Rauch über Teheran nach Explosionen in der Nacht
1:06
Israel attackiert den Iran:Mehrere Explosionen erschüttern Teheran

Schweizer Botschafterin erzählt erstmals über ihre Flucht aus Teheran
«Wir haben die Bomben gehört und gespürt»

Nadine Olivieri Lozano hat als Botschafterin im Iran sowohl die Schweizer als auch die US-Interessen vertreten. Ein Gespräch über die Mullahs, Menschenrechte – und ihren Hund Mojito.
Publiziert: 14:55 Uhr
|
Aktualisiert: 16:26 Uhr
Teilen
Schenken
Anhören
Kommentieren

Darum gehts

Die Zusammenfassung von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast.
Raphael_Rauch (1).jpg
Raphael RauchBundeshausredaktor

Frau Botschafterin, Sie mussten Teheran Hals über Kopf verlassen. Erzählen Sie uns, wie es dazu kam.
Nadine Olivieri Lozano:
Als Israel Teheran angegriffen hat, haben wir das massiv gemerkt: Wir haben die Bomben gehört und gespürt. Die Wohnung eines Mitarbeiters wurde beschädigt; er war zum Glück nicht zu Hause. Weil sich die Situation massiv verschlechtert hat, hat Bern entschieden, dass wir die Botschaft temporär schliessen. Der Luftraum war zu, wir mussten den Iran auf dem Landweg verlassen.

Sie haben sich nach Aserbaidschan fahren lassen …
Nein, wir sind selbst gefahren – ich wollte meinen Fahrer nicht in Gefahr bringen. Und er hätte nicht nach Aserbaidschan einreisen können. Die Fahrt ging morgens um 4 Uhr in Teheran los, nachts um 23 Uhr sind wir in Baku angekommen. Trotz gültiger Papiere mussten wir fünf Stunden am Grenzübergang warten. Aber insgesamt ging alles gut!

Mussten Sie mit Kopftuch Auto fahren?
So ungefähr. Die Autofenster sind getönt, das heisst, es ist nicht so schlimm, wenn das Kopftuch nicht perfekt sitzt und irgendwann wegrutscht.

1/12
Botschafterin Nadine Olivieri Lozano war drei Jahre lang Schweizer Botschafterin in Teheran.
Foto: Philippe Rossier

Wo war Ihre Familie?
Letztes Jahr wurde es Iranern verboten, die deutsche Schule zu besuchen. Das führte zu einem Exodus, am Ende waren nur noch 30 Kinder da. Meine zwei Kinder waren die einzigen ihres Jahrgangs und hatten keine Schulklasse mehr. Daraufhin ist mein Mann mit den Kindern nach Dubai gezogen – ich blieb in Teheran. Meine Familie war also in Sicherheit.

Was hat Ihnen in der Krise Kraft gegeben?
Wir hatten ein Krisendispositiv und waren gut vorbereitet. Und es gab eine grosse Solidarität im Team – wir haben wunderbare Ortskräfte in Teheran. Mir ist es schwergefallen, sie zurückzulassen, und ich bin erleichtert, dass alle wohlauf sind. Wichtig waren auch mein Hund Mojito und die Botschaftskatze.

Warum waren Tiere wichtig?
Mojito ist die ganze Zeit nicht von meiner Seite gewichen. Er war ein treuer Begleiter. Die Tiere gaben ein gutes Gefühl. Sie zauberten dem ganzen Team ein Lächeln ins Gesicht – auch wenn die Lage ernst war.

Waren Sie auf einen Bombenangriff mental vorbereitet?
Drei Jahre Erfahrung im Iran sind eine gute Vorbereitung. Unter Diplomaten kursiert der Satz: Wenn du es in Teheran schaffst, schaffst du es überall. Die letzten Tage haben wir alle auf dünnen Schaummatten auf dem Boden der Botschaft geschlafen. Es war wie auf einer SAC-Hütte.

Haben Israel oder die USA Ihnen Beweise vorgelegt, warum der Angriff unausweichlich ist?
Wir waren vom Zeitpunkt recht überrascht. Es gab ja am Tag vorher Atomgespräche in Genf, und drei Tage später waren Verhandlungen mit den USA im Oman geplant. Ich weiss nicht, welche Beweise Israel hatte.

Sie mussten Teheran verlassen, weil es keinen Schutzraum gab. Dabei wurde die Residenz von 2014 und 2018 für knapp 6 Millionen Franken renoviert. War es ein Fehler, sie erdbebensicher zu machen – nicht aber bombensicher?
Teheran liegt zwischen drei Erdplatten, ist also ein Hochrisikogebiet. Es war wichtig, die Residenz gegen Erdbeben zu schützen. Schutzräume sind dann hilfreich, wenn es ein Alarmsystem gibt wie in Israel. Der Iran kennt kein Alarmsystem. Ein Schutzraum nützt nicht viel, wenn ich gar nicht weiss, wann ich ihn betreten soll.

Wie haben Sie Teheran nach Ihrer Rückkehr erlebt?
Bedrückt, schwer, unheimlich. Es war nicht das Teheran, das wir kannten. Immerhin konnte ich mich von den Mitarbeitenden verabschieden.

Wie blicken die Menschen im Iran in die Zukunft?
Die meisten Iraner, mit denen ich gesprochen habe, haben Angst vor neuen Angriffen und Sorge um ihr Land. Die Regierung droht damit, aus dem Atomwaffensperrvertrag auszutreten. Die Verhandlungen der nächsten Monate werden entscheidend sein.

Die Schweiz leistet für die USA Gute Dienste. Erklären Sie uns, wie das funktioniert.
Mit der heutigen Technik ist es relativ einfach, Aufträge entgegenzunehmen und Botschaften zu kommunizieren. Auch von unterwegs kann ich vertrauliche Nachrichten problemlos übermitteln.

Geht das mit dem Smartphone oder haben Sie in Ihrer Handtasche immer ein Chiffriergerät?
Ich darf Ihnen keine Details verraten. Nur so viel: Die Technik ist weit fortgeschritten und einfach zu bedienen.

Wann sind Sie nur Briefträgerin? Und wann ordnen Sie Botschaften politisch ein?
Je nach Auftrag – es gibt alle Varianten. Von wem die Meldungen kommen und an wen wir sie weitergeben, kann ich nicht sagen, hier gilt Diskretion. Meistens aber wird mündlich sehr klar gesagt, was gemeint ist. Ich protokolliere die Gespräche fast wortwörtlich, damit ich die Botschaft originalgetreu wiedergeben kann. Manchmal kommen schriftliche Dokumente hinzu. Zweimal im Jahr war ich auch in Washington, um mich mit meinen Ansprechpartnern im US-Aussenministerium auszutauschen. Das Schutzmachtmandat ist aber weit mehr als das Überbringen von Nachrichten.

Nämlich?
Wir haben ein Team von zehn Leuten, das sich um die US-Amerikaner im Iran kümmert: um Pässe, Geburtsurkunden, Gefängnisbesuche. Besonders spannend war der Austausch von Gefangenen. Wir haben monatelang verhandelt – und konnten schliesslich US-Amerikaner zurück in ihre Heimat bringen. Das war fast wie im Film!

Donald Trump kommuniziert am liebsten über Truth Social. Braucht er die Schweiz überhaupt?
Die Guten Dienste, die wir für die USA leisten, sind nach wie vor sehr gefragt. Die USA zeigen sich immer wieder dankbar für unsere Arbeit. Präsident Trump weiss genau, wie er sich an die breite Öffentlichkeit wendet – seine Administration braucht aber auch diskrete Kanäle.

Atomgespräche haben im Oman stattgefunden, das letzte Gespräch mit der EU war in Istanbul. Ist die Schweiz abgemeldet?
Mit einer Ausnahme finden die Gespräche mit der EU in Genf statt. Die Schweiz ist jederzeit bereit, Gastgeberin zu sein.

Waren Sie die wichtigste Botschafterin in Teheran?
Das Schutzmachtmandat gibt der Schweiz ein Profil und öffnet den Zugang zu den iranischen Behörden. Ich konnte nach zwei Tagen mein Beglaubigungsschreiben vorlegen. Andere Kollegen müssen je nachdem viel länger warten.

Wenn die Schweiz so wohlgelitten ist: Warum durften Sie im Dezember einen Schweizer nicht im Gefängnis besuchen? Sie erhielten erst Zugang, als er tot war.
Die Bundesanwaltschaft ermittelt in dieser Sache, ich kann mich dazu nicht äussern.

Trotzdem: Warum haben Sie nicht sofort Zugang zum Schweizer Häftling erhalten?
Der Iran ist komplexer, als wir uns das in der Schweiz vorstellen. Es gibt mehrere Machtzentren, die zum Teil konkurrieren. Unser Zugang läuft über das Aussenministerium – die iranischen Diplomaten sind aber weit weg von dem, was in den Gefängnissen passiert. Es ist nicht aussergewöhnlich, dass es mehrere Wochen oder gar Monate dauert, bis man eine Bestätigung für eine Inhaftierung erhält.

Auf offiziellen Fotos sind Sie mit Kopftuch zu sehen. Wie viele Kopftücher haben Sie in den letzten Jahren gekauft?
Ich denke 30 oder 40 Stück. Das Kopftuch ist längst ein Mode-Accessoire. Ich konnte es in allen Farben und Varianten tragen. Nun habe ich alle meine Kopftücher verschenkt. Ich freue mich, kein Kopftuch mehr tragen zu müssen.

Wie haben Sie die Ermordung der 22-jährigen Mahsa Amini 2022 wahrgenommen? Es gab Demos für «Frau, Leben, Freiheit».
Es war eine unglaubliche Zeit. Sehr viele Frauen waren beteiligt, aber auch viele Männer sind auf die Strasse gegangen. Die Lebenslust und auch die Stärke der Gesellschaft waren zum Greifen nah. Wenn Menschen für ihre Rechte kämpfen, ist das für mich sehr inspirierend.

Die Schweiz führt mit dem Iran einen Menschenrechtsdialog. Ganz ehrlich: Was bringt der? Kamen Sie einen Millimeter weiter?
Die Schweiz ist das einzige westliche Land, das mit dem Iran einen Menschenrechtsdialog führt. Wir können unsere Sicht deshalb direkt vermitteln. Grosse Sprünge dürfen Sie nicht erwarten. Doch auch kleine Schritte sind wichtig. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass junge Menschen, die als Minderjährige eine Straftat begangen haben, nicht hingerichtet werden.

Die Schweiz hat einen Teil der EU-Sanktionen gegen den Iran nicht übernommen mit Rücksicht auf das Schutzmachtmandat. Können Sie das rechtfertigen?
Hätten wir alle Sanktionen übernommen, dann hätte das auf iranischer Seite Konsequenzen gehabt. Ein Schutzmachtmandat basiert auf Vertrauen, Sanktionen hätten das Verhältnis belastet. Damit wäre niemandem gedient.

Wie positioniert sich die iranische Gesellschaft?
Der Grossteil der Iranerinnen und Iraner ist eigentlich prowestlich. Die Iraner lieben Europa, sie lieben Nordamerika, sie würden am liebsten überall hinreisen. Sie sind sehr gastfreundlich, bestens ausgebildet und sehr stolz auf die Geschichte ihres Landes, die bis nach Persepolis zurückreicht.

Haben Sie ein Lieblingswort auf Persisch?
Ja, «Azizam». Das ist die persische Variante von «Habibi» und heisst übersetzt: «mein Liebling, Chérie.»

Wer ausser Ihrem Mann darf Sie «Azizam» nennen?
Im Iran geht das schnell. Meine Yoga-Lehrerin hat immer gesagt: «Azizam, wie geht es dir?» Und schon war ich gut gelaunt.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?