Darum gehts
Wer kennt die Ausflugsziele nicht, zumindest vom Hörensagen? Den Berner Hausberg Gurten mit dem Musikfestival im Sommer. Den Zeltplatz Eichholz an der Aare, vor den Toren Berns. Genau genommen sind es nicht Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt, denn sie liegen auf dem Gebiet der Vorortgemeinde Köniz.
Könizerinnen und Könizer, das sind: die frühere SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga (65), die Weltklasse-Leichtathletinnen Ditaji (23) und Mujinga Kambundji (33) oder der ehemalige YB-Torhüter Marco Wölfli (43). Sie werden aber meist als Berner Prominenz wahrgenommen. «Jemand aus Thun würde auch nicht als ‹die Bernerin oder der Berner› bezeichnet», sagt die Könizer Gemeindepräsidentin Tanja Bauer (42/SP).
Die «Einverleibung» stört sie, so wie sie es auch nicht mag, wenn Köniz als kleine Schwester von Bern bezeichnet wird. Oder wenn sie dazu Auskunft geben soll, weshalb sie keine Fusion anstrebe. Diese Frage sei wie ein «Chlapf a Gring», sagt Bauer. Gleich wie der Ausdruck «Agglo-Ort», der nach etwas Hingeworfenem töne.
Köniz ist die dreizehntgrösste Stadt der Schweiz, hat 44'000 Einwohnerinnen und Einwohner. Mitten im Zentrum haben sich alte Bauernhäuser gehalten, nahe der Hauptstrasse liegt eine Weide. Und gleich gegenüber steht ein grosses Einkaufscenter. Eine Stadt in einem Dorf, ein Dorf in einer Stadt. Inklusive Schlossanlage im Ortskern. Ein Teil der Gemeinde grenzt an den Kanton Freiburg, ein anderer an die Stadt Bern. «Köniz ist wie eine kleine Schweiz», sagt Bauer.
Mietwohnung im 7. Stock
Ländliche Ortsteile gehören zu Köniz wie städtische Neubausiedlungen, ein alternatives Kulturzentrum und Einkaufsmeilen. Tanja Bauer lebt in Wabern, im Dorf. In einer Mietwohnung im siebten Stock eines Mehrfamilienhauses. Sie hoffe, möglichst lange dortbleiben zu können, mit ihren drei schulpflichtigen Kindern und ihrem Mann. Eine Sanierung der Liegenschaft wäre für die Gemeindepräsidentin mit einer aufwendigen Wohnungssuche verbunden – wie für viele andere in Köniz, das eine Leerwohnungsziffer von lediglich 0,38 Prozent aufweist. Der Ort wächst, in den nächsten Jahren will die Gemeinde bezahlbaren Wohnraum für 1000 Menschen schaffen.
Ämter der Bundesverwaltung haben sich gleichermassen in Köniz angesiedelt wie grosse Unternehmen. Tanja Bauer ist seit bald drei Jahren Gemeindepräsidentin. Mit Leib und Seele. Am 28. September will sie wiedergewählt werden. Niemand tritt gegen sie an – und doch ist sie Abend für Abend unterwegs, lässt sich an einem Anlass der Wirtschaft blicken, ist an einer Sportveranstaltung dabei oder besucht eine kulturelle Aufführung. Das zeigt sie in den sozialen Medien und ist dort dauerpräsent mit Beiträgen.
Aktiver Wahlkampf
Warum bestreitet sie einen Wahlkampf, als ob sie um ihren Posten bangen müsste? «Ich bin das den Leuten schuldig, will ihnen meine Ideen darlegen, mit ihnen sprechen, mit der Bevölkerung in Kontakt treten», sagt Bauer. Die Wählerschaft verdiene es, ernst genommen zu werden. Zudem dient der Einsatz der Gemeindepräsidentin auch ihrer Partei, kommt in Köniz doch das Proporz-Wahlsystem zur Anwendung.
Mit ihren vier Kollegen in der Exekutive – drei bürgerlichen und einem grünen – arbeite sie gut zusammen. Im Kleinen gebe es die Polarisierung nicht, in der lokalen Praxis müssten links und rechts lösungsorientiert zusammenarbeiten. Daran war der Gemeinderat vor Bauers Zeit gescheitert, als politische Welten aufeinandergeprallt waren, die eine Kooperation unmöglich machten.
Der Aufschwung von Köniz ist bemerkenswert, drohte der Gemeinde doch wegen ihrer finanziellen Schieflage vor Bauers Zeit eine Zwangsverwaltung durch den Kanton Bern. Gegenseitige Beschuldigungen, Konflikte und Uneinigkeit über die zukünftige Strategie rissen nicht ab.
Nicht wenige trauten der jungen Frau mit drei Kindern den Umschwung anfänglich nicht zu. Der linken Gewerkschafterin, die lange für den VPOD tätig gewesen war. Bauer weist darauf hin, dass sie als Swisscom-Mitarbeiterin auch in der Wirtschaft Erfahrungen gesammelt hatte, zehn Jahre lang in der Freiburger Kantonsverwaltung angestellt gewesen war und einst Politikwissenschaften studiert hatte.
Chefin über «Ghüder» und Schule
Bauers Werdegang sieht nach einer akribisch geplanten, geradlinigen Karriere aus. In der kantonalen SP war sie Vizepräsidentin. Die Könizer Gemeindepräsidentin sitzt seit 2018 auch im Berner Grossen Rat, dem Kantonsparlament. Diesem gehört auch ihr Mann an.
Der nächste Schritt liegt auf der Hand: Nationalrat. Eine Spekulation, die Tanja Bauer sogleich dezidiert zurückweist. Sie ziehe es vor, etwas gestalten zu können und die Demokratie hautnah zu erleben. Das nationale Parlament reize sie nicht, sagt Bauer und betont: «Ich habe keine politische Karriere im Kopf.»
Sie sei lieber Chefin über «Ghüder» und Schule anstatt Darstellerin in Schaukämpfen im Nationalrat. Neben der Schaffung von Wohnraum stellt Bauer die Erneuerung der Schulinfrastruktur, die Errichtung von Kindertagesstätten sowie die Wirtschaftsförderung ins Zentrum. Und eine frühzeitige Netto-Null-Klimabilanz.
Die Gemeindepräsidentin hat viele Visionen, und da kommt ihr entgegen, dass sich in Köniz viele gute Steuerzahlerinnen und -zahler niedergelassen haben. Die Finanzen, zudem stattliche Baulandreserven und die Nähe zu Bern eröffnen vielfältige Perspektiven.
Köniz als Sprungbrett
Bauer hat ein 80-Prozent-Pensum als Präsidentin, in dem offensichtlich enorm viel Platz hat. Auch ein Anlass zur Unterstützung der gebeutelten Walliser Partnergemeinde Blatten, um den sich Bauer kümmert. Ihre Arbeit bedinge hohe Motivation und verschlinge einige Energie, sagt die Politikerin.
Nach ihrer angebrochenen jetzigen Amtszeit könnte Bauer höchstens noch zwölf Jahre Könizer Gemeindepräsidentin bleiben. Ob sie das so lange will, weiss die 42-Jährige nicht. Ebenso wenig, was danach kommen soll. Mit der Leidenschaft für ein Exekutivamt könnte es der Sprung in die Berner Kantonsregierung sein. Es sei nicht der Zeitpunkt, darüber zu sinnieren, sagt Bauer. «Das sehen wir dann.»
Vorerst ist sie einmal in der kleinen Schweiz in Köniz gefordert. Wo einst auch die spätere Bundesrätin Simonetta Sommaruga als Gemeinderätin begann, bevor sie in der grossen Schweiz regierte.