Zebrastreifen-Irrsinn
«Ich wurde angefahren und dafür auch noch verurteilt»

Ungläubig schaut Andrea Imhof (38) auf das Gerichtsurteil, das vor ihr auf dem Stubentisch daheim in Basel liegt. «Jetzt bin ich gleich doppelt ein Opfer», sagt die gelernte Flugbegleiterin.
Publiziert: 20.01.2012 um 23:56 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:49 Uhr
Andrea Imhof vor dem Zebrastreifen beim Basler Picassoplatz.
Foto: André Albrecht
Von Michael Spillmann

Es ist unfassbar: Erst wird Andrea Imhof (38) auf dem Zebrastreifen von einem Auto angefahren. «Und dann wurde ich dafür auch noch verurteilt!»

Es passiert am 23. September 2010. Andrea Imhof ist nach der Mittagspause auf dem Rückweg zur Arbeit. Um 13.15 Uhr will sie beim Basler Picassoplatz über die Strasse. «Ich war nicht unter Zeitdruck. Ich liess noch einen Velofahrer passieren, sah in einiger Entfernung ein Auto. Ich dachte mir, das reicht.»

Ein folgenschwerer Irrtum. Der Autofahrer (80) erwischt Andrea Imhof am Oberschenkel, sie wird zwei Meter durch die Luft geschleudert, schlägt auf dem Boden auf. «Ich weiss noch, dass sich Leute über mich gebeugt haben. Der Fahrer blieb geschockt im Auto sitzen. Im Schock spürte ich keinen Schmerz, aber ich zitterte am ganzen Körper.»

Die Ambulanz holt Imhof ab, auf der Fahrt ins Spital wird sie ohnmächtig. Zwei Wochen ist sie krankgeschrieben, einen Monat hinkt sie beim Gehen. «Der Autofahrer hat angerufen und sich bei mir entschuldigt. Er sagte mir, er habe mich nicht gesehen», so Andrea Imhof.

«Sie haben gesagt, mich treffe eine Mitschuld»

Der Rentner schickt ihr sogar Büchergutscheine für 150 Franken, damit sie sich etwas zum Lesen kaufen kann. Doch dann fängt alles erst an: Zwei Monate später meldet sich die Polizei, Andrea Imhof wird auf den Posten bestellt. «Ich habe gedacht, ich müsse noch einmal aussagen.» Weit gefehlt! «Sie haben mir gesagt,dass ich selber Angeklagte bin. Ich konnte das nicht glauben.» Der Grund: Eine Zeugin hatte sich bei der Polizei gemeldet und ausgesagt, Andrea Imhof sei ohne einen Blick nach rechts oder links über die Strasse gegangen.

Eine Aussage mit Folgen: Anfang September 2011 flattert bei Andrea Imhof der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt ins Haus. Wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln soll sie inklusive Gebühren 442 Franken bezahlen. «Der Autofahrer musste 6000 Franken bezahlen, dreieinhalb Monate sein Billett abgeben. Aber sie haben gesagt, mich treffe eine Mitschuld.»
Andrea Imhof setzt sich zur Wehr, legt Einspruch ein. Am Freitag letzter Woche kommt es zur Gerichtsverhandlung. Eineinhalb Stunden dauert sie.

Grund zur Freude gibt es für Andrea Imhof nicht: Es bleibt beim Urteil. «Der Richter meinte, die Zeugin habe keinen Grund zu lügen. Dabei ging ich über den Zebrastreifen wie schon 1000-mal zuvor. Sogar der Autofahrer sagte mir am Telefon, der Vorwurf gegen mich sei lächerlich.»

Sie überlegt sich, das Urteil weiterzuziehen. «Wenn ich zahle, dann ist das doch ein Schuldeingeständnis, oder nicht?»

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