Darum gehts
- Schweizer Polizei kämpft gegen Personalmangel und hohe Durchfallquoten bei Aufnahmeprüfungen
- Kantone passen Aufnahmeverfahren an und diskutieren C-Bewilligung
- Durchfallquote bei Polizeiaufnahmeprüfungen liegt je nach Kanton bei bis zu 80 Prozent
Samuel M.* hat 2007 die Polizeischule abgeschlossen und steht seit 19 Jahren im Dienst. Zurzeit arbeitet er im Aussendienst als Sicherheitspolizist bei der Kantonspolizei Basel-Stadt. Er sagt: «Inzwischen müssen wir Einsätze stärker priorisieren – wegen jeder Lärmbelästigung können wir nicht mehr sofort ausrücken.» Er kenne Kolleginnen und Kollegen, die aufgrund der Arbeitsbelastung das Korps gewechselt hätten – in der Hoffnung auf eine ausgewogenere Work-Life-Balance.
Der Personalmangel bei Schweizer Polizeien spitzt sich zu: 2023 gab es in der Schweiz einen Polizisten pro 466 Einwohner, 2025 sind es elf Einwohner mehr pro Ordnungshüter. Aufgrund des akuten Personalmangels bei der Polizei ist es momentan nicht mehr möglich, alle Einsätze in angemessener Zeit abzuschliessen. Das bestätigt der Verband Schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB). Die Folgen: längere Wartezeiten bei Einsätzen. In den kommenden Jahren werden die Babyboomer-Generationen in den Ruhestand treten, was die Situation noch verschlechtern dürfte.
Lockerungen der Zulassungsbedingungen
Nicht nur beim Personal fehlt es, auch beim Nachwuchs harzt es. Zwar gibt es viele Bewerbungen, doch ein grosser Teil der Kandidatinnen und Kandidaten scheitert an den Aufnahmebedingungen. Die aktuellen Durchfallquoten liegen je nach Kanton bei über 80 Prozent. Dass die Aufnahmeprüfungen hart sind, ist den Korps klar. Einfacher sollen die Prüfungen jedoch nicht werden, heisst es auf Anfrage bei den Kantonen.
Anders sieht es bei den Zulassungsbedingungen aus. Diese werden nun bereits seit mehreren Jahren kontinuierlich angepasst. In vielen Kantonen spielt die Mindestkörpergrösse inzwischen keine Rolle mehr und sichtbare Tattoos sind mittlerweile weitgehend erlaubt. Mit den Anpassungen wolle man dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung tragen. Auch die Anerkennung der C-Bewilligung steht zur Diskussion – zurzeit etwa im Baselbieter Landrat, angestossen durch eine Motion von Landrätin Simone Abt (SP). Mit Ausnahme der Kantone Basel-Stadt, Jura, Schwyz und Neuenburg ist die Schweizer Staatsbürgerschaft jedoch nach wie vor eine Voraussetzung für eine Bewerbung.
Basel-Stadt zieht Fazit zu Pilotprojekten
Bei der Kantonspolizei Basel-Stadt liegt die Quote derjenigen, die letztlich alle Anforderungen erfüllen und die Polizeischule beginnen, bei rund 15 Prozent. Da viele Bewerberinnen und Bewerber am Sporttest scheiterten, wurden Anpassungen vorgenommen: Die Sportprüfung kann jetzt beliebig oft wiederholt werden, bis sie bestanden ist. Früher war erst nach einem Jahr ein neuer Versuch möglich. Zudem können Interessierte den Sporttest neu in der Turnhalle üben, dabei Polizistinnen und Polizisten kennenlernen und sich coachen lassen. Wer den Sporttest besteht, wird in einem weiteren Schritt zu einem kostenlosen Deutschkurs eingeladen.
Die bisherigen Pilotprojekte seien sehr erfolgreich gewesen und werden laut der Kantonspolizei Basel-Stadt nun fortgesetzt. Das neue Konzept komme bei den Interessierten ausgesprochen gut an. «Wir haben festgestellt, dass der erhöhte Aufwand im Vorfeld zu einer niedrigeren Durchfallquote führt.»
Mehr Nachwuchs
Bei der Basellandschaftlichen Polizei nehmen die Bewerbungen zwar ab, doch die Qualität der Kandidaten habe sich verbessert, bestätigt das Polizeikorps auf Anfrage. Die Polizei Basel-Landschaft sei bereit, zusätzliche Ausbildungsstellen zu schaffen, um künftigem Personalmangel durch Pensionierungen und Abgänge vorzubeugen. Der Bewerbungsprozess werde laufend an neue Anforderungen und gesellschaftliche Entwicklungen angepasst. Zudem prüfe die Polizei mögliche alternative Zugangswege, etwa Passerellen aus verwandten Berufen, die den Einstieg künftig erleichtern könnten.
Winterthur fördert den Wiedereinstieg
In der Stadt Winterthur liegt die Durchfallquote bei der polizeilichen Aufnahmeprüfung bei rund 80 Prozent. Bereits bei den Onlinevortests, die zu Hause absolviert werden, scheitert etwa die Hälfte der Bewerberinnen und Bewerber. Um dem zunehmenden Personalmangel entgegenzuwirken, spreche die Polizei neu gezielt auch Wiedereinsteigerinnen und Wiedereinsteiger an und biete zudem Anstellungen mit sehr kleinen Pensen an – etwa für Frauen, die nach einer Mutterschaft schrittweise ins Berufsleben zurückkehren möchten oder gar nicht erst austreten wollen. Die Zahl der Ausbildungsplätze sei mehr als verdoppelt worden.
Für Samuel M. sind die Auswirkungen nicht nur im Berufsalltag spürbar: «Manchmal kommt es schon vor, dass man zu Hause schneller gereizt reagiert.» Nach anstrengenden Nachtschichten falle es ihm oft schwer, zur Ruhe zu kommen, weil er das Erlebte erst verarbeiten müsse. «Darunter leidet auch die Schlafqualität – und das wirkt sich natürlich auf die Stimmung aus», so M. Und doch überwiegt bei ihm die Leidenschaft: «Polizei, Sanität und Feuerwehr. Das sind alles Berufe, die man mit Herzblut machen muss.»
*Name geändert