Ohne Erfahrung ins Amt
Braucht es Management-Nachhilfe für Regierungsräte?

Die Waadtländer Staatsrätin Valérie Dittli steht unter Druck – und verliert ein Mitglied ihres Stabes nach dem anderen. In der Schweiz treten die Regierungsräte ihre Ämter ohne Managementausbildung an, Dittli tat es mit 29. Das kann verheerend enden, warnt ein Experte.
Publiziert: 14.07.2025 um 19:41 Uhr
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Aktualisiert: 14.07.2025 um 20:09 Uhr
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Legendär ist Dittlis Protest-Auftritt mit Sonnenbrille vergangenen März.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Managementausbildung für Kantonsregierungen fehlt, Valérie Dittlis Generalsekretariat in der Krise
  • Jura führt ab 2026 einen Kurs für neu gewählte Amtsträger ein
  • Fünf Westschweizer Kantone haben keine strukturierte Managementausbildung für Staatsräte
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Alessia Barbezat

Die Waadtländer Regierungsrätin Valérie Dittli (32) steckt seit Monaten in einer tiefen Krise. Das Regierungskollegium nahm ihr die Finanzen weg, nachdem sie in einer Untersuchung öffentlich düpiert worden war. Eine kürzlich von Blick veröffentlichte Recherche enthüllt in ihrem Generalsekretariat Abgang um Abgang. Die Waadtländer Staatsrätin ist zunehmend isoliert.

Die chaotischen Ereignisse werfen eine grundlegende Frage auf: Weshalb fehlt es in den Kantonsregierungen an einer Managementausbildung? Zwar bringen die Magistratinnen und Magistraten oft einen politischen oder technischen Hintergrund mit. Die Führung des komplexen Staatsapparats ist aber zumeist eine Eingewöhnungssache. Dittli etwa wurde mit 29 Jahren Finanzdirektorin des mächtigen Kantons, ohne vorher ein politisches Amt oder eine Führungsfunktion bekleidet zu haben.

Sie regieren nie allein

Ein Kenner der Waadtländer Politik nimmt gegenüber Blick kein Blatt vor den Mund: «Ich bin verblüfft, wie amateurhaft die Staatsräte sich oftmals organisieren.» Das gelte insbesondere, wenn es darum gehe, ihre Teams zu führen.

Damit die Regierungsmitglieder ihre Visionen in die Tat umsetzen können, braucht es jedoch zwingend eine Verwaltung, die ihnen folgt. Das heisst: zuhören, koordinieren, Vertrauen schaffen. Sonst ist die Gefahr gross, dass sich die Beziehung zwischen dem einzelnen Staats- oder Regierungsrat und seiner Verwaltung verschlechtert. Wie etwa im Fall Dittli kann das in einer äusserst explosiven Situation enden.

Sehr unterschiedliche Praktiken in den Kantonen

Die Ausbildung der Regierungsräte in der Schweiz bleibt aber eine Bastelei. Die Regeln variieren von einem Kanton zum anderen – in den meisten sind gar keine Schulungen vorgesehen. Selbst im krisengeschüttelten Genf begnügt man sich weiterhin mit einer einfachen «Sensibilisierung hinsichtlich der Pflichten und Regeln des Staates als Arbeitgeber». Dabei gäbe es viel Nachholbedarf: 2021 forderte ein Bericht die Einführung einer obligatorischen Ausbildung für Neugewählte. Auslöser waren organisatorische, führungstechnische und zwischenmenschliche Probleme im Departement von Staatsrat Pierre Maudet (47, damals FDP).

Nur der Jura bildet die Ausnahme: Ab 2026 wird er einen vollständigen Kurs für neu gewählte Amtsträgerinnen und -träger anbieten. Darin enthalten sind obligatorische Gruppenmodule zu Führung, Krisenmanagement, Verhandlungen und Kommunikation sowie eine individuelle Begleitung.

Die Ausbildung von Abgeordneten? Ein ewiges Thema

Für David Giauque, Professor am Institut für höhere Studien in der öffentlichen Verwaltung an der Universität Lausanne, ist das Fehlen einer Managementausbildung eine alte Leier. «Das Thema steht schon sehr lange auf der politischen Agenda, aber es ist heikel», sagt er. Man könne einen Volksvertreter nicht dazu zwingen, sich weiterzubilden – besonders, wenn er darin keinen Sinn sehe.

Laut Giauque wäre ein verstärkter freiwilliger Ansatz wirksamer. Das Problem: Viele neu gewählte Vertreter hätten einen gewissen Narzissmus und seien sich ihrer Defizite kaum bewusst. «Einige landen ohne institutionelles Verständnis in ihrem Posten. Und manchmal sogar, ohne zu begreifen, was öffentliche Politik konkret bedeutet.» Im schlimmsten Fall würden die Neugewählten die Verwaltung als Gegner sehen, den es zu zähmen gilt. Und öffnen so Tür und Tor für ein vergiftetes Verhältnis.

Giauques Institut bietet zahlreiche Kurse an. «Dort sieht man Gemeindepräsidentinnen und -vorsteher, aber keine Kantonsvertreter», beklagt der Professor. «Das Schweizer System kann aber nur fortbestehen, wenn sich die gewählten Vertreter ihrer begrenzten Kompetenzen bewusst sind. Man kann im Beruf lernen, aber muss bereit sein, zu delegieren und besser Ausgebildeten zu vertrauen.»

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