«Viele wollen schneller als 20 km/h fahren»
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KissMyWheels-Mitgründer:«Dieses Trottinett kann man per App 55 km/h schnell machen»

Aufgemotzt, frisiert – bis zu 110 km/h schnell
Turbo-Trottis erobern Schweizer Strassen

Sie sehen aus wie Spielzeug und fahren wie Motorräder. Frisierte, überschnelle E-Trottis und E-Roller sind auf dem Vormarsch. Zeit für strengere Regeln?
Publiziert: 08.11.2025 um 23:58 Uhr
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Auf der Strasse immer öfter anzutreffen: E-Trottinett.
Foto: Philippe Rossier

Darum gehts

  • E-Trottis: Zunehmendes Problem mit zu schnellen und frisierten Fahrzeugen
  • Polizei stellt vermehrt illegale E-Trottis sicher, Strafen können hoch ausfallen
  • 2021 gab es 89 Schwerverletzte bei E-Trotti-Unfällen, 2024 bereits 139
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Kurz nach 20:15 Uhr entdecken sie ihn – den Elektro-Flitzer. Die Polizisten wollen den Schweizer (49) stoppen, er rast auf seinem E-Trotti davon, die Gesetzeshüter mit Blaulicht hinterher. Dann passiert es. Der Mann biegt übereilt in eine Kurve, streift ein Tram und stürzt. Ab hier will er zu Fuss fliehen, doch die Ordnungshüter packen zu. Ende Oktober wird die Verfolgungsjagd publik. In einer Mitteilung schreibt die Stadtpolizei Zürich trocken: «Zu schnell – aber nicht für die Polizei».

E-Trotti kann über 100 km/h, statt den erlaubten 20 km/h fahren
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Stadtpolizei Zürich testet:E-Trotti kann über 100 km/h, statt den erlaubten 20 km/h fahren

Ein E-Trotti darf 20 km/h fahren. Der sichergestellte Scooter schafft 110 km/h. Ein Video der Geschwindigkeitsmessung geht in den sozialen Medien viral. Schweizer, deutsche, amerikanische, ja selbst rumänische Nachrichtenportale berichten. Aber ist dieser Flitzer auch so aussergewöhnlich wie sein Medienecho?

Blick hat bei mehreren Polizeikorps nachgefragt, alle bestätigen: Zu schnelle E-Trottis sind ein zunehmendes Problem. Ebenso E-Roller, die eigentlich nur 25 km/h fahren dürften. In Bern stellt die Kantonspolizei jährlich 70 bis 80 E-Trottis und E-Roller sicher, in Basel-Stadt sind es etwa zehn pro Monat. Spitzenreiter ist Zürich. Im laufenden Jahr hat die Stadtpolizei 302 Personen mit solchen Gefährten verzeigt, darunter 116 E-Trotti-Fahrer. 

6000 Franken Strafe

Wer seinen Scooter aufmotzt, kassiert nicht einfach eine Busse, sondern eine Anzeige. Über die Höhe der Strafe entscheidet die Staatsanwaltschaft, je nach Ausmass des Tunings, der gefahrenen Geschwindigkeit und dem Gefährdungspotenzial. Möglich sind hohe Geldstrafen. Am Bezirksgericht Baden AG musste ein verurteilter Mann 6000 Franken bezahlen. Zudem werden die Trottis sichergestellt und teils «verwertet», also verschrottet, schreibt die Stadtpolizei St. Gallen. 

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Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene flitzen auf E-Gefährten. Was früher das Puch-Mofa war, ist für manche heute das E-Trotti. Sie frisieren, manipulieren, optimieren. Mit Mofaschein können sie ab 14 damit herumfahren, ab 16 gar ohne Führerausweis, ohne Zulassung und ohne Nummernschild. Werden sie mit ihren E-Rollern geblitzt, machen die Gesetzeshüter die Faust im Sack. 

Ob E-Trotti oder E-Roller, letztlich kommen all diese Fahrzeuge aus China. Seit ein paar Jahren fluten die Chinesen den europäischen Markt mit immer neuen Modellen. Es gibt Trotti mit einem Rad, mit zwei Rädern, mit drei, vier. Bei manchen lässt sich ein Sitz anschrauben, bei anderen gleicht der Lenker einer Harley. Kurz: Es ist kompliziert. Und das zeigt sich in der Sprache. Die Behörden üben sich in Beamtendeutsch, sprechen von «Stehrollern», «Trendfahrzeugen» oder «Leichtmotorfahrrädern», damit die E-Roller nicht vergessen gehen. 

Mit den Geräten steigt die Zahl der Unfälle. Das Bundesamt für Strassen (Astra) verzeichnete 2019 schweizweit 19 Schwerverletzte bei E-Trottis. 2021 waren es 89, 2024 dann 139. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung hat die Zahlen analysiert: Neun von zehn Schwerverletzten tragen keinen Helm. Bei 40 Prozent der Alleinunfälle ist Alkohol im Spiel. Angaben zu E-Rollern fehlen, da sie in der Statistik nicht separat ausgewiesen sind.

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Turbo-Trottis werden nicht nur heimlich frisiert. Sie werden offen verkauft. Online-Shops wie Galaxus bieten zu schnelle Modelle an. Nicht selten tragen die Boliden martialische Namen: «Dualtron Thunder 3» oder «Kaabo Wolf Warrior King GTR» – beides Maschinen, die über 100 km/h schaffen. Das ist legal, solange die Händler erwähnen, dass die Gefährte im Strassenverkehr nicht zugelassen sind. Wer so ein Trotti kauft, darf nur auf privatem Grund fahren. Fragt sich, wer mit 100 km/h um die eigene Hütte rast. 

Einer, der solche Flitzer repariert, frisiert und verkauft, ist Guilhem Gobillion (41), Co-Besitzer von «KissMyWheels». Vier Shops betreibt er in der Schweiz, bald will er eine weitere Filiale in Zürich eröffnen. «Das Geschäft läuft gut», sagt Gobillion. Dass er die Geräte aufmotzt, findet der Geschäftsmann unproblematisch. Er erkläre seinen Kunden immer die Vorschriften. «Was sie dann machen, ist nicht mein Problem.» Ein Autoverkäufer sei ja auch nicht verantwortlich, wenn ein Kunde rast.

Sind 20 km/h zu langsam?

Gobillion verkauft sogenannte Tuning-Chips, die den Motor entdrosseln. Einmal eingebaut, lässt sich die Geschwindigkeitslimite per App anpassen. Alles kinderleicht. Funktioniert das nicht, wird die gesamte Technik ersetzt. «Jedes Trotti lässt sich frisieren», sagt Gobillion. Viele seiner Kunden fänden, 20 km/h sei zu langsam. «Wenn die Autos an einem vorbeiziehen, ist das unangenehm.» 30 oder 40 km/h finde er vernünftig.

Inzwischen gebe es stabile, sichere Trottis, mit denen sich problemlos schneller fahren lasse. Gobillion zeigt auf ein 65 Kilo schweres Gerät, mit hydraulischen Bremsen, vorne und hinten gefedert, 4500 Franken teuer, «der Mustang der Trottis». Das Problem sei nicht die Geschwindigkeit, meint er, «sondern dass die Leute die Regeln nicht kennen.»

Dass sich viele E-Trotti-Fahrer nicht an die Vorschriften halten, sagt auch der Touring Club Schweiz (TCS). «Ein grosses Problem» sei das. So sei es illegal, auf dem Trottoir zu fahren. Zudem benötige jedes E-Trotti ein Licht, «auch am Tag», sowie einen Blinker. Die Hand ausstrecken, um abzubiegen, funktioniere kaum, da am Lenker beschleunigt wird. Unkenntnis ist auch beim Tuning ein Problem. Billig-Trottis sind nicht für diese Geschwindigkeiten gebaut. Das Material verschleisst rasch, die Bremswege werden zu lang. 

GLP-Nationalrat Matthias Jauslin (63) hat genug davon. Diese Leute seien eine «Gefahr auf zwei Rädern», findet er. «Statt eine Prüfung zu machen, rasen sie rücksichtslos über den Asphalt.» Im Parlament hat Jauslin kürzlich eine breit abgestützte Motion eingereicht. Er fordert Kontrollschilder, eine Helmpflicht, einen Führerausweis und strengere Alterslimiten für E-Roller und «ähnliche Trendfahrzeuge». Die Behörden, sagt er, hätten «den technischen Fortschritt und die Bauarten dieser Geräte komplett unterschätzt». Eine Korrektur müsse «schnell» erfolgen. Die Politik will die Technik einholen. Fragt sich, wer schneller ist.

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