Gewerkschaften schlagen Alarm
«Unsere Wochenenden sind bedroht»

Flexiblere Regeln für Homeoffice, ein längerer Arbeitszeitrahmen und gelegentliche Sonntagsarbeit: Der Nationalrat entscheidet kommende Woche über eine Liberalisierung des Arbeitsgesetzes. Die Gewerkschaften laufen Sturm.
Publiziert: 20:31 Uhr
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Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard warnt vor einer Lockerung des Arbeitsgesetzes.
Foto: FABRICE COFFRINI

Darum gehts

  • Nationalrat entscheidet über Liberalisierung des Arbeitsgesetzes
  • Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard warnt vor schlechteren Arbeitsbedingungen
  • FDP-Chef Thierry Burkart sieht mehr Gestaltungsfreiheit für Arbeitnehmende
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard (57) schlägt Alarm! «Die Arbeitstage werden noch länger und die Freizeit noch kürzer, wenn diese Vorlage durchkommt», warnt der SP-Ständerat. «Die Wochenenden und der Familienalltag von mehr als zwei Millionen Arbeitnehmenden sind bedroht.»

Auslöser für Maillards Befürchtungen ist die Anpassung des Arbeitsgesetzes, das der Nationalrat kommenden Dienstag behandelt. Offiziell geht es dabei um mehr Flexibilität im Homeoffice. Beziehungsweise für jene Angestellten, die ihre Arbeitszeiten «zu einem namhaften Teil» selbst festsetzen und zumindest teilweise ausserhalb des Betriebs arbeiten, etwa zu Hause oder an einem Co-Working-Platz.

Arbeitszeitrahmen von 14 auf 17 Stunden

Für diese sogenannte Telearbeit schlägt die nationalrätliche Wirtschaftskommission mehrere Änderungen vor:

  • Für Arbeitnehmende gilt heute ein Rahmen von maximal 14 Stunden pro Tag, in denen die Arbeitsleistung erbracht werden darf – inklusive Pausen und Überzeit. Für Telearbeit soll der Zeitrahmen auf 17 Stunden erstreckt werden.
  • Die Ruhezeit zwischen zwei Telearbeitstagen wird auf neun Stunden beschränkt, wobei sie im Schnitt weiterhin elf Stunden betragen muss. Wer bis 22 Uhr arbeitet, kann also tags darauf um 7 Uhr wieder loslegen – heute müsste man bis 9 Uhr warten. Allerdings kann die Ruhezeit für «dringende Tätigkeiten» unterbrochen werden kann.
  • Während bis zu sechs Sonntagen pro Jahr können Angestellte künftig bis zu fünf Stunden bewilligungsfrei arbeiten. Dafür gibt es einen Lohnzuschlag von 50 Prozent.
  • Neu wird allen Arbeitnehmenden ein Recht auf Nichterreichbarkeit während der täglichen Ruhezeit und an Sonntagen eingeräumt.

SP-Maillard: «Deregulierung verschlechtert Arbeitsbedingungen»

Zwar braucht es künftig eine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber für eine solche Lösung, doch für Maillard ist klar: «Diese Deregulierung verschlechtert die Arbeitsbedingungen auf breiter Front.»

Der bereits flexible Arbeitsmarkt werde noch weiter liberalisiert. «Schon heute leisten viele Arbeitnehmende Überstunden, auch während der Ruhezeit. Aber zumindest schützt sie das Gesetz vor den grössten missbräuchlichen Forderungen des Arbeitgebers», so Maillard. «Mit dieser Reform müssten die Angestellten fast rund um die Uhr zur Verfügung stehen.»

Die Angestellten hätten nur auf dem Papier die Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. «In der Realität sitzt der Arbeitgeber am längeren Hebel, damit werden 17-Stunden-Tage möglich», moniert Maillard. «Die Folgen dieser Revision wären mehr Stress, Schlafstörungen und Burn-outs.»

FDP-Burkart: «Arbeitnehmer erhält mehr Gestaltungsfreiheit»

FDP-Präsident Thierry Burkart (50) hat die Revision bereits 2016 mit einem Vorstoss angestossen. «Ich will die Homeoffice-Arbeit stärken und den Menschen dadurch mehr Flexibilität im Alltag ermöglichen», sagt er. Es gehe dabei nicht darum, die Arbeitszeit insgesamt zu erhöhen, sondern zeitlichen Rahmen für die Arbeitnehmer zu lockern.

Gerade für Familien oder Alleinerziehende sei das wichtig. So könne jemand beispielsweise frühmorgens E-Mails beantworten, bevor er sich um seine schulpflichtigen Kinder kümmere. Und auch über Mittag oder nach der Schule die Arbeit für ein paar Stunden unterbrechen, um für die Kinder da zu sein. Die neue Regelung soll zudem ermöglichen, zwischendurch Sport zu treiben. «Wer dann zwischen 21 und 22 Uhr noch mal E-Mails beantwortet, verstösst heute gegen das Gesetz – das soll sich ändern.»

Die Revision legalisiere nur, was in der Realität bereits gelebt wird. «Die Flexibilisierung ist keine Pflicht, sondern ein zusätzliches Recht für den Arbeitnehmer. Er erhält mehr Gestaltungsfreiheit», so Burkart. Und: «An der Höchstarbeitszeit von 45 Stunden pro Woche ändert sich nichts!»

Gewerkschaften mit Kampfansage

Pierre-Yves Maillard hingegen befürchtet einen Dammbruch. Die Vorlage passe in eine Reihe von Vorstössen, mit denen die Bürgerlichen das Arbeitsgesetz zu lockern versuchten – stets zulasten der Arbeitnehmenden.

«Wir werden diese Verschlechterungen mit allen Mitteln bekämpfen», betont er. «Wenn das Parlament nicht zur Vernunft kommt, muss das Volk entscheiden.» Damit dürfte also auch ein Referendum zum Thema werden.

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