Darum gehts
- Zurich-CEO Mario Greco über globale Veränderungen und Chancen für die Schweiz
- Cyberangriffe als grösste Bedrohung für vernetzte Gesellschaften und Infrastrukturen
- Zurich gewinnt jährlich weltweit mehr als eine Million neue Kunden
Blick: Sie leiten ein globales Schweizer Unternehmen. Derzeit steht der Schweizer Standort immens unter Druck: Trumps Zollkrieg, geopolitische Unsicherheit, Konflikte in Europa. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Mario Greco: Wir erleben eine historische Veränderung des Gleichgewichts in der Welt, wirtschaftlich, sozial, politisch und militärisch. Solche radikalen Änderungen könnten uns verleiten, nur die Risiken zu sehen, uns auf die Dinge zu konzentrieren, die uns Angst machen. Aber so übersehen wir auch die vielen Möglichkeiten und neuen Chancen, die es gibt.
Welche Chancen?
Zuerst einmal: Wir sollten uns an die Unsicherheiten gewöhnen, denn es wird noch eine Weile Ungewissheiten, Veränderungen, Konflikte jeglicher Art geben, bevor sich die Welt wieder in eine Art Gleichgewicht einpendelt. Die Schweiz könnte dereinst eine noch bessere Rolle als in der Vergangenheit spielen, wenn sie die Karten richtig spielt. Das wird davon abhängen, wie jeder der Akteure diese Chance nutzt – auch die Schweiz.
Und wie wirkt sich die wachsende Unsicherheit auf Ihr Geschäft aus?
Von der amerikanischen Zollpolitik und von geopolitischen Spannungen ist das Versicherungsgeschäft nicht direkt betroffen. Viele Trends wirken sich aber auch auf uns aus. Die Veränderungen der globalen Handelswege und Lieferketten sind wichtig für uns als weltweit führender Anbieter von Bau- und Infrastrukturversicherungen. Der Wandel der Energiewirtschaft ist massiv. Dazu gehören die Entwicklung neuer Energiequellen, die Entwicklung von Anlagen, Fabriken für diese neuen Energien und deren technologische Weiterentwicklung. Das ist eine gewaltige Arbeit für uns. Vor zehn Jahren wussten wir noch nicht viel über diese Dinge, jetzt gehören wir zu den führenden Versicherungsunternehmen in diesem Bereich.
Zu den Veränderungen gehört auch die Häufung von Naturkatastrophen. Das betrifft Sie als Versicherer direkt.
Es gibt heute viel mehr Naturkatastrophen, die für Familien, Menschen, Unternehmen und ganze Branchen viel Leid bedeuten, das stimmt. Wir können sie nicht reduzieren oder beeinflussen, aber unsere Aufgabe ist es, zu versuchen, deren Auswirkungen und Schäden zu minimieren. Und genau daran haben wir intensiv gearbeitet. Wir beraten unsere Kunden bei der Prävention und wie sie die Auswirkungen von Naturkatastrophen abschwächen können.
Könnte es sein, dass die Hausratsversicherung in Blatten teurer wird als hier in Zürich?
Ja. Und ich denke, das ist fair, weil Blatten eine Schadens- und Ereignisgeschichte hat, die nicht jener von Zürich entspricht. Wenn man die Kosten ausgleicht, würden die Zürcher Kunden jene in Blatten subventionieren. Schon heute sind die Preise sehr differenziert. Wenn Sie ein Haus in einem erdbebengefährdeten Gebiet haben, zahlen Sie mehr als dort, wo Erdbeben keine Auswirkungen haben.
Eine Versicherung hat immer auch mit Solidarität zu tun. Aber Sie reden von einem fairen Preis.
Als ich anfing, Auto zu fahren, war der Preis für die Autoversicherung undifferenziert. Alle haben gleich viel bezahlt. Das war aber nicht solidarisch, sondern sozusagen eine Steuer für die guten Fahrer zugunsten der schlechten Fahrer. Das Solidaritätsprinzip sollte gelten, wenn es sich um zufällige Ereignisse handelt. Aber dieses Prinzip kann nicht gelten, wenn es eine Gewissheit bei zu erwartenden Ereignissen gibt. Wenn Sie also Ihr Haus am Ufer eines Flusses bauen, der dreimal im Jahr über die Ufer tritt, dann dürfen Sie nicht auf die Solidarität der andern zählen. Das ist Ihr Risiko und sollte entsprechend bepreist werden.
Die Schweiz sollte ihre Karten international richtig spielen, sagten Sie vorhin. Was muss getan werden?
Ich glaube nicht, dass jemand heute eine abschliessende Antwort darauf hat. Aber manche Werte, für die die Schweiz immer gestanden hat, sind heute sehr relevant. Erstens: Die Welt ist polarisiert. In einer polarisierten Welt ist jemand, der keiner der beiden Seiten angehört, sehr wichtig. Zweitens, wenn wir über Finanzzentren sprechen: Der Dollar verliert als Weltwährung an Attraktivität. Aber welches ist das Finanzzentrum der Zukunft? London hat vor einigen Jahren seinen Titel verloren. Und New York? Eher nicht. Ist es Peking? Offensichtlich noch nicht. Es handelt sich also um eine zunehmend multipolare Welt, in der Orte wie die Schweiz, wie Zürich, einen enormen Wert haben, vielleicht sogar grösser als zuvor. Mir scheint, es ist heute noch wertvoller, schweizerisch zu sein, als es vor 15 Jahren war.
Das tönt alles sehr beruhigend. Was sind denn andererseits die grössten Bedrohungen, die in der Zukunft auftreten werden?
Mein Verstand funktioniert so, dass ich mir zuerst die Chancen anschaue. Nun, was sind die Bedrohungen? Wir haben eine vernetzte Gesellschaft geschaffen, und die Schwachstelle einer digitalen Gesellschaft sind Cyberangriffe. Cyberangriffe nehmen zu und müssen heute höchste Priorität bei der Verteidigung haben. Und wir sehen ständig Beispiele dafür. Die digitale Vernetzung ist grundsätzlich grossartig, weil sie uns ein besseres Leben ermöglicht. Aber wir sind noch nicht zu 100 Prozent in der Lage, diese Bedrohungen und Risiken zu bewältigen. Letztendlich muss sich die militärische Abteilung jedes Landes damit befassen. Die wirklichen Risiken bestehen nicht darin, dass jemand Ihre oder meine Identität stiehlt …
Sondern?
… das wirkliche Risiko besteht darin, dass ein Cyberangriff wichtige Infrastrukturen wie Krankenhäuser, Flughäfen, Kraftwerke trifft und uns tagelang in die Dunkelheit versetzt. Das kann enorme Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben. Das ist die grösste Herausforderung. Cyberkriminalität ist eine Sache, bei der wir sehr vorsichtig sein müssen. Bei allem anderen denke ich, dass die Chancen die Risiken wirklich überwiegen.
Auch die künstliche Intelligenz dürfte Sie vor Herausforderungen stellen …
Es gibt einen klaren Aspekt, wo KI ihren Wert bewiesen hat. Das ist aber nicht wirklich revolutionär. KI ist eine Weiterentwicklung der digitalen Transformation und ermöglicht es uns, die Kunden besser zu bedienen, schneller, effizienter und reaktionsschneller zu sein, indem wir den Kunden rund um die Uhr Daten, Informationen und Ressourcen zur Verfügung stellen. Die Frage, die ich mir aber stelle, lautet: Kann KI auch revolutionär sein? Wie würde die Versicherungsbranche aussehen, wenn Computer und KI Versicherungen selbständig abwickeln könnten? So weit sind wir noch nicht. Die künstliche Intelligenz ist sehr leistungsfähig, aber sie macht noch zu viele Fehler. Wir können uns also bei der Kundeninteraktion nicht vollständig darauf verlassen.
Reguliert werden Sie von der Finma. Wie bei den Banken sind auch bei Ihnen die Regulierungen strenger als im Ausland – der berühmte Swiss Finish. Im Fall der Banken will der Bund die Regulierung nochmals verschärfen. Geht man zu weit?
Ich kenne die Situation der Banken nicht im Detail. Mein Schwerpunkt liegt auf Versicherungen und auf Zurich. Mir ist klar, dass Regulierung wichtig ist – für die Kunden, für den Ruf und für das Image eines Landes. Der sogenannte Schweizer Solvenztest gilt als eines der strengsten Regime für Versicherer weltweit. Trotzdem sind wir wettbewerbsfähig, haben uns angepasst und können erfolgreich im Markt bestehen.
Wie wichtig ist es für den Finanzplatz Schweiz, eine Bank wie die UBS zu haben?
Sehr wichtig. Wir brauchen mindestens eine Grossbank, die mit uns Geschäfte macht und hier ansässig ist. Der Schweiz-Bezug darf nicht unterschätzt werden. Wenn ich eine Bank um eine Dienstleistung anfrage, ist es viel bequemer und einfacher, mit einer Schweizer Bank zu arbeiten als mit einer ausländischen. Wir sind auf die Dienstleistungsbreite der UBS oder früher auf jene der Credit Suisse angewiesen. Ohne ein starkes Schweizer Bankensystem könnte ich Zurich nicht so führen, wie ich es heute tue – ich käme in ernsthafte Schwierigkeiten. Wir brauchen starke Schweizer Banken und insbesondere eine starke UBS.
Es wird lange dauern, bis eine andere Schweizer Bank die Lücke der Credit Suisse füllen kann. Gleichzeitig drängen vermehrt ausländische Banken in den Markt. Eine Chance für Zurich?
Wir sehen tatsächlich eine hohe Aktivität von ausländischen Banken in der Schweiz. Aber sie bleiben letztlich ausländisch. Das ist nicht dasselbe, wie wenn wir mit einer Kantonalbank oder mit der UBS zusammenarbeiten. Wir teilen mit Schweizer Banken den Standort und das Engagement für das Land. Wenn ich zum Telefon greife und sage, dass ich etwas brauche, habe ich innert zehn Minuten einen Termin.
In der Schweiz fusionieren Baloise und Helvetia und kommen Ihnen beim Marktanteil immer näher. Haben Sie den Heimmarkt vernachlässigt?
Nein, das sehe ich nicht so. Wir sind weiterhin die Nummer zwei in der Schweiz. Wichtig ist, unter den ersten drei zu sein. Der Schweizer Markt bleibt wichtig für uns. Für das Land ist es zudem positiv, dass mit der neuen Gruppe ein weiterer starker und solider Akteur entsteht. In fast jedem Land gibt es zu viele Versicherungsgesellschaften. Konsolidierung ist deshalb sinnvoll, weil kleinere Anbieter oft nicht mehr in der Lage sind, wettbewerbsfähige Dienstleistungen oder einen guten Kundenservice anzubieten. Je professioneller die Branche wird, desto besser auch für uns.
Aber hätten Sie Baloise gerne übernommen, wenn sich die Gelegenheit geboten hätte?
Ich glaube nicht, dass Baloise von uns hätte übernommen werden wollen. Baloise und Zurich standen sich nie im feindlichen Sinn gegenüber. Ein feindliches Übernahmeangebot wäre für uns nie infrage gekommen.
Ist die Konsolidierung in der Schweiz mit diesem Deal abgeschlossen, oder sehen Sie weitere Möglichkeiten?
Ich sehe im Moment keine unmittelbaren Gelegenheiten, aber ich glaube nicht, dass die Konsolidierung vorbei ist. Das Versicherungswesen ist weltweit stark fragmentiert. Überall wird sich die Konsolidierung fortsetzen – sei es durch Fusionen und Übernahmen oder weil sich die Kundenbedürfnisse verändern. Wir selbst gewinnen jedes Jahr weltweit mehr als eine Million neue Kunden. Auch das ist eine Form von Konsolidierung.
Sie engagieren sich bei der Zurich sehr für das Klima, für eine Netto-Null-Politik und gegen neue Öl- und Gasexplorationsprojekte. Die neue Regierung in Washington forciert eine Gegenentwicklung. Ändern Sie Ihre Politik in dieser Hinsicht?
Wir haben die Versicherung neuer Projekte im Bereich fossiler Brennstoffe vor einigen Jahren eingestellt und arbeiten stattdessen mit den Unternehmen zusammen, um sie bei ihrem Wandel zu unterstützen. Wir versichern auch die Folgen von Naturkatastrophen. Wir bekommen hautnah die Veränderungen mit, wir sehen die Konsequenzen der Klimaerwärmung. Ich verstehe und anerkenne aber die Tatsache, dass wir heutzutage mehr Energie brauchen. Ja, wir brauchen nicht weniger, wir brauchen sogar viel mehr. Künstliche Intelligenz verbraucht viel mehr Energie als je zuvor.
Sie haben auch Ihre internen CO2-Richtlinien. Fliegen Sie nicht zu Meetings?
Wir haben Budgets und Einschränkungen für geschäftliche Flugreisen, ja. Es gibt also einen Anreiz für einen kulturellen Wandel. Früher flog man für ein Lunchmeeting nach London. Das ist heute nicht mehr zeitgemäss. Wer nach London fliegt, soll das machen, weil er dort eine geschäftliche Chance sieht und die Gelegenheit wahrnimmt, um drei, vier, fünf Treffen zu organisieren. Ich kann Ihnen sagen, dass bei uns niemand reist, wenn es keine Geschäftsmöglichkeit gibt.
Gleichzeitig sind Sie ein global tätiges Unternehmen.
Eines ist klar: Wir respektieren jedes Treffen mit dem Kunden, jedes Treffen mit der Aufsichtsbehörde. Aber all die internen Meetings – Leute, die reisen, um Arbeitskollegen zu treffen, oder auch, um an einem Branchenanlass teilzunehmen – das machen wir nicht mehr. Es gab Zeiten, in denen sich 100 Leute in Miami trafen, um die Zukunft ihres Geschäfts zu besprechen. Das braucht man nicht, um erfolgreich zu sein.
Steigt damit nicht das Risiko, dass die Firmenidentität der Zurich-Mitarbeitenden abhandenkommt?
Nein. Um die Kultur von 63’000 Menschen zu pflegen, müssen Sie klare Leitlinien vorgeben und gemeinsame Ziele und Werte verfolgen. Es ist nicht notwendig, dass ständig Leute zusammen fliegen. Bevor wir eine lange Geschäftsreise machen, sollten wir uns alle überlegen, ob es Sinn macht. Aus Umweltgründen, ja, aber auch aus ganz praktischen Gründen. Denken Sie nur schon an die Zeit, die Sie verlieren. Selbst hier in Zürich braucht man 40 Minuten, um zum Flughafen zu kommen, dann verbringen Sie mindestens eine halbe Stunde am Flughafen. Dann sitzt man eine, zwei oder zehn Stunden ohne Verbindung im Flugzeug. Und wenn man ankommt, hat man einen Jetlag, kann nicht auf E-Mails antworten und so weiter. Ist es das wert? Vielleicht ja, aber man muss es sich gut überlegen.
Sie sind 66 Jahre alt. Wie lange wollen Sie noch Konzernchef bleiben?
Wir verfolgen Dreijahres-Strategiezyklen und darauf einigen wir uns jeweils zusammen mit dem Verwaltungsrat. Jetzt haben wir einen Plan bis Ende 2027. Und ich und der Verwaltungsrat sind entschlossen, diesen Plan zu erfüllen. Danach werden wir sehen, was zu tun ist, wie der nächste Plan aussieht. Und ob ich die richtige Person für den nächsten Plan sein werde oder jemand anderes.