Forscher wollen es jetzt genau wissen
Wie stark werden Schweizer Wahlen manipuliert?

Kommunikations-Professor Stefan Gürtler nimmt den Schweizer Wahlkampf genau unter die Lupe. Er will herausfinden, wie stark die Manipulationsversuche auf Social Media sind.
Publiziert: 08.03.2019 um 07:29 Uhr
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Aktualisiert: 08.03.2019 um 19:21 Uhr
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Stefan Gürtler von der Fachhochschule Nordwestschweiz nimmt die Schweizer Wahlen hinsichtlich Manipulationsversuchen unter die Lupe.
Foto: zVg
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Hackerangriffe, Falschinformationen, Manipulationsversuche bei Wahlen und Abstimmungen. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Und die Gefahr lauert auch in der Schweiz.

Kommunikations-Professor Stefan Gürtler (55) von der Fachhochschule Nordwestschweiz will nun wissen, wie stark der Wahlkampf für die National- und Ständeratswahlen Beeinflussungsversuchen über Facebook oder Twitter ausgesetzt ist. Im BLICK-Interview erklärt er zudem, dass die sozialen Plattformen selber mehr gegen Manipulationsversuche vorgehen müssten. 

BLICK: Herr Gürtler, der französische Präsident Emmanuel Macron fordert eine europäische Agentur zum Schutz der Demokratie und die Organisation Avaaz lanciert eine Meldestelle, um bei Wahlen gegen Desinformations-Kampagnen vorzugehen. Macht das Sinn?
Stefan Gürtler:
Bei Wahlen wie in Brasilien oder den USA gab es Manipulationsversuche. Wobei auch ausländische Kräfte versucht haben, Einfluss zu nehmen, womit ein Souveränitätsproblem entsteht. Das wird auch bei den Europawahlen ein Thema sein. Insofern begrüsse ich eine solche Meldestelle – sie sollte aber unabhängig sein.

Muss sich auch die Schweiz für die Wahlen im Oktober wappnen?
Wir haben sicher keine ausländischen Zustände. Trotzdem muss man die Entwicklung im Auge behalten. Wir werden diese Wahlen deshalb mit einem eigenen Forschungsprojekt unter die Lupe nehmen.

Worum geht es dabei?
Mit einem Monitoring auf Facebook und Twitter wollen wir untersuchen, welche Kandidaten, Parteien oder Wahlthemen besonders anfällig für Manipulationen sind. Ab Mai geben wir dazu ein monatliches Bulletin heraus, welches aufzeigt, wer und was speziell betroffen ist. Dabei geht es nicht um Prozentzahlen, sondern um ein Stimmungsbild.

Gehören Beeinflussungsversuche nicht einfach zum politischen Kampf?
Nicht, wenn es um gezielte Manipulation geht. Dann leiden die Glaubwürdigkeit und die Nutzerfreundlichkeit der sozialen Medien darunter. Sie verlieren an Wert für die Meinungsbildung. Und immerhin informiert sich rund ein Drittel der Schweizer zu politischen Themen auch in den sozialen Medien.

Welche Art von Manipulationen kommen denn in Frage?
Da gibt es eine breite Palette. Zum Beispiel die klassischen Fake News, also die Verbreitung von Falschinformationen. Eine andere Variante sind grosse Mengen an Tweets und Posts, die eine künstliche Mehrheitsmeinung oder mit vielen künstlichen Followern eine virtuelle Anhängerschaft suggerieren. Auf diese Mengenstrategie fokussiert auch unsere Untersuchung.

Sie haben den Abstimmungskampf zur No-Billag-Initiative untersucht und dabei aufgezeigt, dass die Befürworter in den sozialen Medien proportional viel stärker präsent waren als die Gegner. Trotzdem ging die Initiative deutlich bachab. Die Überpräsenz hat also nichts gebracht!
Die Twitterreichweite ist vergleichbar mit einer grossen überregionalen Tageszeitung, insofern ist die Wirkung zu relativieren. Wenn die Nutzungszahlen der digitalen Kommunikation aber weiter steigen und jene der konventionellen Kommunikation weiter sinken, wird die Manipulationsgefahr grösser. Gerade junge Erwachsene, die sich schon heute viel stärker nur über digitale Medien informieren, sind anfälliger für Manipulationen im Netz.

Wie lässt sich Manipulation verhindern?
Plattformen wie Facebook oder Twitter müssen selber stärker eingreifen, um Manipulationen – insbesondere auch Mengenmanipulation – zu unterbinden. Alle Plattformen verbieten Automation und Einsatz von multiplen Accounts, allerdings wird diese Geschäftsbedingung kaum durchgesetzt. 

Schrillen bei Ihnen mit Blick auf die Wahlen bereits die Alarmglocken?
Nein, bei dieser Wahl noch nicht. Langfristig gesehen allerdings schon.

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