Darum gehts
- Blick fliegt einen Tag lang mit der Besatzung der AAA (Alpine Air Ambulance) mit
- Einsatz 1: Ein Kleinkind droht zu ersticken
- Einsatz 2: Eine ältere Frau hat einen Krampfanfall
Mit knatternden Rotoren landet der Helikopter auf einem Feld in der Nähe eines Bauernhauses. Notarzt Christoph Dübendorfer (45) und Rettungssanitäter Stiafen Furger (37) steigen aus und rennen los, ihre Schritte machen im durchweichten Grasland schmatzende Geräusche.
Im Haus angekommen, umringen der Notarzt, die Rettungssanitäter und Angehörige der Patientin den Küchentisch. Darauf liegt ein Kleinkind, es schreit und stöhnt, die Unterlippe bibbert, es schaut mit vor Angst weit aufgerissenen Augen um sich. Es ist Graziella* (1). «Sie bekam plötzlich keine Luft mehr, wurde sogar kurzzeitig bewusstlos», sagt Mutter Helena M.* später zu Blick.
«Jetzt darfst du Helikopter fliegen»
Die Eltern aus dem Kanton Zürich befürchteten, dass dem kleinen Mädchen etwas Essen im Hals stecken geblieben sein könnte. «Eigentlich wollten wir nur, dass der Krankenwagen kommt», sagt Helena M. Doch bei der Meldung «Kleinkind droht zu ersticken» wird in der Notrufzentrale sofort das grosse Geschütz aufgefahren: die AAA (Alpine Air Ambulance). Blick fliegt einen Tag lang mit der Helikopterbesatzung der Basis Birrfeld in Lupfig AG mit. In Absprache mit den Angehörigen dürfen wir Ausschnitte aus den Einsätzen zeigen.
«So, Graziella, jetzt darfst du Helikopter fliegen», sagt Notarzt Dübendorfer zum kleinen Kind, das mittlerweile einen Nuggi im Mund hat und kurz aufgehört hat, zu weinen. Dübendorfer und Mutter Helena M. besteigen den Helikopter. «Das VIP-Taxi steht bereit», sagt der Notarzt augenzwinkernd. Damit beruhigt er nicht nur das Kind, sondern vor allem die verängstigten Eltern.
Im Kantonsspital Baden gibt die Heli-Besatzung das Kind und ihre Mutter ab. Diagnose: zum Glück nur ein Fieberkrampf, den das Rettungsteam schnell unter Kontrolle bringen konnte. Danach geht es zurück zum Flugplatz Birrfeld in Lupfig AG. Die AAA betreibt dort sowie im liechtensteinischen Balzers, in Bern und in Andorra Helikopterbasen. Insgesamt verfügt die «Triple-A» über sechs Helikopter, zwei Notarzteinsatzfahrzeuge und zwölf Bodenambulanzen.
Lustige Sprüche im ernsten Alltag
Zurück auf der Basis geht es darum, den Dreck des letzten Landeplatzes aus dem Heli zu waschen und gebrauchtes Einsatzmaterial zu ersetzen. Doch viel Zeit bleibt nicht. Der Pager schrillt, Stiafen Furger zückt sein Handy. «Eine Verlegung», sagt er.
Eine über 80-jährige Frau ist an diesem Tag von einem Auto angefahren worden. Sie hat sich dabei eine Beckenringfraktur zugezogen und eine Menge Blut verloren. Das kleine Spital im Kanton Aargau, in dem sie liegt, ist für eine solche Verletzung nicht mehr das Richtige. Die Seniorin muss sofort ins Kantonsspital nach Luzern.
«Hast du ein Parkticket gelöst?», fragt Notarzt Dübendorfer den Piloten Andreas Pally (37), nachdem dieser seinen Helikopter auf den Besucherparkplatz des Spitals gesetzt hat. Das musste er, denn einen Heli-Landeplatz gibt es dort nicht. Mit dem Spital war das abgesprochen.
«Nein, das Ticket habe ich vergessen», antwortet der Pilot grinsend. Es mangelt nicht an lustigen Sprüchen an diesem Tag. Sie sind inmitten des ernsten und teils tragischen Arbeitsumfeldes der Besatzung sehr willkommen – und auch nötig.
«Ich setze ihn neben die Bushaltestelle»
Nach einem weiteren Flug durch die regnerische Schweiz und der Übergabe im Schockraum des Kantonsspitals Luzern geht es zurück ins Birrfeld. Pilot Pally fliegt eine enge Kurve und ist kurz davor, auf der Basis zu landen, als wieder das Notrufsignal im Heli erklingt. Alarmierung in der Luft. Der Heli dreht sofort ab.
«Starrer Blick, bewusstlos» heisst es sinngemäss im Einsatzauftrag aus der Notrufzentrale über eine gut 70-jährige Frau. Keine fünf Minuten später kreist der Helikopter über einer Gemeinde im Zürcher Unterland. «Ich setze ihn da hin, neben die Bushaltestelle», sagt Pilot Andreas Pally seelenruhig, während er ein für unerfahrene Passagiere halsbrecherisch wirkendes Sinkmanöver einleitet.
Wörtlich völlig durch den Wind verfolgt Blick den Notarzt und den Rettungssanitäter in Richtung eines Hauses, drei Stockwerke hoch in eine Wohnung.
Zwischen Sofa und Salontisch liegt eine Frau, ihr ganzer Körper zittert. Ihre Augen schauen starr geradeaus. Ansprechbar ist sie nicht. «Sie krampft, kritische Situation», sagt Dübendorfer ruhig und beginnt mit der Behandlung der Frau. Währenddessen fragt er den anwesenden Sohn: «Leidet sie an einer Krankheit? Nimmt sie Medikamente?»
«Das ist mein Traumjob»
«Sie hat vor ungefähr vier Tagen aufgehört, zu essen», sagt der Sohn der Frau und tigert in Sorge im Zimmer umher. Zeitweise sind nur die schnellen Pieptöne des Herzüberwachungsmonitors und das Rascheln von Dübendorfers Arbeit zu hören. Der Blick-Reporter wird kurzerhand eingebunden und angewiesen, die Trage zu holen.
Weil ihre Krampfanfälle nicht aufhören, wird die Frau notfallmässig noch während der Bergung im Erdgeschoss – mitten auf dem Gang – in eine Narkose versetzt. Zwei Polizisten sind ebenfalls da, sie weisen Schaulustige weg und regeln draussen den Verkehr. Im Nieselregen tragen die Einsatzkräfte die Patientin durch den Feierabendverkehr über die Strasse und in den Helikopter. Die Einsatzzeiten sind beeindruckend:
- Alarmierung via Notruf 144: 16.25 Uhr
- Ankunft bei der Patientin: 16.33 Uhr
- Transportbeginn: 17.05 Uhr
- Ankunft in der Klinik: 17.11 Uhr
Nach der Ankunft im Unispital in Zürich sagt Pilot Andreas Pally zu Blick: «Du hast heute etwas erlebt, was nur die wenigsten je erleben. Einen Helikopterflug im Dunkeln über Zürich.» Doch der Blick-Reporter hat an diesem Tag weit mehr erlebt als nur das. Präzision, Professionalität und Menschlichkeit, die ihresgleichen suchen. Kein Wunder, sagen vom Piloten bis zum Notarzt alle Interviewten: «Das ist mein Traumjob.»
* Namen geändert