Darum gehts
«Der Plan des Bundesrats ist völlig realitätsfern. Die Schweiz wird das Klimaziel nicht erreichen.» Das sagt nicht irgendwer, sondern Marco Berg, der Chef der Stiftung Klimaschutz und CO₂-Kompensation (Klik). Die Stiftung soll im Auftrag des Bundes die Kompensationspflicht der Treibstoffimporteure umsetzen – und damit einen grossen Brocken des Schweizer Klimaziels stemmen.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Probieren Sie die Mobile-App aus!
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Probieren Sie die Mobile-App aus!
Das Ziel lautet: eine Reduktion der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um mindestens 50 Prozent bis 2030. Dazu hat sich die Schweiz im Pariser Klimaabkommen verpflichtet. Und so will es auch das vom Parlament verabschiedete CO₂-Gesetz.
Die Schweiz will sehr viel CO₂ im Ausland kompensieren
Ein ganzer Drittel dieser CO₂-Einsparungen – konkret: 34 Millionen Tonnen – soll im Ausland realisiert werden. Dem Klima sei es schliesslich egal, wo das CO₂ eingespart werde. Zudem seien klimaschonende Projekte im Ausland nicht nur billiger, sondern pro eingesetzten Franken auch effizienter. So die beliebte Argumentation in Bundesbern.
In Zukunft könnte es sogar sein, dass noch mehr im Ausland kompensiert werden muss. Gerade hat der Bundesrat über die Eckwerte der Schweizer Klimapolitik bis 2040 informiert. Die Auslandskompensationen erwähnt er darin zwar mit keinem Wort. Er schreibt sogar, dass «der Anteil an Massnahmen zur Emissionsverminderung im Inland laufend ausgebaut werden» soll.
Was wie ein Richtungswechsel tönt, interpretiert Delia Berner, Klimaexpertin von Alliance Sud, genau umgekehrt: «Das ist ein Trugschluss und irreführend», sagt sie. «Wenn der Bundesrat das Gesetz nicht substanziell verschärft, wird er sich in absoluten Zahlen noch mehr aufs Ausland abstützen müssen. Nicht zuletzt, weil das Klimaziel im nächsten Jahrzehnt höher wird.»
Elektrobusse in Thailand mit Startschwierigkeiten
Dass diese CO₂-Kompensationen im Ausland überhaupt möglich sind, dafür hat sich die Schweiz an vorderster Front eingesetzt. Der entsprechende Artikel 6 im Pariser Klimaabkommen erlaubt es Staaten – böse Zungen sprechen von modernem Ablasshandel –, im Ausland realisierten Klimaschutz ans eigene nationale Klimaziel anzurechnen.
Das erste Projekt dieser Art setzte der Bund in Thailand um. Mit dem Geld der Treibstoffimporteure, die dafür 5 Rappen pro Liter Benzin von den Autofahrerinnen und -fahrern verlangen dürfen, wurden dort Erdgasbusse durch ökologische Elektrobusse ersetzt.
Am 15. Dezember 2023 war es dann so weit: Für die 1916 Tonnen CO₂, die sich dadurch einsparen liessen, wurden der Schweiz 1916 Bescheinigungen im nationalen Emissionshandelsregister gutgeschrieben. Um eine Doppelzählung zu vermeiden, wurden sie gleichzeitig im thailändischen Register «stillgelegt». Es war das erste Mal weltweit, dass eine solche Transaktion überhaupt stattfand. Ein globales Prestigeprojekt.
Wenn auch mit Nebengeräuschen. Der Beobachter berichtete zum Beispiel mehrfach über arbeitsrechtliche Probleme bei der thailändischen Busherstellerin.
Gerade mal 0,04 Prozent der CO₂-Kompensation sind geschafft
Viel zu feiern gabs seither nicht mehr. Auch wenn die Korken eineinhalb Jahre später, am 7. Juli 2025, noch einmal knallten, und zwar in Ghana. Dort zelebrierten die Schweizer Botschafterin und ghanaische Minister die Transaktion von weiteren 11’733 Bescheinigungen. Die sogenannten ITMOs (Internationally Transferred Mitigation Outcomes) wurden dem Schweizer Emissionshandelsregister verbucht, für ebenso viele eingesparte Tonnen CO₂ – dank effizienten Holzkohlekochern, ebenfalls finanziert von der Schweiz.
Aber das wars bisher. Dabei braucht die Schweiz bis 2030 rund 34 Millionen ITMOs. Bis heute wurden jedoch erst 13’649 in die Schweiz geliefert. Das sind 0,04 Prozent. Wie bloss soll der Plan bis in viereinhalb Jahren aufgehen?
«Das ist wie ein langer amerikanischer Güterzug mit ganz vielen Wagen, der ganz langsam in Fahrt kommt», sagt Marco Berg. Die Stiftung Klik brauche etwa 30 Projekte, um die gesetzliche Kompensationspflicht zu erfüllen. Weil immer etwas schiefgehen könne, plane man aber 70 Projekte. Dass die Klik gut daran tut, möglichst breit zu denken, dokumentiert nicht nur das E-Bus-Projekt in Thailand.
Auch das Kocherprojekt in Ghana läuft nicht reibungslos, der Klik-Stiftungsrat hatte es vorübergehend sogar sistiert. Das zeigen Dokumente, die der Beobachter, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz, erhalten hat.
Die Stiftung hat viele Klimaschutzprojekte im Köcher. Von landwirtschaftlichen Biogasanlagen über Kocher und E-Mobilität bis zu Fotovoltaikprojekten. Diese kenne man heute alle schon, das sei nicht das Problem, meint Marco Berg von der Klik. Vor allem in der Verantwortung sei das Bundesamt für Umwelt (Bafu). Die technische Prüfung der 20 hängigen Projekte habe sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Und bis Ende Jahr kämen nochmals 20 hinzu. «Das Bafu ist ein Nadelöhr», sagt Berg.
Es knirscht zwischen der Stiftung und dem Bundesamt
Die Klik beschwerte sich schon im Jahresbericht 2024 über «langwierige Bewilligungsprozesse» und Perfektionismus bei der Verwaltung. Das Bafu verteidigt sich. Die vom Bafu und vom Bundesamt für Energie (BFE) gemeinsam geführte Geschäftsstelle Kompensation autorisiere die ersten derartigen Projekte, und zwar weltweit. Und das nach den hohen Anforderungen der heimischen CO₂-Verordnung und gemäss bilateralen Abkommen. Und mit jedem neuen Projekt müssten neue Prozesse mit den jeweiligen Partnerstaaten aufgebaut werden.
Immerhin geht das Bafu davon aus, dass die Bearbeitungszeiten künftig kürzer werden. Und schiesst zugleich zurück an die Adresse der Klik: «Je nach Qualität der eingereichten Projekte können die Abklärungen mehr oder weniger Zeit in Anspruch nehmen.»
Noch fehlen Hunderte Millionen Franken
Doch es sind nicht nur die Auslandprojekte, bei denen es klemmt. Es klafft auch eine riesige Lücke in der Finanzierung: Von den 34 Millionen Tonnen CO₂, die bis 2030 im Ausland kompensiert werden müssen, laufen nur geschätzt 23 Millionen über die Klik. Genauere Zahlen nennt der Bund auf Anfrage zwar nicht.
In der Antwort auf eine Interpellation von Mitte-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach – sie wollte wissen, ob der Plan mit den Kompensationen im Ausland noch aufgehe – geht der Bundesrat aber davon aus, dass noch 11 Millionen Tonnen CO₂ zur Zielerreichung fehlen. Und um auch noch diese letzte Meile zu schaffen, benötige der Bund zusätzlich rund 400 Millionen Franken.
Der Bundesrat werde «rechtzeitig» mit dem Parlament eine Aussprache über die Zielerreichung führen. Eine Überprüfung ist gemäss Bafu im Jahr 2027 geplant. «Rechtzeitig»? Drei Jahre vor dem Zieltermin?
Die Treibstoffimporteure sperren sich erfolgreich
Gemäss CO₂-Gesetz kann die Schweiz mit Steuergeldern zusätzliche Bescheinigungen kaufen – wenn das Parlament die Gelder dafür freigibt. Oder sie kann den Treibstoffimporteuren einen höheren Kompensationssatz auferlegen. Diese dürfen zwar nur 5 Rappen pro Liter Benzin von den Autofahrerinnen und -fahrern einsacken.
Aber rein rechtlich dürfte der Bundesrat sie zwingen, bis zu 90 Prozent ihrer Emissionen zu kompensieren. Bedeutet: Sie müssten viel tiefer in die eigene Tasche greifen. Nur haben sie dagegen bisher erfolgreich lobbyiert; der Kompensationssatz liegt aktuell bei weniger als 50 Prozent.
Fest steht: Die Schweiz hat versucht, mit dem klimapolitischen Sonderzügli der CO₂-Kompensation im Ausland billiger davonzukommen. Der Plan scheint nicht aufzugehen. Heute ist das Pariser Klimaziel von 2030 völlig ausser Reichweite.