Darum gehts
- Schweiz scheitert bei Abschiebung krimineller Afghanen nach Kabul
- Taliban verweigern Einreise trotz vorheriger Zusage und Bemühungen des SEM
- 5 Afghanen ausgeschafft, etwa 20 weitere von Rückkehrpflicht betroffen
Bundesrat Beat Jans (61, SP) war stolz auf seine Asylwende: Letzten Oktober gab er bekannt, dass die Schweiz wieder kriminelle Afghanen abschiebt – erstmals seit 2019. Ausser Deutschland war die Schweiz das einzige europäische Land, dem Ausschaffungen nach Kabul gelungen waren. Was Jans verschweigt: Bereits seit Dezember sieht alles wieder ganz anders aus.
Sonntag, 8. Dezember 2024: Beamte der Kantonspolizei Waadt begleiten einen kriminellen Afghanen in einer Turkish-Airlines-Maschine nach Istanbul. «Dort wurde er allein in ein Flugzeug mit Ziel Kabul gesetzt. Seine Ausreise wurde bestätigt.» So steht es in Berichten des Staatssekretariats für Migration (SEM), die Blick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz einsehen konnte.
Zwar landet der Mann wie geplant in Kabul. Doch die afghanischen Behörden lassen ihn nicht einreisen. «Aus uns unbekannten Gründen haben die afghanischen Behörden seine Rückkehr abgelehnt, trotz der Bemühungen des SEM-Personals», halten die Beamten fest. Ein SEM-Mitarbeiter schreibt: «Meine Kontaktperson hat bezüglich der Identität/Nationalität kein Wort verloren. Daher schliesse ich einen Zweifel aus, weil ich ihm alle Unterlagen über unseren Klienten zugestellt habe.»
Für Kabul fehlt ein Dokument
Telefonisch wird das SEM informiert, dass der Afghane zurück in die Schweiz müsse – für den SEM-Mitarbeiter ist das nicht nachvollziehbar: «In der Schweiz soll er das erforderliche Dokument von den afghanischen Behörden einholen. Auf meine Frage ‹Bei welchen afghanischen Behörden in der Schweiz?› musste er zugestehen, dass wir keine afghanischen Behörden in der Schweiz haben. Danach sagte er, dass er das Thema nochmals besprechen müsse.»
Anders als im Herbst, als Kabul noch kompromissbereit war, zeigen die Taliban nun ihre harte Seite. Der Versuch der Schweiz, ein «Laissez-passer» aufzutreiben – ein Reisedokument, das die Einreise ermöglicht hätte –, wird ebenfalls abgelehnt. Der SEM-Mitarbeiter schreibt nach Bern: «Mein Kontakt hat mich informiert, dass sie den Mann auch mit einem Laissez-passer des afghanischen Generalkonsulats nicht zurücknehmen wollen. Ich habe ihn gebeten, das nochmals zu überdenken.»
Freiwillige oder unfreiwillige Rückkehr?
Ohne Erfolg. Der Afghane fliegt am nächsten Tag zurück nach Istanbul. Doch die Schweiz will nicht aufgeben. «Wir glauben, eine Lösung gefunden zu haben», geht aus einem weiteren Dokument hervor. Vertreter des afghanischen Generalkonsulats in Istanbul hätten sich bereit erklärt, «ein ordnungsgemässes Reisedokument auszustellen, unter der Bedingung, dass sie morgen einen kurzen Videoanruf mit unserem afghanischen Rückkehrer führen können. Während dieses Anrufs soll er erklären, dass er freiwillig in sein Heimatland Afghanistan zurückkehrt.»
Ein Mann, der gegen seinen Willen aus der Schweiz ausgeschafft wurde, soll nun das Gegenteil behaupten. An anderen Stellen des Dokuments spricht das SEM klar von einer «unfreiwilligen Rückkehr». Am Ende steigt der kriminelle Afghane tatsächlich in ein Flugzeug – allerdings zurück in die Schweiz, erneut eskortiert von Schweizer Beamten, die dafür nach Istanbul eingeflogen wurden.
Seit der gescheiterten Ausschaffung nach Kabul klappte keine weitere Rückführung. Das SEM teilt mit: «Die afghanischen De-facto-Behörden in Kabul haben in den letzten Monaten ihre Einreisebedingungen geändert. Das SEM prüft derzeit, was dies für die Fortsetzung der Rückkehr von Personen ohne Ausweispapiere bedeutet.»
Deutschland erhält afghanische Konsularbeamte
Wie sieht Jans' Afghanistan-Bilanz aus? Er schaffte letztes Jahr fünf kriminelle Afghanen aus, etwa 20 weitere sollen abgeschoben werden. «Für diese werden die Vorbereitungen für die Rückführung fortgesetzt. Das SEM prüft die Umsetzung von Rückführungen laufend», betont das SEM.
Auch andere Länder haben Mühe mit Ausschaffungen nach Afghanistan. Allerdings ist es Deutschland letzte Woche mithilfe der Vermittlung Katars gelungen, einen Abschiebeflug von Leipzig nach Kabul zu organisieren. Und Berlin hat akzeptiert, dass zwei vom Taliban-Regime entsandte Konsularbeamte die afghanische Botschaft in Berlin und das afghanische Generalkonsulat in Bonn verstärken. Das Taliban-Regime hatte dies als Gegenleistung für den Abschiebeflug verlangt. Die Konsularbeamten sollen bei der Abwicklung von künftigen Abschiebungen mitwirken.
Damian Müller fordert Neustart in der Afghanistan-Politik
Was Deutschland kann, sollte die Schweiz auch können, findet FDP-Migrationspolitiker Damian Müller (40) – und fordert einen Neustart in der Schweizer Afghanistan-Politik. «Die meisten illegalen Migranten stammen aus Afghanistan. Es wird Zeit, dass das SEM Kabul zur Top-Priorität macht», sagt der Luzerner Ständerat im Gespräch mit Blick. «Ich verstehe nicht, warum das SEM zwar in Bagdad vor Ort ist, nicht aber in Kabul. Bundesrat Beat Jans sollte schleunigst prüfen, ob er den SEM-Beamten aus Islamabad nicht nach Kabul verlegen kann.»
Auch fordert Müller, direkte Gespräche mit den Taliban aufzunehmen. «Für Rückführungen brauchen wir das grüne Licht der Behörden vor Ort. An den Taliban führt aktuell kein Weg vorbei – ob uns das passt oder nicht. Wir sollten wie andere Staaten afghanische Konsularbeamte einladen, die uns bei Ausschaffungen unterstützen können. Und wir sollten unser Personal in Kabul verstärken.»
Müller hält es für «unverantwortlich», dass die Schweiz bislang nur für die Entwicklungshilfe mit dem Deza-Büro in Kabul präsent ist. «Wir brauchen Leute, die sich um Migrationsaussenpolitik kümmern und den Menschen in Afghanistan klarmachen, dass sie in der Schweiz keine Zukunft haben.» Müller findet es «unverständlich», dass die Deza «mit den Taliban über humanitäre Hilfe sprechen kann, aber nicht das SEM über die Rückübernahme afghanischer Staatsangehöriger».