Alleinerziehend und verschuldet – Dok-Film beleuchtet Leben von Nathalie
«Ich will kein Sozialfall sein»

Der Dokumentarfilm «Nathalie» blickt auf eine Frau in der Schweiz, die in die Schuldenspirale geraten ist - und für die Aufgeben keine Option ist: witzig und berührend.
Publiziert: 09:14 Uhr
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Die Regisseurin und Produzentin Tamara Milosevic erzählt in ihren Filmen gerne von starken Frauen. Nach ihrem Dok-Film "Naïma" (2019) startet nun "Nathalie" in den Kinos, der zweite Teil einer geplanten Trilogie.
Foto: Handout: Tanja Häring

Darum gehts

  • Dokumentarfilm «Nathalie» zeigt die Kämpfe einer alleinerziehenden Mutter
  • Schulden und gesellschaftliche Tabus werden als zentrale Themen beleuchtet
  • «Nathalie» ist der zweite Teil einer geplanten Frauen-Trilogie
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Keystone-SDADie Schweizer Nachrichtenagentur

«Ich will kein Sozialfall sein», sagt Nathalie. Mitte 50, alleinerziehende Mutter, hoch verschuldet – und trotzdem voller Energie. Jetzt kommt ihre Geschichte ins Kino: Die Berner Regisseurin Tamara Milosevic hat Nathalie ein ganzes Porträt gewidmet.

«Schon bei unserer ersten Begegnung war für mich klar: über Nathalie muss man einen Film machen», sagt Milosevic im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Sie ist Regisseurin und Produzentin bei der Recycled TV in Bern. Nathalies Energie, Direktheit und ihr trockener Humor hätten sie sofort gepackt und ihre unerschütterliche Art, einfach weiterzumachen, egal, was komme, hätte sie beeindruckt.

Zweiter Teil einer Frauen-Trilogie

Milosevic erzählt gerne von starken Frauen in der Schweiz. Nathalie hat sie bei den Dreharbeiten zu ihrem Film «Naïma» kennengelernt – ebenfalls das Porträt einer Frau. Naïma Serroukh engagiert sich in Biel gegen religiöse Radikalisierung.

Nathalie ist ein Mensch mit vielen Facetten, mit einer bewegenden Biografie und einer nicht einfachen Familienkonstellation. Der Film «Nathalie», der jetzt in den Deutschschweizer Kinos startet, ist nach «Naïma» (2019) der zweite Teil einer geplanten Trilogie über ungewöhnliche Frauenbiografien. «Ich will zeigen, was sie alle verbindet: kämpfen, fallen, aufstehen, weitergehen», sagt die Regisseurin.

Im Dokumentarfilm lässt Nathalie viel Nähe zu. Sie exponiert sich. Es sei, so Milosevic, nicht schwierig gewesen, sie zu überzeugen. «Sie hat rasch zugesagt. Doch so schnell hat sie immer wieder auch abgesagt», sagt die Regisseurin und lacht. «Aber sie gab mir ihr Wort, dass wir das Projekt gemeinsam durchziehen. Auf Nathalies Wort ist Verlass.»

Schulden als Tabuthema

Bei ihrer Filmarbeit zeigt sich Milosevic offen für alle Formen, die zur Erzählung beitragen, formal und inhaltlich. Inszenierung habe genauso Platz wie Improvisation. «Als Regisseurin gestaltet man und ist keine neutrale Reporterin», sagt sie. Wichtig sei, die eigene Arbeitsweise für andere transparent zu machen.

Anders als in Österreich oder Deutschland, wo Menschen nach einigen Jahren am Existenzminimum schuldenfrei neu starten könnten, gäbe es in der Schweiz für die meisten Menschen keinen Weg aus den Schulden, so Milosevic. «Sie bleiben oft ein Leben lang am Existenzminimum hängen.»

In der Schweiz überhaupt über Schulden zu sprechen, sei nahezu ein Tabu. Und Schulden zu haben, gelte schnell als persönliches Versagen. «Doch so einfach ist es nicht», sagt die Regisseurin. Vor allem für Frauen nicht. Viele würden mit Teilzeitjobs, unbezahlter Care-Arbeit und Verantwortung für andere jonglieren. «Da braucht es oft nicht viel - eine Trennung, ein Krankheitsfall oder ein Jobverlust - und man steckt mitten in einer Abwärtsspirale.» Oft gerate man durch Lebensumstände in die Schuldenfalle und nicht durch ein Fehlverhalten.

Mehr als ein Einzelschicksal

«Nathalie» ist ein Dokument, das berührt und beeindruckt. Der Film weist über ein einzelnes Leben hinaus und stellt die viel grössere Frage: Wie solidarisch ist unsere Gesellschaft wirklich?

Tamara Milosevic zeigt sich überzeugt, dass das Kino die Kraft hat, Menschen zu berühren, zum Nachdenken zu bringen - und manchmal auch etwas in Bewegung zu setzen. «Wer ins Kino geht, will sich einlassen. Will tiefer tauchen. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Filmschaffende, wieder stärker über Kino zu sprechen und zu fragen, wie es relevanter und attraktiver werden kann.»

«Nathalie» jedenfalls hallt nach, begleitet über den Kinobesuch hinaus. Der Film zeigt, wie schwierig es sein kann, Vertrauen zuzulassen. Er zeigt, wie tief Verletzungen sitzen können. Und er macht deutlich, dass jedes Leben seine eigene Tragik hat.

Dabei mag sich manche Kinobesucherin, mancher Kinobesucher die Frage stellen, wie es Nathalie heute geht. Sie habe wieder mehr Aufträge, sagt Tamara Milosevic. Sie arbeite, aber ihr Alltag bleibe fordernd. Der Tod des Vaters ihrer Kinder, die Krankheit ihres Sohnes, das alles verlange ihr viel ab. Im Film sagt sie jedoch: «Ich kämpfe bis am Ende.»*

* Dieser Text von Raphael Amstutz, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

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