Darum gehts
- Bundesrat will Schuldenbetreibungs- und Konkursgesetz reformieren und Restschuldbefreiung einführen
- Schuldenberatungsfachstellen warnen vor zu langer Frist für Restschuldbefreiung
- Bei rund 55 Prozent aller Schulden ist der Staat der Gläubiger
Eine Krankheit oder ein Unfall, ein Jobverlust oder eine Trennung: In der Schweiz geraten immer mehr Menschen in die Schuldenfalle – und leiden oft ein ganzes Leben darunter. Anders als nach einer Straftat wie Körperverletzung oder einem Wirtschaftsdelikt gibt es keine Verjährungsfrist – und oft keine zweite Chance.
Das soll sich ändern. Der Bundesrat will das Schuldenbetreibungs- und Konkursgesetz (SCHKG, oder wie in Fachkreisen gewitzelt wird: «Scheisse, kein Geld») reformieren und unter anderem einführen, was in unseren Nachbarländern gang und gäbe ist: die Restschuldbefreiung. Das würde erlauben, dass Betroffenen ein Teil der Schulden erlassen wird – für immer.
«Es droht ein Rohrkrepierer»
Um dieses Ziel zu erreichen, sollen Hochverschuldete während drei Jahren alle Mittel über dem Existenzminimum an die Gläubiger abgeben und sich um ein regelmässiges Einkommen bemühen müssen. Wenn sie das tun, müssen sie die dann noch verbleibenden offenen Forderungen nicht mehr begleichen.
Nun aber schlagen die Schuldenberatungsfachstellen Alarm. Zwar erkennt auch die Rechtskommission des Nationalrats Handlungsbedarf, will Hochverschuldeten aber weniger weit entgegenkommen. Statt drei sollen diese fünf Jahre durchbeissen und alle verfügbaren Mittel abgeben müssen. Gläubiger sollen so einen grösseren Teil ihres Geldes erhalten.
«Mit den geplanten Änderungen der Nationalratskommission droht ein Rohrkrepierer», warnt Christoph Räber von der Fachstelle Schuldenfragen Schwyz. «Schuldner sollen zwar durchaus büssen und ihre Lehren ziehen, sie brauchen aber auch Perspektiven.»
Es drohen viele Abbrüche
Heisst konkret: Drei Jahre seien eine überschaubare Zeit, um am Existenzminimum zu leben. «Fünf Jahre dagegen sind schon wieder so lange, dass viele diese Zeit schlicht nicht durchstehen», sagt Räber. «Es kommt zu vielen Abbrüchen.» Das würden Erfahrungen aus umliegenden Staaten zeigen. So habe etwa Deutschland die Frist von fünf auf drei Jahre verkürzt, weil gar nicht erst so viele Verfahren gestartet worden seien wie erwartet.
«Wer über Jahre hinweg am Existenzminimum lebt, fragt sich irgendwann, warum er morgens noch aufstehen und zur Arbeit soll, wenn ihm dann ohnehin alles weggenommen wird», gibt Räber zu bedenken. Damit sei niemandem gedient, auch den Gläubigern nicht. Zu diesem Schluss kommt auch ein Expertenbericht im Auftrag des zuständigen Bundesamts für Justiz.
Das kann auch dem Staat nicht egal sein. Denn gerade langfristige Schulden bleiben letztlich oft an ihm hängen. Wenn sich eine Person so stark verschuldet, dass sie gepfändet wird, bleibt nur Geld fürs Nötigste. Gepfändete können so die laufenden Steuern nicht bezahlen und machen zwangsläufig neue Schulden beim Steueramt. Mittlerweile ist bei rund 55 Prozent aller Schulden der Staat der Gläubiger.
Kommt hinzu: Der ewige Druck in der Schuldenfalle kann krank machen und führt zu Gesundheitskosten, die wir alle tragen müssen. Gleichzeitig steigen mit jeder Person, die den Schulden entkommt, die Steuereinnahmen und sinken die Sozialausgaben. Der Handlungsbedarf erscheint daher klar. Der Weg zum Ziel bleibt umstritten.