Streitgespräch zwischen SVP-Rösti und CVP-Pfister zum Asylgesetz
«Der HEV entwickelt sich zur neuen SVP-Kampftruppe!»

Seit einer Woche sind sie Parteipräsidenten: Albert Rösti (48, SVP) und Gerhard Pfister (53, CVP). Am Mittwoch stritten sie sich in dieser Funktion zum ersten Mal über das Asylgesetz, über das die Schweiz am 5. Juni abstimmt. Die SVP hat das Referendum ergriffen; die CVP setzt sich an vorderster Front für ein Ja ein. Die beiden Neo-Parteichefs, die – wie unter Politikern in Bern üblich – per Du sind, kämpfen um jede Stimme. Die Befürworter liegen in Front. Laut GFS-Umfrage wollen 59 Prozent Ja stimmen. 30 Prozent sind dagegen.
Publiziert: 02.05.2016 um 21:09 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 16:58 Uhr
«Die Beschleunigung macht uns für Flüchtlinge attraktiver»
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Albert Rösti im Streitgespräch zur Asylrevision:«Die Beschleunigung macht uns für Flüchtlinge attraktiver»
Interview: Nico Menzato und Ruedi Studer

Herr Rösti, beim Asylgesetz sind die Fronten klar: Die SVP gegen den Rest. Fühlen Sie sich deswegen an «Nazi-Methoden» erinnert, wie Christoph Blocher bei der Durchsetzungs-Initiative?

Albert Rösti: Nein, absolut nicht. Es wird sachlich über das Asylgesetz diskutiert. Vielleicht hat das damit zu tun, dass wir auf Werbung im bezahlten Raum verzichten. Wir wollen damit ein Plebiszit alle gegen die SVP verhindern, wie wir das bei der Durchsetzungs-Initiative erlebt haben. In Anbetracht der Probleme im Asylwesen darf das nicht mehr passieren.

Gerhard Pfister: «Einer gegen alle» ist doch die Lieblingsposition der SVP. Gewinnt ihr, seid ihr die grosse Siegerin. Verliert ihr, sonnt ihr euch in der Opferrolle. Die Auseinandersetzung über das Asylgesetz verläuft aber tatsächlich weniger emotional als bei der Durchsetzungs-Initiative. Blochers Nazi-Vergleich geht zu weit – aber solche Provokationen gehören zu seiner Strategie.

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Rösti: Wenn es SVPler gibt, die nicht mehr zur Partei stehen dürfen, weil sie befürchten, ihr Geschäft leide darunter, erinnert das schon an die Anfangszeiten des Nazi-Regimes, als in gewissen Läden nicht mehr eingekauft wurde.

Pfister: Bei allem Respekt, Blocher konnte bei der «Weltwoche» oder bei der «Basler Zeitung» zur Genüge «einkaufen».

Kommen wir zum Asylgesetz, dessen Zweck schnellere Verfahren sind. Da können Sie doch nicht allen Ernstes dagegen sein?

Rösti: Wenn überhaupt, findet die Beschleunigung im Verfahren statt. In der zweiten Phase, wenn jemand nach einem negativen Entscheid das Land verlassen müsste, passiert das Gegenteil. Die Leute tauchen rascher unter und bleiben irgendwo im Land. Das neue Gesetz steigert die Attraktivität und führt zu einer Sogwirkung in die Schweiz zu kommen.

Für CVP-Präsident Gerhard Pfister (53) ist «das Referendum der SVP ein riesiger Irrtum».

Pfister: Entschiedener Widerspruch! Im Jahr 2013 stimmte das Volk einer Asylgesetzrevision zu, die ebenfalls raschere Verfahren zum Ziel hatte. Mit über 70 Prozent – und mit Unterstützung der SVP! Die SVP sprach damals selbst davon, dass raschere Verfahren die Attraktivität der Schweiz für Asylbewerber senken würden, jetzt erzählt sie auf einmal das Gegenteil.

Rösti: Eine Beschleunigung macht nur Sinn, wenn sie bis zum Schluss durchgezogen wird. Der Vollzug der negativen Asylentscheide, das heisst die Rückführung, müsste in erster Linie beschleunigt werden.

Pfister: Die meisten Abgewiesenen verlassen das Land und versuchen andernorts ihr Glück. Würden sie hier bleiben, müssten die Nothilfe-Kosten ja deutlich steigen. Das ist nicht der Fall.

Rösti: Ein Problem sind vor allem die Dublin-Fälle, die nicht in das Erstaufnahmeland zurückgewiesen werden können, weil die Länder die Rücknahme verweigern. Nur etwa sechs Prozent, nicht einmal 2500 Personen wurden 2015 zurückgenommen. Dublin funktioniert nicht. Das neue Gesetz rechnet mit einer Rücknahme von 40 Prozent. Das ist völlig unrealistisch.

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Pfister: Die Schweiz schickt europaweit am meisten Dublin-Fälle zurück! 19'500 Personen waren es zwischen 2009 und 2014! Zum Vergleich: Deutschland schickte nur 18'300 Dublin-Fälle zurück.

Das Asylgesetz ist auf 24'000 Asylsuchende pro Jahr ausgelegt. Letztes Jahr waren es aber knapp 40'000. Hat die Realität das Gesetz überholt?

Rösti: Aber klar! Im Vergleich zum ersten Quartal 2015 hatten wir dieses Jahr fast doppelt so viele Gesuche. Rechnen Sie das mal hoch! Dann werden es dieses Jahr 60'000 bis 70'000 Gesuche! Die Voraussetzungen haben sich komplett geändert, deshalb sagt die SVP Nein.

Pfister: Ein Gesetz muss langfristig ausgerichtet sein! Da ist es logisch, dass dafür ein Durchschnittswert herangezogen wird. Wichtig ist, dass wir in ausserordentlichen Lagen wie jetzt auf diesem System aufbauen und es ausbauen können. Das Prinzip bleibt aber dasselbe: Asylgesuche werden zuerst in einem Bundeszentrum behandelt. Vielleicht baucht es aber mehr Bundesplätze und eine frühere Verteilung auf die Kantone.

Rösti: Wir müssen nicht das System ausbauen, sondern die Grenzen besser kontrollieren und Wirtschaftsmigranten abweisen. Du hingegen sendest ein fatales Signal aus: Kommt nur, wir schaffen Platz und enteignen notfalls auch gleich noch die Hausbesitzer für euch.

Herr Pfister, der Hauseigentümerverband (HEV) kämpft gegen das Asylgesetz. Bleiben Sie dennoch HEV-Mitglied?

Pfister: Ich überlege mir ernsthaft den Austritt! Ich bin vom HEV schwer enttäuscht. Er hat sich in dieser Sache völlig falsch exponiert. So daneben lag noch kein Verband.

Müssen sich Hausbesitzer vor Enteignungen fürchten?

Pfister: Kein bisschen. Der Bund hat für alle geplanten Bundeszentren die Verträge oder das Land. Dass eine Privatperson enteignet wird, steht ausser Frage.

Sind auch Sie im HEV?

Rösti: Ja – und ich bleibe auch.

Pfister: Kein Wunder, wenn sich der HEV zur neuen Kampftruppe der SVP entwickelt.

Rösti: Es geht um die ureigensten Interessen der Hauseigentümer. Ob es dereinst noch weitere Zentren braucht, lässt sich nicht abschätzen. Kommt hinzu: Wird in einem Dorf ein Asylzentrum gebaut, verlieren die Häuser daneben unter Umständen massiv an Wert. Das ist eine materielle Enteignung, auch wenn das Haus nicht abgegeben werden muss. Mit dem neuen Plangenehmigungsverfahren geht jegliche Mitsprache der Gemeinde verloren. Und erst das Signal an die Schlepper: Die Schweizer enteignen ihre eigenen Leute für die Unterbringung der unsrigen.

Pfister: Diese Behauptung ist völlig absurd.

Rösti: Wenn mehr Leute kommen als geplant, braucht es mehr Plätze. Dann kannst auch du nicht garantieren, dass es keine Enteignungen gibt.

Pfister: Mich wundert schon, wie diese Frage hochgespielt wird. In der Parlamentsdebatte hat HEV-Präsident Hans Egloff geschwiegen. Erst jetzt, wo ihr merkt, dass die Angstmache mit dem «Gratis-Anwalt» nicht funktioniert, hetzt ihr die Hauseigentümer auf.

Wieso wehren Sie sich gegen den kostenlosen Rechtsbeistand? Ein mittelloser Schweizer bekommt ja auch eine Gratis-Rechtsberatung.

Rösti: Nur, wenn er nachweisen kann, dass er sich keinen Anwalt leisten kann. Asylsuchende müssen diesen Nachweis nicht erbringen. Damit werden sie gegenüber Schweizern bevorteilt.

Pfister: Die meisten Asylsuchenden können sich keinen Anwalt leisten. Der Rest würde sich einen Anwalt nehmen, der das Verfahren hinauszuzögern versucht. Der kostenlose Rechtsbeistand wird pauschal mit 1300 Franken abgegolten. Ein Asylbewerber kostet im Schnitt 83 Franken pro Tag. Reist einer also 17 Tage früher ab, ist die Summe bereits wieder reingeholt. Das Testzentrum in Zürich beweist: Im Schnitt werden die Verfahren um 73 Tage verkürzt! Die Beschleunigungsanwälte machen das Verfahren also schneller und günstiger. Und es bleibt rechtsstaatlich korrekt.

Rösti: Der Asyl-Etat steigt bis 2019 von 1,8 auf 2,4 Milliarden Franken. Die neuen Bundeszentren mit 5000 Betten kosten über 500 Millionen Franken. Da kannst du doch nicht von Einsparungen reden. Damit das Asylwesen günstiger wird, hilft nur eins: Wir müssen an der Grenze die illegale Einwanderung stoppen!

Was ist Ihre Alternative, sollte das Volk Nein stimmen?

Rösti: Wir müssen unterscheiden zwischen an Leib und Leben bedrohten Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten. Letztere dürfen wir gar nicht ins Land lassen. Dafür braucht es wieder Grenzkontrollen. Zudem benötigt die Schweiz geschlossene Zentren für renitente Asylbewerber. Und bei den Rückschaffungen müssen wir einen Zahn zulegen. Ein Nein wäre ein klares Signal für alle unsere Verschärfungsvorschläge zur Attraktivitätssenkung, die im Parlament abgelehnt wurden.

Pfister: Ein Nein wäre ein gewaltiger Rückschritt. Das neue Gesetz löst nicht alle Probleme, aber ein Nein löst kein einziges Problem. Das Referendum der SVP ist ein riesiger Irrtum.

Wie viele Asylsuchende werden dieses Jahr in die Schweiz kommen – und können wir das bewältigen?

Pfister: Eine zahlenmässige Prognose lässt sich nicht machen. Ein Migrationsstrom Richtung Schweiz ist möglich. Logistisch kann das reichste Land der Welt dies bewältigen. Das Problem bleiben die Rückführungen.

Rösti: Ich befürchte grosse Probleme, wenn die Zahlen tatsächlich massiv steigen. Geht es weiter wie seit Anfang Jahr, können es 60'000 bis 70'000 oder mehr sein. Die Schweiz wäre überfordert. Schon heute stossen wir an Grenzen. Schau dir mal den Bahnhof Bern am Sonntagabend an. Da hängt eine grosse Anzahl junger, schwarzer Männer herum. Keine Frauen, keine Familien! Wir stehen vor riesigen Integrationsproblemen und werden echt an Leib und Leben bedrohten Flüchtlingen nicht mehr helfen können.

Pfister: Du machst den Fehler, dass du die jetzigen Probleme dem neuen Gesetz zuschreibst. Sie sind aber unter dem alten Gesetz entstanden. Die Leute, die am Bahnhof rumstehen, sind dann nicht mehr dort, sondern in den Bundeszentren!

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