Pfiffe, Buh-Rufe und laute Musik: Sie und Ihre Gruppe haben das Interview mit Alice Weidel gestört. Was erhoffen Sie sich von einer solchen Aktion?
Philipp Ruch: Wir haben da nichts gestört, nur verschönert. Niemand will Nazis zur Hauptsendezeit im deutschen Fernsehen sehen. Der Staat hat vor zwei Monaten die gesamte AfD als «gesichert rechtsextrem» eingestuft. Es reicht jetzt langsam.
Sie haben ein sachliches Gespräch verunmöglicht und damit die mediale Information der Öffentlichkeit verhindert.
Natürlich haben wir das. Wir möchten nicht, dass sachliche Gespräche mit rechtsextremen Wahlschweizerinnen stattfinden – allerhöchstens unsachliche. Schon gar nicht wollen wir, dass sie ihre Propaganda zur besten Sendezeit als «sachliche Information» tarnen können. Deutschland ist vorbelastet. In Deutschland ist man sehr schnell wieder beim Ausrotten.
Von einem Interview mit der Vorsitzenden einer demokratisch gewählten Partei bis zum «Ausrotten» ist es ein etwas gar weiter Sprung, finden Sie nicht?
Soll ich Ihnen verraten, was ich für Zuschriften erhalte?
Bitte.
Das volle Programm bis hin zu Morddrohungen und Tötungsfantasien. Rechtsextremisten richten in Deutschland Politiker hin. CDU-Mann Walter Lübcke wurde auf seiner Terrasse aus nächster Nähe von einem AfD-Wahlkampfhelfer erschossen.
Alice Weidel hat aber nicht über Tötungsfantasien gesprochen, sondern über parlamentarische Politik. Gilt Meinungsfreiheit nicht auch für die AfD?
Wenn man den Tatbestand, im Jahr 2025 offen menschenfeindlich aufzutreten und im stillen Kämmerchen Deportationen zu planen, als «Meinung» bezeichnet, dann gilt sie nicht für die AfD. Ich habe ein Buch über die Pläne der Partei geschrieben und kann überhaupt keine «Meinungen» erkennen, nur Knallhart-Pläne. Vielleicht fällt die AfD-geführte Bundeswehr 2038 ja in die Schweiz ein. Sie müssen mit allem rechnen. Die AfD wäre so dumm.
Entweder meinen Sie das satirisch – oder Sie machen sich gerade lächerlich.
Ich meine das ernst. Im Grund genommen sind sie ja schon da. Die Schweiz ist ein Eldorado für deutsche Rechtsextreme.
Mit Ihrer Störaktion haben Sie die TV-Zuschauer wohl eher verärgert als von Ihrer eigenen Position überzeugt.
Wir vertreten keine Position, sondern die Verfassung, die wehrhafte Demokratie. Der Rechtsextremismus hat kein Anrecht – schon historisch gesehen nicht – in Deutschland ein Viertel aller Wähler einzusammeln. Die meisten Menschen wählen demokratische Parteien.
Bei Philipp Ruch (44) weiss man nie so recht: Meint er ernst, was er sagt, oder schwingt da wieder seine Ironie mit? Der Aktionskünstler und Politaktivist kam in Dresden als Sohn eines Schweizers und einer DDR-Bürgerin zur Welt. 1989 reiste seine Familie aus in die Schweiz, wo er von 1996 bis 1999 die Handelsschule in Bern besuchte und in Zürich bei einer Filmpromotionsfirma arbeitete. 2001 ging er zurück nach Deutschland, studierte politische Philosophie in Berlin und gründete das Zentrum für Politische Schönheit. Seither sorgt er immer wieder mit aufsehenerregenden Aktionen für Schlagzeilen. Ruch steht auf Todeslisten von deutschen Rechtsextremisten.
Bei Philipp Ruch (44) weiss man nie so recht: Meint er ernst, was er sagt, oder schwingt da wieder seine Ironie mit? Der Aktionskünstler und Politaktivist kam in Dresden als Sohn eines Schweizers und einer DDR-Bürgerin zur Welt. 1989 reiste seine Familie aus in die Schweiz, wo er von 1996 bis 1999 die Handelsschule in Bern besuchte und in Zürich bei einer Filmpromotionsfirma arbeitete. 2001 ging er zurück nach Deutschland, studierte politische Philosophie in Berlin und gründete das Zentrum für Politische Schönheit. Seither sorgt er immer wieder mit aufsehenerregenden Aktionen für Schlagzeilen. Ruch steht auf Todeslisten von deutschen Rechtsextremisten.
Sie sagen es: Ein Viertel wählt die AfD. Das ist eine Tatsache. Ist es nicht legitim, wenn die ARD ein kritisches Gespräch mit Alice Weidel führt?
Ich finde es schon allerhand, dass der Staat die AfD als Rechtsextremisten einstuft und die ARD auf die Idee kommt: «Hey, lass uns doch ein lauschiges Gespräch am Fluss, mitten im Regierungsviertel, machen.» Da hätten die eigentlich auch selbst drauf kommen können, dass das unanständig ist.
Das Gespräch war ein journalistisches Interview. Ihre Störaktion torpediert die Pressefreiheit.
Die Eingangsfrage des Moderators lautete: «Frau Weidel, warum ist Ihnen Ehrlichkeit in der Politik so wichtig?» Ich sehe in so etwas den grösseren Schaden für die Pressefreiheit.
Trotzdem: Die grosse Verliererin ist die ARD – das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Das war kaum Ihr Ziel?
Das glaube ich nicht. Der Sender hat mit dem TV-Moment des Jahres Fernsehgeschichte geschrieben. Wozu haben wir das Fernsehen, wenn nicht genau für diese Momente?
Der Sender sieht sich wegen Ihrer Aktion massiver Kritik ausgesetzt, weil die Verantwortlichen das Gespräch laufen liessen. Profitieren dürfte nur eine Person: Alice Weidel. Sie kann sich nun in der Opferrolle präsentieren.
Ich sehe Weidel und die AfD gerne in der Opferrolle. Ich denke, niemand hätte Interesse daran, den deutschen Rechtsextremismus noch mal in der Täterrolle zu sehen. Wir wissen, wo das geendet hat.
Sie sind Schweizer, leben aber seit der Jahrtausendwende in Deutschland. Immer wieder fielen Sie und Ihr Künstlerkollektiv mit Aktionen gegen die AfD auf. 2017 stellten Sie in einer Nacht-und Nebel-aktion Björn Höcke heimlich ein Holocaust-Mahnmal in den Garten. Warum treibt Sie diese Partei dermassen um?
Ich glaube, dass die AfD Europa ins Verderben führen würde. Und wissen Sie, was ich nie verstehen werde?
Sagen Sie es uns.
Dass eine queere Frau, die in der Schweiz lebt und dort auch Steuern zahlt, den Deutschen etwas vom strammen deutschen Volk erzählt, ist ein völliger Widerspruch. Und die Politik wehrt sich kaum dagegen.