Jetzt wehrt sich ein Bildungsexperte
Ein Ja zur Volksschule

Kritik soll fair und konstruktiv sein, findet Rudolf Isler. Wenn zum Schulanfang der Eindruck entstehe, dass die Volksschule Kinder kaputtmache, sei weder den Eltern noch den Lehrern und schon gar nicht den Kindern geholfen.
Publiziert: 10:39 Uhr
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Bildungsexperte Rudolf Isler verteidigt die Volksschule.
Foto: Fabienne Bühler

Darum gehts

  • Plädoyer für die Schweizer Volksschule: Bildungsexperte lobt moderne Unterrichtsmethoden
  • Schule fördert gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration in der demokratischen Schweiz
  • 95 Prozent der Schweizer Schulkinder besuchen die Volksschule, insgesamt über 950'000
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Letzten Sonntag berichtete Blick von Eltern, die ihr Kind in die Privatschule schicken. Bildungsexperte Rudolf Isler* verfasst daraufhin ein Plädoyer für die Schweizer Volksschule.

«Heute ist ein grosser Tag für unsere Kleine», postet ein stolzer Vater am ersten Schultag seiner Zweitklässlerin. Sie gehört jetzt zu denen, die zusammen mit dem ganzen Primarschulhaus die neuen Erstklässler empfangen und ins Schulleben einführen darf. Grossartig!

Wie sie besuchen mehr als 950'000 Kinder und Jugendliche die Volksschule – in der Schweiz sind das 95 Prozent der jungen Menschen im Schulalter. Sie freuen sich auf den Schulstart, nicht nur auf die Kolleginnen und Kollegen, auch auf die Lehrerin, auf die coolen Projekte, auf das Klassenlager, auf spannende Themen. Die überwiegende Mehrheit der Kinder geht gern zur Schule und profitiert fürs ganze Leben. Das bleibt oft unerwähnt.

Natürlich sind da die Hausaufgaben, die nicht nur Freude machen und die Familie bisweilen beanspruchen, die Prüfungen. Und vor dem Schulstart schlafen einige nicht gut und sind besorgt, ob sie das nächste Schuljahr bewältigen und die Freunde immer noch Freunde sind. Aber tatsächlich möchten sie die Schule nicht missen. Seit Corona wissen das alle.

Denn die heutige Schule ist nicht mehr so, wie nimmermüde Kritiker sie gerne darstellen. Frontalunterricht ist schon lange nicht mehr dröge Einheitskost. Kooperatives Lernen wird überall praktiziert. Selbständiges Arbeiten in Ateliers ist die Regel. Und fast alle Lehrerinnen sind hoch engagierte Menschen.

Sie machen sich Gedanken über die bestmögliche Einführung der nächsten Generation in die Welt von morgen. Ihre Bemühungen verdienen Wertschätzung. Sie begleiten – zumeist ohne grosse öffentliche Anerkennung – die Kinder auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden, und sie versuchen, etwas für den gesellschaftlichen Zusammenhalt von Menschen mit immer mehr divergierenden Hintergründen und Lebensentwürfen zu tun. Die Integrationsleistung der öffentlichen Schule hat für die demokratische Schweiz eine unschätzbare Bedeutung. Gäbe es sie nicht, würde man das schmerzlich spüren.

Druck? Ja, den gibt es – zuerst einmal als Leistungsdruck. In unserer Gesellschaft muss alles immer schneller, besser, effizienter, produktiver, einzigartiger werden. Bei den Hunderten von Lehrern und bei den Tausenden von Schülern, die ich in meiner Berufstätigkeit gesehen habe, hatte ich nie den Eindruck, dass die Schule diesen gesellschaftlichen Druck potenziert. Im Gegenteil. Sie versucht, ihn abzufedern.

Dass die Schule in unserer modernen Welt Anforderungen stellt, ist aber richtig. Sie tut das in den allermeisten Fällen dosiert und fördernd. Forschungen zeigen zudem, dass gerade eine anforderungslose Pädagogik den Selbstwert der Kinder untergräbt. Sie spüren dann, dass man ihnen nichts zumutet, und verlieren so den Glauben an sich selbst.

* Prof. Dr. Rudolf Isler ist Bildungsexperte und Autor. Er war Dozent und Präsident des Senats der Pädagogischen Hochschule Zürich. Isler verfasste zahlreiche Publikationen zu historischen und aktuellen Fragen der Pädagogik, der allgemeinen Didaktik und der Lehrberufe.

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