Albtraum nach Krebs-Diagnose – Swica wirft Franziska Servalli (57) Betrug vor
«Ich konnte diese Argumentation kaum fassen»

Franziska Servalli lebt ihren Traum vom eigenen Grotto, als sie an Krebs erkrankt. Doch plötzlich behauptet ihre Versicherung auch noch, sie hätte einen Betrug begangen.
Publiziert: 08.09.2025 um 19:17 Uhr
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Aktualisiert: 08.09.2025 um 20:24 Uhr
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Franziska Servalli auf der Terrasse ihres ehemaligen Grottos in Linescio TI.
Foto: Pablo Gianinazzi / Ti-press
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Raphael Brunner
Beobachter

Kehre um Kehre fährt der silberne Mazda die Strasse von Cevio im Maggiatal hoch nach Linescio im Valle Rovana – und Franziska Servalli wird immer stiller. Am Dorfeingang erblickt sie eine Tafel. «Benvenuti all’Osteria Sascola» steht drauf. «Die stammt noch von mir», sagt sie plötzlich aufgeregt.

Zum ersten Mal seit zwei Jahren kehrt die 57-Jährige in ihr altes Grotto zurück. Ein kleines, knallig rot gestrichenes Häuschen an der Ortseinfahrt. Ein Jahr lang hat sie hier ihren Traum vom eigenen Restaurant gelebt. Nur ein Jahr. Mit viel Arbeit, aber voller Pläne. Dann schlug der Krebs zu und machte die Wirtin zur IV-Rentnerin. Und danach kam die Sache mit der Swica, ihrer Versicherung.

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Bauchkrämpfe aus dem Nichts

Etwas schüchtern steht sie jetzt vor der Eingangstür. Eine mittelgrosse, unauffällige Frau in Regenjacke und Jeans, ihre Mischlingshündin Molly eng an der Leine. Dann gibt sie sich einen Ruck und betritt das Lokal. Das neue Pächterpaar bereitet gerade die baldige Neueröffnung vor, reinigt Weissweingläser und füllt Grappaflaschen in die Bar. «Buon giorno, ich bin Ihre Vorgängerin», sagt Franziska Servalli.

Ihre Leidensgeschichte begann am 25. März 2022, einem Freitagvormittag. Sie kaufte in Ascona Blumen ein für ein Fest zum einjährigen Bestehen ihrer Osteria. Auf einmal aber schüttelten sie heftige Bauchkrämpfe. Sie fuhr nach Hause und legte sich hin. Die Schmerzen wurden immer schlimmer. Am nächsten Morgen schleppte sie sich in die Notaufnahme, wo die Ärzte einen Darmverschluss feststellten. «Mit letzter Kraft sagte ich noch das Fest ab.»

Plötzlich zahlte die Swica nicht mehr

Bei der Notoperation entdeckten die Ärzte eine Neoplasie, einen Tumor im Dickdarm. Als sie zwei Monate später mit der Chemotherapie begann, musste die Mutter zweier erwachsener Töchter einsehen: Sie kann das Grotto nicht weiterführen. Schweren Herzens bat sie die Gemeinde als Besitzerin der Liegenschaft, den Mietvertrag für die Osteria Sascola aufzulösen.

Zum Glück war wenigstens das Finanzielle geregelt, dachte sie. Über Gastro Social, die Ausgleichskasse für die Gastronomie, hatte sie eine Krankentaggeldversicherung bei der Swica abgeschlossen. Anfänglich zahlte die Versicherung fast 4000 Franken im Monat. Doch nach vier Monaten, im August 2022, stoppten die Zahlungen plötzlich. Man habe festgestellt, dass sie schon vor ihrer Erkrankung den Betrieb in ihrer Osteria eingestellt habe, behauptete die Swica. Als sie krank wurde, sei sie darum nicht mehr versichert gewesen.

«Ich war geschockt, anfänglich aber überzeugt, dass sich alles rasch klären liesse», erzählt Servalli, während sie auf der Terrasse ihres ehemaligen Grottos einen Blick in jede Ecke wirft. Überall Erinnerungen. Einen Unterstand für Feuerholz, den Freunde für sie gezimmert haben. Ein altes Gitter, in dem sie Zwerghasen hielt.

Im Ungewissen gelassen

Die Sache mit der Swica aber war kein Missverständnis. Im Herbst 2022 blieben die Zahlungen weiter aus. «Dabei hatte ich zig Belege, dass ich bis zu meinem Zusammenbruch die Osteria geführt hatte und nie ans Aufhören dachte.» Die Bestellung für das Jubiläumsfest, eine neu erstellte Preisliste für den Sommer, der Mailverkehr mit der Gemeinde über neue Öffnungszeiten.

Die Swica aber wollte davon nichts wissen. Sie habe versucht, die Versicherung zu betrügen. Sie müsse alle bereits erhaltenen Gelder zurückzahlen, forderte sie von Servalli.

Die Osteria Sascola am Dorfeingang von Linescio.
Foto: Pablo Gianinazzi / Ti-press

Bei der Wirtin wuchs die Verzweiflung. Seit ihrer Chemotherapie muss sie alle paar Wochen zur Immuntherapie. Ausgelaugt liegt sie danach tagelang flach. Weil die Swica nicht mehr zahlte, ging ihr das Geld aus. Ihre Ersparnisse hatte die gelernte Coiffeuse in ihr Grotto gesteckt. Sie musste Sozialhilfe beantragen, verlor ihre Wohnung. «Nur weil enge Freunde mich finanziell unterstützten, konnte ich mich irgendwie über Wasser halten.»

Immer wieder suchte sie das Gespräch mit der lokalen Swica-Agentur. Wartete mehrmals stundenlang im Vorzimmer, bis sie mit einer verantwortlichen Person sprechen durfte. Man verwies sie an die Swica-Zentrale in Winterthur. Und von dort kam als Erklärung – nichts.

Erst vor Gericht erfuhr sie den wahren Vorwurf

Schliesslich wurde Servalli klar, dass ihr nur der Gang vor Gericht übrig bleiben würde. Erst da, beim Prozess am Tessiner Versicherungsgericht im Juni 2023 – mehr als ein Jahr nach ihrem Zusammenbruch – erfuhr Servalli, warum die Versicherung sie für eine Betrügerin hielt.

In einem ersten Schreiben an die Ausgleichskasse hatte sie den Donnerstag, den 24. März, als «Datum der Einstellung der Tätigkeit / letzten Arbeitstag» angegeben. Der Tag, an dem sie das letzte Mal im Grotto war. Am Tag danach konnte sie wegen der Bauchkrämpfe nicht mehr arbeiten. Offiziell krankgeschrieben wurde sie am Samstag, dem 26. März, dem Tag ihrer Spitaleinlieferung. Die «Einstellung der Tätigkeit» lag also zwei Tage vor der offiziellen Krankschreibung.

Für die Swica war das der Beweis dafür, dass Servalli bereits vor ihrer Erkrankung den Betrieb eingestellt und damit den Vertrag mit der Versicherung aufgelöst hatte. «Ich konnte diese Argumentation kaum fassen», sagt Servalli.

Ähnlich erging es den Richtern. Es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass die Wirtin schon vor ihrer Erkrankung ihre Arbeitstätigkeit eingestellt habe oder das beabsichtigt hätte, heisst es im Urteil des kantonalen Versicherungsgerichts. Alles deute auf das Gegenteil hin. Entscheidend sei, wie eine solche Angabe wirklich gemeint war, und nicht, wie man sie auch lesen könnte. Das Gericht gab Servalli in allen Punkten recht und forderte die Versicherung auf, die Krankentaggelder unverzüglich auszuzahlen: 41’000 Franken.

Versicherung unterliegt auf ganzer Linie

Doch die Swica gab sich nicht geschlagen und zog das Urteil ans Bundesgericht. Noch einmal musste Franziska Servalli ein ganzes Jahr ausharren, bis im Juli 2024 der endgültige Entscheid erfolgte: Die Versicherung unterlag auf ganzer Linie. Im Urteil heisst es: «Die Angabe des 24. März 2022 musste nach Treu und Glauben als letzter Arbeitstag verstanden werden», an dem Servalli «wie im Formular ausdrücklich angegeben krank war» – und nicht als Aufgabe des Betriebs.

Die Swica will sich zum Fall nicht mehr äussern. Für die Versicherung ist er abgeschlossen. Für Franziska Servalli aber nicht. Fast drei Jahre Kampf, kein Geld, keine Hilfe, der Vorwurf, eine Betrügerin zu sein. Der Besuch im Grotto hat sie aufgewühlt. Ja, sie habe inzwischen in ein neues Leben gefunden. «Die Ohnmacht und Verlorenheit dieser Zeit holen mich aber immer wieder heim.»

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