Jobs in Gefahr
Wien macht Genf Konkurrenz

Die Österreicher wollen, dass Diplomaten vom Uno-Standort Genf nach Wien umziehen. Hinter vorgehaltener Hand sprechen Schweizer Diplomaten von einer «feindliche Übernahme». Auch andere Städte buhlen um Arbeitsplätze der Weltorganisation.
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Uno-Standort in Wien.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Österreich buhlt um Uno-Stellen in Genf, Schweiz protestiert dagegen
  • Schweiz argumentiert: Genf ist zweitgrösster Uno-Standort mit 184 ständigen Missionen
  • Uno-Menschenrechtsrat könnte einen Teil seiner 900 Stellen in Genf verlegen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Bern ist derzeit gar nicht gut auf die österreichische Aussenministerin Beate Meinl-Reisinger (47) zu sprechen. Die Ösis hätten am liebsten, dass möglichst viele Arbeitsplätze der Uno von Genf nach Wien verlegt werden. Hintergrund: Die Weltorganisation muss 20 Prozent ihrer globalen Personalkosten einsparen.

Wie Blick weiss, hat Österreich mehrere Unterorganisationen der Vereinten Nationen in Genf und New York angeschrieben, um für einen Umzug in seine Hauptstadt zu werben – nach dem Motto: Wien, Wien, nur du allein! Das Nachbarland ist sogar bereit, einen Teil der Personalkosten zu übernehmen, sollten Stellen nach Wien verlegt werden. Aus Sicht der Schweiz ist das ein diplomatischer Affront!

«Feindliche Übernahme»

Jahrelang galt zwischen Wien und Bern ein «Gentleman's Agreement»: Genf respektiert den österreichischen Uno-Standort – dafür wildert Wien nicht in Genf. Hinter vorgehaltener Hand werfen Schweizer Diplomaten den Österreichern nun eine «feindliche Übernahme» vor. Die Nervosität ist gross, seit bekannt wurde, dass der Uno-Menschenrechtsrat einen Teil seiner 900 Beschäftigten von Genf nach Wien verlegen könnte.

Doch nicht nur Wien will Genf Arbeitsplätze abjagen. Auch andere Standorte sind scharf auf eine Ansiedelung von Uno-Dienststellen:

  • Turin (I): Obwohl die Uno-Mitgliedsstaaten in Turin gar keine ständige Vertretung haben, prüft die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) die Verlegung Dutzender Arbeitsplätze von Genf ins Piemont. Mal war von 300 Stellen die Rede, die aus der Schweiz nach Norditalien verlegt werden sollten, dann von 100, zuletzt wieder von 300. Im Staatssekretariat für Wirtschaft, das für die ILO zuständig ist, ist man von der italienischen Offensive genervt.
  • Rom: Das Uno-Kinderhilfswerk Unicef hat angekündigt, rund 300 Stellen aus dem Genfer Büro nach Rom zu verlagern, um Kosten durch gesunkene Finanzierung zu reduzieren.
  • Lyon (F): Obwohl der Hauptsitz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf liegt, hat diese das Programm «WHO Academy, Health Workforce and Nursing» bereits nach Lyon verlegt. Seit 2023 finden hier jährlich Präsenzschulungen für bis zu 16’000 Gesundheitsfachkräfte statt.
  • Valencia (Spanien): Das Uno-Rechenzentrum UNICC hat seinen Hauptsitz in Genf, könnte aber Stellen von dort, aber auch aus New York nach Valencia verlegen.
  • Bonn (D): Deutschland hat der ILO ebenfalls ein Angebot gemacht, Teile der Organisation vom Genfersee an den Rhein zu verlegen.
  • NGOs: Auch viele Nichtregierungsorganisationen haben finanzielle Probleme und wandern daher aus Genf ab. Die Internationale Katholische Migrationskommission, die sich für Auswanderer und Flüchtlinge engagiert, ist bereits nach Rom umgezogen.

Das Aussendepartement EDA hat bei den Nachbarländern gegen solche Demonstrationen unfreundlicher Konkurrenz protestiert. Die Schweizer Diplomatie arbeitet mit Hochdruck daran, einen Exodus aus Genf zu verhindern.

Genf ist teuer, aber attraktiv

Ihr Hauptargument: Genf ist der zweitgrösste Uno-Standort mit 184 ständigen Missionen – eine deutlich höhere Zahl als anderswo. Wer Genf schwächt, schwächt den Multilateralismus. Ein Umzug möge kurzfristig verlockend sein – langfristig lohnt er aber kaum. Zwar ist Genf teurer als andere Orte – dafür kann die Schweiz mit einem hervorragenden Bildungs- und Gesundheitssystem punkten. In Nairobi (Kenia) beispielsweise muss man viel Geld für private Sicherheitsfirmen aufbringen – was in Genf nicht notwendig ist.

Und was meint der Schweizer Uno-Botschafter in Genf? «Die Sparprogramme laufen. Es ist noch nicht möglich, die bedrohten Arbeitsplätze zu beziffern», sagt Jürg Lauber (62) zu Blick. «Verlagerungen von Arbeitsplätzen sollen dazu dienen, die Wirksamkeit des Handelns der internationalen Organisationen mittel- und langfristig zu erhöhen und dürfen sich nicht allein an einer Logik unmittelbarer Einsparungen orientieren.» Lauber ist überzeugt: Zu viele Uno-Standorte wären kontraproduktiv, da sie zu Zersplitterungen und Doppelstrukturen führen. «Fast alle Mitgliedstaaten der Uno sind in Genf vertreten. Das ist ein entscheidender Standortvorteil.»

«Österreich steht zum Gentleman's Agreement»

Wien bestreitet, an einer feindlichen Übernahme zu arbeiten: «Wien gehört zu den kostengünstigeren Hauptquartieren der Vereinten Nationen, nicht zuletzt weil wir den Uno-Organisationen die Gebäude für eine geringe Nutzungsgebühr zur Verfügung stellen, die Lebenshaltungs- und Sicherheitskosten geringer sind als an anderen Standorten und die Amtssitzabkommen umfassende Immunitäten und Privilegien vorsehen», teilt das Aussenministerium mit. «Es gibt keine Abwerbung von Organisationen nach Wien. Jeder Amtssitz versucht, mit seinen eigenen Standortvorteilen zu punkten und die internationalen Organisationen entsprechend zu fördern. Österreich steht weiterhin zum Gentleman's Agreement mit der Schweiz.»

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