Darum gehts
- Das grosse Exklusiv-Interview zum 85. Geburtstag
- Christoph Blochers grosse Kämpfe, seine Niederlagen, seine Firma
- Wer Blochers Lieblingsgegner war
Er gab zu reden und gab der Schweiz die Themen, über die sie redete: EU, Asyl, Zuwanderung. Christoph Blocher prägte die Schweizer Politik – wie kein anderer Mann seiner Generation.
Am Samstag wurde der SVP-Doyen 85. Blocher feierte den Geburtstag mit seiner Familie und wollte kein grosses Fest. Wenige Tage zuvor hat Blick den alt Bundesrat zum grossen Interview getroffen und mit ihm über seine prägenden Jahre, die Ängste und seine Wünsche gesprochen.
Blocher machte die Ems-Chemie zum Milliardenkonzern, er war Bundesrat, seine Kunstsammlung ist herausragend. Aber am Ende des Gespräches wird er sagen: «Ich lege keinen grossen Wert darauf, dass ich in Erinnerung bleibe.»
Herr Blocher, was wünschen Sie sich zum 85. Geburtstag?
Christoph Blocher: Mit 85 hat man andere Wünsche als mit 20. Ich bin dankbar für jeden Tag und glücklich, dass ich noch immer arbeiten kann.
Sie sind ein erfolgreicher Unternehmer, waren Bundesrat. Gibt es etwas, was Sie gerne gemacht hätten, aber nicht geschafft haben?
Da kommt mir jetzt gerade nichts in den Sinn. Aber politisch müssen wir das Gleiche tun wie vor 30, 35 Jahren, nämlich dafür sorgen, dass die Schweiz selbständig, freiheitlich, wohlhabend, streng neutral und sicher bleibt. Es wäre mein Wunsch, dass dies so bleibt.
Was war das Erfolgsrezept für Ihre Karriere?
Das tun, was man für richtig hält, und nicht aus Angst vor anderen stets fragen: Was denken die anderen? Was könnte mir passieren? Vieles ist gelungen, doch da war auch Zufall im Spiel – es hätte auch anders kommen können. Für vieles konnte ich nichts, zum Beispiel für meine Geburt.
Welche Diagnose geben Sie der Schweiz gerade?
Leider keine gute. Die Schweiz fängt an zu verlottern. Nicht durch die Bevölkerung, aber durch die Politiker. Die glauben nicht mehr an die Stärke des eigenen Landes und des Volkes. Deshalb wollen sie das Land in die Europäische Union einbinden. Mit einem Vertragspaket soll die EU bestimmen, was in der Schweiz passiert – eine EU, der es miserabel geht. Da würde die Schweiz mithineingerissen.
Wir haben am Rande von Europa Krieg. Im Zollstreit mit den USA steht die Schweiz alleine da. Muss da die Schweiz nicht Allianzen suchen – auch mit Europa?
Keine Allianzen, bei denen andere befehlen. Nein, die Schweiz darf sich keinesfalls an die EU ausliefern.
Ist ein starkes und friedliches Europa nicht Garant für die Sicherheit der Schweiz?
Ich bin 1940 geboren. Wir hatten den Krieg nicht nur am Rand Europas, sondern mitten in Europa. Die Schweiz war umzingelt. Aber sie konnte den Frieden wahren, weil sie die dauernde, bewaffnete und vollständige schweizerische Neutralität hochhielt und nicht Partei nahm. Heute sind wir daran, dies preiszugeben. Die Schweiz macht jetzt bei nicht militärischen Zwangsmassnahmen mit und ist jetzt eine Kriegspartei. Russland behandelt die Schweiz bereits so. So bietet die Schweiz Angriffsfläche und zieht den Feind an.
Die Armee ist nicht vorbereitet auf einen Krieg. Wäre eine Allianz mit Europa nicht alleine deshalb sinnvoll?
Nein. Wenn wir mit den Nato-Staaten kooperieren, sind wir für alle, die mit der Nato Krieg führen, auch Partei. Wir müssen selber so stark sein, dass wir einem möglichen Gegner so viele Nachteile zufügen können, dass er uns gar nicht angreift. Aber es ist tatsächlich eine grosse Enttäuschung, wie man in den letzten 40 Jahren die Armee runtergefahren hat. Ich habe da immer Widerstand geleistet.
Es waren Ihre Parteikollegen, die sehr lange das Verteidigungsdepartement führten.
Das entschuldigt nichts. Unter Ueli Maurer hat es etwas gekehrt. Der Ständerat hat ihn aber nach Hause geschickt und ihm mehr Abbau bei der Armee verordnet. Wir haben gemacht, was wir konnten. Jetzt erhöht man das Budget. Das ist ein Anfang, immerhin.
Haben Sie Angst, dass es zu einem Dritten Weltkrieg kommt?
Eindeutig. Die Gefahr besteht. Schauen Sie in die Ukraine: Die Nato geht nicht selbst hinein. Aber sie liefert die Waffen. Da ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis die Russen sagen: Jetzt schlagen wir zurück. Von Polen ist Deutschland nicht mehr weit.
US-Präsident Donald Trump scheint Europa nicht zwingend helfen zu wollen.
Die Amerikaner haben erkannt, dass sie zu schwach sind, überall auf der Welt ihre Position zu verteidigen. Ihr Fokus liegt jetzt auf China und dem südpazifischen Meer, im Nahen Osten und in Israel. Darum sagt der amerikanische Präsident: Europa, macht euren Dreck alleine!
Haben Sie und die SVP sich in Trump geirrt? Sie sprachen kürzlich noch von einem Freihandelsabkommen. Jetzt hat die Schweiz 39 Prozent Zoll.
Das Freihandelsabkommen ist noch nicht aufzugeben, auch wenn es nicht mehr ganz so günstig aussieht.
Das tönt nicht nach viel Kritik an Donald Trump.
Die Situation ist unerfreulich für uns. Auf der Welt zählt wieder die Macht, nicht das Recht. Der amerikanische Präsident kehrt ins Wirtschaftssystem des 19. Jahrhunderts zurück: Er will mit Zöllen den eigenen Standort schützen. Trump ist aber auch pragmatisch. Wenn er merkt, dass es nicht geht, kehrt er wieder. Vielleicht etwas allzu oft.
Sie scheinen nicht besonders aufgeregt über die Zollsituation.
Bern muss jetzt verhandeln. Aber wir verkraften das in der Schweiz. Wir haben schon Schlimmeres verkraftet. Zum Beispiel bei den Währungen. Am Anfang trifft es Firmen sicher hart. Aber wir sind einer der stärksten Staaten, obwohl wir klein sind, keine Rohstoffe und keinen Meerzugang haben. Das hat uns gezwungen, innovativer zu sein als die anderen. Das hilft uns, wenn wir daran festhalten.
Die SVP hat oft mit den Linken gestritten. Aber eigentlich war doch die FDP Ihr Hauptfeind. Sie haben die Partei massiv geschwächt.
Die FDP ist nicht unser Feind. Aber wir haben sie kritisiert, weil sie sich nicht treu geblieben ist. Sie hat bei Steuererhöhungen mitgemacht. Sie will die Schweiz aufgeben und sich auch an diese bürokratische und schlecht funktionierende EU anschliessen. Das ist dann zu einer Grundsatzstreitfrage geworden.
Ja?
Je mehr Wähler FDP und CVP an die SVP verloren haben, desto mehr wurde die SVP zum Feindbild. Ich hoffe, dass die FDP die Kraft zum Richtungswechsel findet. Das täte der Schweiz gut.
Der Freisinn ist in der letzten Umfrage so schwach, die SVP so stark wie noch nie. Sie haben gerade erst einen dritten Bundesratssitz für die SVP gefordert.
Ich habe den dritten Sitz nicht gefordert. Ich habe nur festgestellt: Rechnerisch wäre der dritte Sitz der SVP näher als der zweite Sitz der Sozialdemokraten oder der zweite Sitz des Freisinns. Doch jetzt geht es um Wesentlicheres. In den Hauptfragen – Wahrung der schweizerischen Unabhängigkeit und gegen die exzessive Zuwanderung – stehen alle anderen gegen die SVP.
Nach einem Zusammenspannen schaut es nicht aus. An der Delegiertenversammlung könnte die FDP sich nun zu den neuen EU-Verträgen bekennen.
Das befürchte ich. Ich habe mich darauf eingestellt, dass in der EU-Frage nur noch die Volksabstimmung etwas korrigieren kann. In den Fragen EU, Asyl und Zuwanderung gibt es nur zwei Parteien. Es gibt die SVP, die die massive Zuwanderung ernst nimmt und Gegensteuer gibt. Und es gibt die anderen, die der EU, der Personenfreizügigkeit und einer laschen Asylpolitik nachlaufen.
Sie haben viele Kämpfe ausgetragen. Wer war Ihr Lieblingsgegner?
Sehr gut war immer Peter Bodenmann. Er war einer der härtesten Gegner. Aber ich mag harte Gegner. Oft habe ich mich mit Ursula Koch gestritten oder Franz Jaeger, der heute weiter rechts steht als ich. (Lacht.) Die SVP musste unten durch, es gab sogar Strafprozesse gegen uns. Aber wir sind noch da, wo sind die Gegner? (Lacht.)
Sie nutzen das Schlagwort Classe politique, es war prägend bei der EWR-Abstimmung 1992. Heute verwendet es fast keiner mehr in der SVP. Weil die Partei selbst Teil des Establishments geworden ist?
Die SVP war immer Teil der Classe politique. Wer Politik macht, ist da drin. Ich habe aber keinen besseren Begriff gefunden. Classe politique, das sind für mich die Leute, die in der Eidgenossenschaft das Sagen haben – oder meinen, das Sagen zu haben: die Verwaltung, das Parlament, der Bundesrat, die Umwelt- und Wirtschaftsverbände und viele mehr. Es sind die, die ungestört ohne die Stimme des Volkes regieren möchten.
Sie gelten als Übervater der SVP. Lange galt die Frage, ob die Partei überlebt. Es scheint gut ohne Sie zu gehen.
Ja, zum Glück. In den Achtziger- und Neunzigerjahren wäre es vielleicht noch möglich gewesen, dass es für die neue SVP ohne Blocher schwierig geworden wäre. Wenn Sie eine Partei neu aufstellen, muss ein Einzelner vorangehen. Heute ist die SVP in einer anderen Lage. Ich bin ja schon fast ein Passivmitglied. Die SVP setzt auf die richtigen Schwerpunkte, wie die Unabhängigkeit der Schweiz, die Zuwanderung, keine höheren Steuern, keinen Asylmissbrauch und weniger Kriminalität. Und das seit über 30 Jahren.
Sie waren einer der ersten Rechtspopulisten in Europa.
Sagt man (lacht).
Etwas später kam auch Silvio Berlusconi. Er war wie Sie ein vermögender Unternehmer.
In Krisensituationen braucht es Leute, die sich aufopfern und unabhängig sein können. Leute, die kein Amt anstreben. Wenn sie so politisieren wie ich, bekommen sie nie ein Amt. Das mit dem Bundesrat war ein Unfall für die Classe politique.
Ob bei Berlusconi oder Ihnen: Es stellt sich die Frage, ob man sich Erfolg in der Politik kaufen kann.
Als ich angefangen habe, war ich noch nicht reich. Der Partei direkt habe ich nie Geld gegeben. Für spezifische Wahlkämpfe oder Abstimmungskampagnen allerdings schon. Beim Kampf gegen den Vertrag über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) als Etappe zum EU-Beitritt habe ich Millionen eingeschossen, obwohl ich noch nicht so vermögend war wie heute. Aber Geld allein bringt nichts. Die Befürworter hatten mit der Wirtschaft im Rücken damals viel mehr Mittel.
Es gibt ja in Europa mittlerweile einige Parteien, die ähnlich rechtspolitisch unterwegs sind wie die SVP. Dort gibt es auch Köpfe, die die Demokratie beschneiden wollen, etwa in Ungarn. Wird Ihnen da «gschmuech»?
Einige Parteien sind uns rein vom Programm her ähnlich. Ähnlich wie das Programm der SVP für die Schweiz ist das der AfD für Deutschland. Das sind aber Parteien in anderen Ländern und mit einer anderen Geschichte. Die SVP ist eine schweizerische Partei, die die direkte Demokratie in der Schweiz stärken will. Andere Länder mögen dies für sich anders sehen.
Nicht alle in Ihrer Partei grenzen sich so sehr ab. Alt Bundesrat Ueli Maurer macht Videos für die AfD oder reist nach China.
Das muss jedes Parteimitglied für sich ausmachen. Ich warne immer davor. Wir können uns nicht mit Parteien in anderen Ländern liieren. Wir sind eine schweizerische Partei. Jörg Haider wollte immer, dass ich nach Österreich komme, um gegen den EU-Beitritt zu reden. Ich tat es nie. Wenn die Österreicher beitreten wollen, dann sollen sie beitreten. Das ist nicht unsere Sache.
Sie haben immer wieder Kampagnen geführt, die für grosses Aufsehen sorgten. Es gab die Kosovaren-Schlitzer-Plakate, es gab die bekannten Schäfchen-Plakate. Sind Sie irgendwann zu weit gegangen?
Nein, im Gegenteil. Wir sind zu wenig weit gegangen.
Sie haben die politische Kultur verändert. Die Plakate hatten einen rassistischen Unterton.
Es war doch eine Tatsache, dass Kosovaren einem Schwinger die Kehle aufgeschlitzt haben. Das Gericht sagte dann: Man hätte nicht verallgemeinernd Kosovaren schreiben dürfen, sondern: «Zwei Kosovaren haben …». Das ist sehr gesucht. Es ging doch darum, dass wir endlich die kriminellen Ausländer ausschaffen. Das hat die SVP plakativ ausgedrückt. Zum Glück.
Sie wollten provozieren.
Provozieren kommt von «provocare», was so viel heisst wie «hervorrufen». Man muss den Gegner «hervorrufen», um die Botschaft auf den Punkt zu bringen. Heute ist die SVP weniger provokativ. Sie ist die stärkste Partei und stellt zwei Bundesräte, hat eine grosse Fraktion und viele Regierungsräte. Die SVP wird auch ohne Provokation gehört.
Wird die SVP zu bequem?
Gerade wenn es einem gut geht, kann man bequem werden. Die Schweiz hat auch viel Blödsinn gemacht, weil es uns so gut ging, zum Beispiel den Abbau der Armee und die exzessive Zuwanderung. Die SVP muss aufpassen, dass sie den Erfolg erträgt. «Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen», das ist eine altbekannte Wahrheit. Gerade diejenigen, die ein Ämtli wollen, sind gefährdet.
Die SVP ist fast an allen Themen dran, die im Sorgenbarometer sind. Mieten dagegen nehmen Sie nie ins Visier. Weil Sie viele vermögende Personen in der Partei haben?
Schauen Sie sich doch unseren Kampf gegen die Zuwanderung an. Letztes Jahr kamen netto 80'000 Personen in die Schweiz. Sie brauchen alle Wohnungen. Das treibt die Kosten hoch. Teure Mieten und Wohnungen sind in erster Linie eine Folge der massiven Zuwanderung. Diese bekämpft die SVP – jetzt mit der «Nachhaltigkeits-Initiative».
Sie sind gegen aussen der Mann der klaren Ansagen. Tatsächlich hatten Sie nach der EWR-Abstimmung eine Art Burnout. Haben Sie mehr Selbstzweifel, als man annimmt?
Eindeutig. Eine sichere Meinung können Sie nur haben, wenn Sie Selbstzweifel haben. Beim EWR stand ich der ganzen Classe politique gegenüber. Da fragt man sich: Habe ich wirklich recht? Ich spürte es in der Nacht. Ich hatte immer den gleichen Traum: Ich müsse alleine einen riesigen Bergsturz halten. Da hatte ich Angst, dass ich dies nicht stemmen kann. Am Abstimmungsabend haben die Kollegen, die mit mir kämpften, Höhenfeuer gemacht. Aber für mich war fertig: Ich ging um neun ins Bett. Und …
... bitte.
Ich wusste auch nicht sicher, wie das rauskommt. Ich war nur sicher, dass es weniger schlecht wird als der EWR. Dass es so gut rauskommt, hätte ich nicht gedacht.
Die EWR-Abstimmung war prägend. Von da an waren Sie ein Politstar. Haben Sie geahnt, dass Sie die Schweizer Politik noch Jahre prägen, bis in den Bundesrat?
Nein. Ich wollte kein Amt. Meine Angst war, dass die Classe politique alles macht, um den EU-Entscheid zu umgehen. Deshalb habe ich weitergemacht.
2007 wurden Sie aus dem Bundesrat abgewählt. Ist das mit Schmerz verbunden?
Im Rückblick ist es nicht mehr mit Schmerz verbunden. Es war für mich eine lästige Zeit, weil es im Bundesrat von allen Seiten eine starke Opposition gegen mich gab, und Samuel Schmid (SVP) war dabei keine Unterstützung.
Sie hadern nicht mehr?
Zwei Jahre nach meiner Wahl in den Bundesrat sagte ein Genfer FDP-Nationalrat: «Jetzt habe ich den Blocher in den Bundesrat gewählt, damit er im Gefängnis sitzt. Aber er ist schon Gefängnisdirektor.» Die Abwahl war dann die logische Folge. Dadurch ist die SVP noch stärker geworden. Unsere Gegner haben viel zum Erfolg der SVP beigetragen.
Was hat Sie mehr Kraft gekostet: der EWR-Abstimmungskampf oder die Zeit im Bundesrat?
Der EWR-Kampf.
Welche Spuren hinterlässt eine Person, ist oft die Frage. Bei Ihnen ist schon heute klar: Sie haben ein Milliardenunternehmen geformt, die Schweizer Politik geprägt, waren Bundesrat und Sie haben eine bedeutende Kunstsammlung. Was bedeutet Ihnen davon am meisten?
Wenn ich zurückblicke, muss ich sagen: Es ist mir relativ viel gelungen. Aber daran bin ich gar nicht schuld. Ich wollte nie Unternehmer werden. Ich wollte nie in die Politik und nie Bundesrat werden. Es hat sich einfach so ergeben.
Das müssen Sie erklären.
Ein Beispiel: Ich wollte nicht Unternehmer werden, als ich bei der Ems angestellt war. Aber dem Unternehmen ging es sehr schlecht. Amerikaner wollten es kaufen und die Hälfte der Leute auf die Strasse stellen. Da habe ich gesagt: Das geht nicht. Ich wollte einen Käufer finden, fand aber keinen. Die Banken wollten auch nicht. Und dann habe ich gesagt, dann muss ich jetzt selber in die Hosen steigen. Ich gab alles, was ich hatte, und verschuldete uns massiv. Es war ein schwieriger Moment, gerade für meine Frau – Mutter von vier kleinen Kindern: «Wenn du stirbst» – sagte sie zu Recht – «stehe ich hier mit vier Kindern, einem überschuldeten Unternehmen und einem Schuldenberg.» Aber wir taten es: Es musste sein!
Es kam gut.
Die Firma haben wir gerettet, aber nicht, weil wir besser oder gescheiter waren. Ich hatte einfach kein Geld, um den Blödsinn der Konkurrenten auch zu tun. Eigentlich haben mich die Chinesen gerettet. Als sich China öffnete, fragte ich mich: Was brauchen diese 1,4 Milliarden Menschen? Sie brauchten Kleider und Hosen, konnten diese aber nicht mit Baumwolle machen, weil sie die Erde für die Nahrung benötigten. Also brauchten sie synthetische Fasern, die hatte Ems – aber am falschen Ort. Ems baute dann für die Chinesen 117 Fabriken. Das verschaffte uns das Geld für neue Produkte. Von diesen stammen die heutigen. Mein Verdienst ist gering. Es ist so passiert.
Jetzt haben Sie nur über das Unternehmertum gesprochen. Das war Ihnen also doch am wichtigsten?
Ich bin Unternehmer. Politik war für mich immer eine Nebensache. Von der Politik hat man mehr gehört, weil sie im öffentlichen Raum stattfindet. Aber aus der Politik könnte ich ähnliche Beispiele erzählen.
Wie möchten Sie in Erinnerung bleiben, Herr Blocher?
Ich lege keinen Wert darauf, dass ich in Erinnerung bleibe. Man wollte mir schon Ehrentitel geben, ich habe abgelehnt. Bei einer Strasse, die nach mir benannt werden sollte, habe ich gesagt: Das könnt ihr in 150 Jahren noch machen. Und als sie anmerkten, dann kenne mich vielleicht niemand mehr, antwortete ich: «Dann bin ich wohl auch nichts wert gewesen.» (Lacht.)