Durchsetzungs-Initiative wirkt kontraproduktiv
«Die Opfer können keinen Schlussstrich ziehen»

Die SVP preist ihre Durchsetzungs-Initiative immer wieder als Mittel des Opferschutzes an. Jetzt widerspricht ein Spezialist: Christoph Erdös, Opferanwalt und Präsident der «Stiftung für Opferhilfe Zürich» geht auch davon aus, dass Opfer von Straftaten kaum Vorteile aus der Durchsetzungs-Initiative haben werden.
Publiziert: 05.02.2016 um 17:25 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 01:05 Uhr

Wenn es um die Abstimmung zur Durchsetzungs-Initiative geht, betonen SVP-Exponenten gerne die Rechte der Opfer. Die Initiative bringe darum gerade ihnen viel. Dem widerspricht nun ein Experte.

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Christoph Erdös ist Präsident «Stiftung Opferhilfe Zürich» und arbeitet als Opferanwalt mit eigener Kanzlei tagtäglich mit Betroffenen. Er geht davon aus, dass Opfer von Straftaten kaum Vorteile aus der Durchsetzungs-Initiative haben werden: «Von der Ausschaffung des Täters, die ja erst nach der Verbüssung der Strafe erfolgt, erfährt das Opfer im Normalfall gar nichts.»

Weil es aber mit der Durchsetzungs-Initiative kaum noch Geständnisse geben wird, würden die Opfer von Straftaten einen gravierenden Nachteil daraus erfahren. Für Erdös ist klar: «Die Verfahren verlängern sich, die Opfer können keinen Schlussstrich ziehen. Und: Sie haben damit auch weniger Aussicht auf Genugtuungen und einvernehmliche Lösungen.» Er verweist auf bisherige Erfahrungen: «Wenn es beispielsweise um jugendliche Straftäter geht, werden heute viele Strafbefehle und Genugtuungen am runden Tisch erzielt.» Dazu muss der Täter aber zwingend ein Geständnis ablegen. Und das, so Erdös, werden diese kaum noch machen, weil schon mit nur einer Verurteilung im jugendlichen Alter das Risiko einer Ausschaffung stark steige.

Hier stellt sich gemäss Erdös noch ein weiteres gravierendes Problem mit der Durchsetzungs-Initiative: «Opfer von häuslicher Gewalt sind ohnehin schon doppelt gestraft: Sie werden nicht von Fremden, sondern von Familienangehörigen drangsaliert.» Das mache eine schon heute eine Anzeigenerstattung viel schwieriger. 

Erdös ist sicher: «Wenn die Durchsetzungs-Initiative nun solche Täter auch noch mit der automatischen Ausschaffung bedroht, dann werden sich noch weniger Opfer bei der Polizei melden.» Sie würden dann von der Verwandtschaft auch noch für die Rückschaffung des Täters ins ursprüngliche Heimatland verantwortlich gemacht. «Die Folge wird sein, dass sich Opfer häuslicher Gewalt kaum mehr zu wehren wagen.» Die Opfer würden ein wichtiges Instrument verlieren, um sich gegen Übergriffe zu wehren, und seien damit faktisch den Tätern schutzlos ausgeliefert. Eine Annahme der Durchsetzungs-Initiative werde die Arbeit der Strafverfolger noch schwieriger machen. Schon heute würden viele Anzeigen wegen häuslicher Gewalt am Schluss aus Gründen der Familienraison zurückgezogen.

Heute werden rund 36 Prozent aller Ehen unter Partnern aus verschiedenen Nationen geschlossen. «Es ist also ein grosser Anteil der Schweizer Bürger von der Durchsetzungs-Initiative unmittelbar betroffen, zum Beispiel wenn es um häusliche Gewalt geht», sagt Erdös.

Und schliesslich läuft eine Betroffene häuslicher Gewalt unter Umständen auch noch Gefahr, schuldlos selbst ausgeschafft zu werden: «Bei einem Ausländerpaar müsste die Frau unter Umständen nach Ausschaffung ihres Ehegatten die Schweiz ebenfalls verlassen.» Dies, so Erdös, weil sie dann möglicherweise keinen Ernährer mehr hat und darum ihren Aufenthaltsstatus verliert.

Für Erdös ist klar: «Der Rechtsfrieden wird dadurch massiv gestört, was in niemandes Interesse sein kann.»

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