheitsfreunde aus Romanshorn, so wie es ihre Eltern schon in Mazedonien waren. Heckdiffusor, Karbon-Frontlippe, Spoiler – wir verstehen nicht, wovon sie reden, doch begreifen schnell: Das ist ihr Alltagsslang.
«Es ist ein Wettbewerb um das geilste Auto.» Der 19-Jährige mit Pickeln im Gesicht behält die Sonnenbrille auf, obwohl es jetzt dunkel ist. Dafür gebe man viel, sagt er. Jede freie Minute, Liebe, Geld. Das Auto sei ein Projekt. «Ein Mann braucht das.»
Früher fuhren die Jungen Töffli oder Roller, motzten diese auf, bis sie sich ein Auto leisten konnten. Leasing gab es nicht. Heute kaufen sie ihr Auto auf Pump und zahlen es in hoch verzinsten Raten ab. Bis zu 1000 Franken jeden Monat. Mit einem Büezerlohn, denn das sind sie: Auto-Mechatroniker, Industriemechaniker, Konstrukteur. Eigentlich sind die Raten nicht zu stemmen. Doch, sagt der Sonnenbrillen-Bub. «Irgendwie geht es.» Manche arbeiteten sogar am Wochenende.
Die Profiteure sind die Hersteller und Händler. Für sie ist die Masse von Kids mit Boliden ein gutes Geschäft. Auch weil sie Auspuffe mit Klappensystemen verbauen, die den Krach der Autos noch verstärken. Die EU erlaubt das, also gibt es sie in der Schweiz. Obwohl hier unnötiger Lärm gesetzlich verboten ist.
Für die Rorschacher ist das eine Plage.
Jetzt sollen es Lärmradare richten
Richi Faust kommt mit dem Elektro-Trotti zum Hafen. Der Präsident der Grünen Region Rorschach hat die Demo im Mai mitorganisiert. Wir setzen uns in einen Imbiss an der Hauptstrasse. Wie am Fliessband ziehen die Luxuskarossen vorbei. «Da ist er wieder.» Faust hebt seinen Kopf, hat einen Mercedes-SUV erspäht, zwei Bärtige mit ausrasierter Undercut-Frisur. Sie drehen im Städtchen offenbar Runden. «Typisch», sagt er lakonisch.
Richi Faust ist ein ruhiger Mann, keiner, der verbal um sich schlägt. Er kämpft mit Argumenten. Der Autolärm bedeute Stress, sagt er. «Dieser Lärm macht uns krank.» Eine Studie der Universität Basel gibt ihm recht: Lärmstress fördert Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In der Schweiz sterben laut den Schätzungen der Autoren jährlich 500 Menschen daran.
Faust nimmt das nicht hin. Er ist Mitinitiant der Petition mit über 400 Unterstützenden, die seit kurzem bei der St. Galler Kantonsregierung liegt. Sie fordern Lärmblitzer – Radare, die Autogeräusche messen. In der Schweiz fehlt bislang ein Gesetz dafür. Die Kantone Genf und Basel-Land haben aber Pilotprojekte durchgeführt – erfolgreich. Nun soll, so die Petition, St. Gallen nachziehen. Und beim Bundesrat Druck machen, er soll eine Verordnung für die Lärmblitzer schaffen.
Die Anliegen könnten in St. Gallen in der Schublade verschwinden, befürchtet er und zieht die Augenbrauen hoch. Die Regierung probiere selten Dinge aus. «Sie ist nicht mutig.»
Derweil macht die Polizei jetzt häufiger Lärmkontrollen. Doch das Problem bleibt. Die Rorschacher sind auf sich gestellt.
Stadtpräsident Raths nimmt die Sache selbst in die Hand. Steht jeweils in seiner Wohnung am Fenster und notiert die Autonummern, schreibt Briefe: Aufhören mit dem Lärm! Manchmal hängt es ihm aus, dann schwingt er sich in der Warnweste auf seine gelbe Vespa und knöpft sich die Autoposer vor. Und diese zeigen ihm den Mittelfinger. «Damit kann ich leben.» Er deutet mit dem Zeigefinger auf sich. «30 Jahre Politik – ich habe einen breiten Rücken.»
Raths kennt kein Erbarmen. Legt auch mal eine Notiz zu den Akten eines Autoposers, um eine potenzielle Einbürgerung zu erschweren oder zu verhindern. Das ist hart. Doch ist er der Einzige aus Rorschach, der mit den Posern spricht.
Das Poser-Alphatierli gäselet gerne
«Seid ihr von der Gemeinde?» Der Ton ist ein Mü zu aggressiv, die weissen Socken, die der Junge zusammen mit den Adiletten trägt, ein Mü zu kurz. Wir treffen Dario. Zu zwölft stehen er und seine Freunde spät am Abend auf dem McDonald’s-Parkplatz. Alle zwischen 18 und 25, die meisten mit BMW. Auch Dario. Mit seinem spitzen Ostschweizer Dialekt und den in die Seiten gestemmten Händen wirkt er wie ein Dorfmuni – grossmäulig, aber gutmütig.
Gerade ist er sauer. Wegen der Demo im Mai. «Ein Zirkus.» Er war an jenem Tag mit seinem BMW M5 in Rorschach unterwegs. Ein Grosi sei am Strassenrand gestanden und habe eine Zeitung ans Auto geworfen. Er verdreht die Augen. «Die spinnt doch!»
Und doch macht der Autolärm die Anwohnerinnen und Anwohner mürbe – was sagt er dazu? Er nickt. Motorengeheul in Wohngebieten, das gehe nicht. David, der mit in die Hosentaschen gesteckten Händen neben ihm steht, sagt: «Manche übertreiben es.»
Er meint Typen wie der, der jetzt mit seinem Ungetüm auf den Platz kurvt. Publikumswirksam dreht er zwei Runden, bevor er den Luxus-SUV, einen Mercedes GLE, abseits von der Gruppe parkiert. Er steigt aus. Ein Pumper, sein breiter Rücken und das XXL-Shirt verraten ihn sofort.
«Fuck.» Dardan nimmt sein Käppi ab und setzt es verkehrt herum wieder auf. «Sein Auto ist brutal geil, aber er ist der grösste Schwanz auf Erden.» Mattia, braun gebrannt, weisse Leinenhosen, arbeitet mit ihm, berichtet, dass der Typ jeden Morgen mit dem Auto vor der Bude herumstehe und fünf Minuten lang «gäsele». Und von der ersten Begegnung, dessen erster Satz: «Bruder, willsch GLE gseh?»
Plötzlich brüllt drüben der Motor auf und schnurrt wie ein Tiger. Die Jungs schlagen die Hände vors Gesicht. «Bitte, bitte nicht auch noch die Motorhaube.» Dario fleht theatralisch. Zu spät, der GLE-Mann hat sie schon aufgeklappt. Dario wendet ihm demonstrativ den Rücken zu. «Der meint, er sei ein Alphatierli, dabei ist er für uns eine behinderte Antilope.»
So geht das jedes Wochenende. Kinder schrecken aus dem Schlaf, Hunde bellen, vielleicht stirbt irgendwo einer vor lauter Lärmbelastung, aber die Poser-Kids cruisen weiter munter durch die Gegend.