Darum gehts
- Céline nahm sich mit 13 das Leben nach Cybermobbing
- Ihre Eltern kämpfen für neuen Straftatbestand gegen Cybermobbing
- Jetzt könnte das Parlament den jahrelangen Kampf zunichtemachen
Céline nahm sich das Leben mit 13. Das Mädchen aus Spreitenbach AG schied aus dem Leben, nachdem es bedroht, beleidigt und fertiggemacht worden war. Intime Bilder tauchten im Netz auf, Céline wurde unter Druck gesetzt und blossgestellt. Ihr Tod erschütterte 2017 die Schweiz.
Seither führen Célines Eltern einen Kampf gegen Cybermobbing. Nadya und Candid Pfister haben den Verein Célines Voice gegründet. Sie besuchen damit Schulen, um jungen Menschen zu zeigen, was Mobbing anrichten kann. Sie erzählen in der Öffentlichkeit immer wieder vom traurigen Schicksal ihrer Tochter. Damit die Schweiz weiss, was Mobbing anrichten kann. Damit die Schweiz nicht vergisst und über Massnahmen diskutiert.
Auch die Jugendorganisation Pro Juventute hat sich in die Debatte eingeschaltet. Sie liess, gemeinsam mit anderen Jugendorganisationen, den Parlamentsmitgliedern einen offenen Brief zukommen. «Der aktuelle Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Cybermobbing ist ungenügend», warnt die Organisation. Das geltende Recht greife zu wenig. Auch der Verein Célines Voice engagiert sich mit Post an die Parlamentarier.
Auch die Jugendorganisation Pro Juventute hat sich in die Debatte eingeschaltet. Sie liess, gemeinsam mit anderen Jugendorganisationen, den Parlamentsmitgliedern einen offenen Brief zukommen. «Der aktuelle Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Cybermobbing ist ungenügend», warnt die Organisation. Das geltende Recht greife zu wenig. Auch der Verein Célines Voice engagiert sich mit Post an die Parlamentarier.
Pfisters haben viel erreicht. Sie haben die Debatte über Cybermobbing vorangebracht. Doch diese Woche wackelt ein gewaltiger Brocken in ihrem Kampf: Seit 2020 kämpfen die beiden dafür, dass Cybermobbing ein eigener Straftatbestand im Gesetz wird.
Am Freitag fällt der Entscheid
Bisher war dieses Bestreben auf sehr gutem Weg. Die Aargauer SP-Nationalrätin Gabriela Suter (53) reichte 2020 einen entsprechenden Vorstoss im Parlament ein. National- und Ständerat stimmten mit überwältigenden Mehrheiten zu. Die Bundesverwaltung arbeitete einen Gesetzesvorschlag aus. Doch nun könnte dieser gestrichen werden. Die Rechtskommission des Nationalrats will zurückkrebsen und das Vorhaben vom Tisch wischen. Der Entscheid könnte schon diesen Freitag fallen.
Der Grund: Die Kommission ist überzeugt, dass es heute bereits möglich ist, Cybermobbing zu verfolgen. Man kann etwa Anzeige wegen Beleidigung, wegen Nötigung oder wegen Beschimpfung machen. Ein neuer Straftatbestand würde zu Abgrenzungsproblemen und Unsicherheit führen.
Barbara Steinmann (49) ist dagegen, dass Cybermobbing ein eigener Straftatbestand wird. Die Zürcher SVP-Nationalrätin betont: «Wir wollen eigentlich alle das Gleiche.» Auch sie wolle, dass Täter zur Rechenschaft gezogen würden.
Warum sind sie und die Rechtskommission dann dagegen, dass es für Cybermobbing einen eigenen Straftatbestand gibt? Die Kommission habe «unglaublich sorgfältige Abklärungen» vorgenommen, betont Steinmann. «Alle Strafrechtsexperten sagten, dass eine separate Strafnorm keinen Sinn ergibt.» Bereits heute sei jede einzelne Handlung wie Nötigung, Bedrohung, Ehrverletzung oder Missbrauch einer Fernmeldeanlage strafbar. «Entscheidend waren für mich auch die Erfahrungen im Ausland», sagt Steinmann.
Österreich kennt seit zehn Jahren ein entsprechendes Gesetz, es gibt jährlich Hunderte Anzeigen, aber nur sehr wenige Verurteilungen. Es sei meist nicht möglich, die Taten genügend zu beweisen, zum Beispiel weil Server an einem anderen Ort auf der Welt stehen.
Ein neuer Straftatbestand würde deshalb Erwartungen wecken, die man nicht erfüllen könne. «Es ginge nur darum, ein Zeichen zu setzen», so Steinmann. Aus ihrer persönlichen Sicht würde vor allem ein Mittel helfen: Die Strafen im Jugendrecht müssten erhöht werden und so einschneidend sein, dass sie abschrecken. Der 14-Jährige, der im Fall Céline verurteilt wurde, erhielt nur wenige Tage Strafe.
Barbara Steinmann (49) ist dagegen, dass Cybermobbing ein eigener Straftatbestand wird. Die Zürcher SVP-Nationalrätin betont: «Wir wollen eigentlich alle das Gleiche.» Auch sie wolle, dass Täter zur Rechenschaft gezogen würden.
Warum sind sie und die Rechtskommission dann dagegen, dass es für Cybermobbing einen eigenen Straftatbestand gibt? Die Kommission habe «unglaublich sorgfältige Abklärungen» vorgenommen, betont Steinmann. «Alle Strafrechtsexperten sagten, dass eine separate Strafnorm keinen Sinn ergibt.» Bereits heute sei jede einzelne Handlung wie Nötigung, Bedrohung, Ehrverletzung oder Missbrauch einer Fernmeldeanlage strafbar. «Entscheidend waren für mich auch die Erfahrungen im Ausland», sagt Steinmann.
Österreich kennt seit zehn Jahren ein entsprechendes Gesetz, es gibt jährlich Hunderte Anzeigen, aber nur sehr wenige Verurteilungen. Es sei meist nicht möglich, die Taten genügend zu beweisen, zum Beispiel weil Server an einem anderen Ort auf der Welt stehen.
Ein neuer Straftatbestand würde deshalb Erwartungen wecken, die man nicht erfüllen könne. «Es ginge nur darum, ein Zeichen zu setzen», so Steinmann. Aus ihrer persönlichen Sicht würde vor allem ein Mittel helfen: Die Strafen im Jugendrecht müssten erhöht werden und so einschneidend sein, dass sie abschrecken. Der 14-Jährige, der im Fall Céline verurteilt wurde, erhielt nur wenige Tage Strafe.
Célines Mutter will dies nicht gelten lassen. «Der Fall von Céline hat uns aufgezeigt, dass es diesen Straftatbestand braucht», sagt Nadya Pfister (57). Sie blickt zurück. Sie und ihr Mann haben 25'000 Franken ausgegeben, damit ein wenig Gerechtigkeit hergestellt wird, damit eine Täterin und ein Täter zur Rechenschaft gezogen wurden. Sie haben dafür vier Anzeigen gegen zwei Täter gemacht und einen Anwalt beschäftigt.
«Als Privatperson muss ich mich durch den Dschungel an Gesetzen durchwühlen», sagt Pfister. «Das ist sehr komplex.» Da sei man schnell überfordert. Auch deshalb will Nadya Pfister diese Gesetzesänderung: Nicht die Eltern, nicht die Opfer sollen den riesigen Aufwand haben und Tausende Franken aufwerfen müssen, damit etwas passiert. Der Staat soll in solchen Fällen ermitteln müssen, von Amtes wegen.
Nadya Pfister ist überzeugt: Cybermobbing wird durch die bisherigen Kategorien nicht gut abgedeckt. Denn das Mobbing entwickle durch die grosse Reichweite in den sozialen Medien oder auf Whatsapp eine ganz eigene Wucht. «Es ist nicht dasselbe, wie wenn man im Schulhof beschimpft wird.» Rasend schnell verbreiten sich Äusserungen, sie bleiben gespeichert, die Opfer sind rund um die Uhr damit konfrontiert. «Wir sind im 21. Jahrhundert. Das Gesetz muss sich anpassen», sagt Pfister.
«Céline ist kein Einzelfall»
Schützenhilfe erhält Nadya Pfister von Nationalrätin Gabriela Suter. Die SP-Politikerin sagt, es gebe zwar tatsächlich heute schon Straftatbestände wie Nötigung oder Beschimpfung. Mobbing werde aber auf verschiedene Delikte aufgespalten, die jeweils für sich allein vollständig erfüllt sein müssen, um strafrechtlich relevant zu sein.«Die Kombination der einzelnen Handlungen hat jedoch schwerwiegende Auswirkungen auf die Opfer.»
Das Perfide sei oft, dass es für eine Verurteilung wegen Beschimpfung oder Nötigung nicht reiche, obwohl das Verhalten in seiner Gesamtheit für die Betroffenen quälend und herabsetzend sei und gravierende Folgen haben könne.
Suter ist enttäuscht, dass die Rechtskommission das Gesetz nicht mehr vorantreiben will. Schliesslich habe die Bundesverwaltung einen Entwurf ausgearbeitet. Suter fordert, dass der dieser zumindest in die Vernehmlassung geschickt wird und so öffentlich diskutiert werden kann.
Nadya Pfister hört viele beklemmende Geschichten. Sie hat auch Kontakt zu einer Mutter, deren Tochter sich am Ende ebenfalls das Leben nahm. Mitschüler schickten dem Mädchen ein Video, auf dem sich jemand vor einen Zug wirft. Das Gesicht des Mädchens war hineingeschnitten. «Céline ist kein Einzelfall», sagt Pfister. «Wir müssen weiterkämpfen. Dieses neue Gesetz sind wir unserer Tochter und der Gesellschaft schuldig.»