Darum gehts
- Schweizer Bauern protestieren gegen Bundesamt für Landwirtschaft wegen strenger Vorgaben
- Landwirte fordern Mitsprache bei Agrarpolitik und bessere Rahmenbedingungen
- Etwa 50 Prozent des Einkommens der Bauern stammt laut OECD-Schätzungen vom Bund
Kevin Pfister (27) blickt auf sein Broccolifeld, das sattgrün in der Nachmittagssonne glänzt. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich: Der Schein trügt. In viele Pflanzen haben Schädlinge grosse Löcher gefressen, die Blattspitzen sind oft tiefviolett verfärbt – ein Zeichen, dass es an Nährstoffen mangelt.
Der Gemüsegärtner bewegt seinen Arm über die Fläche und erklärt: «Ein grosser Teil wird als Biomasse enden.» Erdflöhe, Kohlschaben – die Insekten machen dem Bauern aus Kerzers FR das Leben schwer. Für Jung-Betriebsleiter Pfister und seine Berufskollegen ist klar, wer daran schuld ist: der Bund.
Auf Traktoren gegen den Bund
Zu viele Vorgaben, kaum Wertschätzung und überbordende Bürokratie: Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) zieht den Groll der Schweizer Bäuerinnen und Bauern auf sich. Um sich zu wehren, sitzen diese auch immer wieder auf ihre Traktoren und zeigen in Bern ihren Unmut.
Auch ein von Agrarminister Guy Parmelin (65, SVP) veranlasster runder Tisch stimmte die Landwirtinnen und Landwirte letztes Jahr nicht milder. Aktuell formiert sich die «Bäuerliche Basisbewegung» erneut – etwa gegen das neue Pestizid-Meldetool Digiflux.
«Das BLW lässt die produzierende Landwirtschaft im Stich», sagt die Berner Meisterlandwirtin Rosmarie Fischer-von Weissenfluh (54). Sie sitzt im Verkaufsbüro des Hofs, den Kevin Pfister zusammen mit seinem Vater Martin führt. Darin wird es an diesem Nachmittag beim Blick-Besuch laut: Auch Bio-Landwirt Stefan Krähenbühl (47) und Markus Lüscher (57), Vizepräsident des Berner Bauernverbandes, diskutieren mit.
«Die Bauern sind Teil der Lösung»
Im Frühling errichtete die Protestbewegung vor dem BLW-Sitz in Liebefeld BE zuerst symbolisch eine Mai-Tanne, später wollte sie Kartoffeln pflanzen. Anfang Juni protestierten die Landwirte dann in Ostermundigen BE. Krähenbühl und Fischer-von Weissenfluh waren an vorderster Front dabei.
Denn in diesem Jahr arbeitet der Bund die Agrarpolitik ab 2030 aus. «Wenn wir sehen, was darin angedacht ist, müssen wir einfach sagen: Es verschlechtert die Situation unserer Betriebe erneut», sagt Fischer-von Weissenfluh. «Wir fordern immer wieder, dass die nächste Landwirtschaftspolitik mit uns zusammen gemacht wird. Die Bauern sind ein Teil der Lösung und nicht das Problem.»
Viele Bundesgelder für die Landwirtschaft
Obwohl sich die Bauern vernachlässigt fühlen, stammt laut OECD-Schätzungen rund die Hälfte ihres Einkommens vom Bund – durch Direktzahlungen und Agrarzölle. Schweizer Produzenten scheinen also gut abgesichert.
Sie selbst sehen das anders. Denn auf der anderen Seite erhalten die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte für ihre Produkte von Verarbeitern und Detailhandel oftmals nur noch wenige Rappen – Tendenz sinkend. Das Haushaltseinkommen auf den Höfen nimmt ab, die Arbeitsstunden nehmen zu. Und der Nachwuchs bleibt aus.
Dazu kommt: Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz sank in den vergangenen Jahrzehnten – allen Unkenrufen der Bauern zum Trotz. «Als ich vor 25 Jahren im Studium war, hat uns das BLW versprochen, dass der Selbstversorgungsgrad steigen würde», sagt Krähenbühl. «Herr Parmelin ist jetzt gefordert, zu handeln.»
Geopolitische Lage hat sich verändert
Auch Bauernverbandsvertreter Markus Lüscher warnt davor, die einheimische Produktion aus der Hand zu geben. «Die aktuelle Agrarpolitik wurde im Zusammenhang mit den grossen Freihandelsabkommen gezimmert», sagt Lüscher. «Aber mit den aktuellen geopolitischen Entwicklungen können wir wirklich von einer Zeitenwende sprechen.»
Daher müsse der Bund nun dafür sorgen, dass die Schweizer Landwirtinnen und Landwirte sich für die Zukunft rüsten können. «Wir müssen investieren können», sagt Lüscher. «Und der Bund muss dem Nachwuchs wieder eine Perspektive geben.»
Die Direktzahlungen reichen da nicht. Für viele sind sie ein Zeichen, wie gut es den Bauern gehe – doch machen sie durchschnittlich ein Fünftel des Einkommens eines Betriebs aus. «Direktzahlungen sind keine Subventionen», sagt Krähenbühl. «Sie sind Teil eines Leistungsauftrags, den wir mit viel Fleiss erfüllen.»
Unausgeglichene Verhandlungen
Und geht es dann um Preisverhandlungen oder gute Rahmenbedingungen, sei das Kräfteverhältnis unausgeglichen. «Führen Arbeitgeber und Gewerkschaften ihre Lohnverhandlungen, gilt Gleichstand», sagt Fischer-von Weissenfluh. «Bei uns sitzen jedoch bei allem so viele Interessenverbände am Tisch, dass wir Bauern gar kein Gewicht mehr haben.»
Pfisters elender Broccoli sei Ausdruck des Problems. «Der Bund hat in den letzten Jahren fleissig Pflanzenschutzmittel verboten», sagt Pfister. «Das wäre ja schön und gut, wenn es Alternativen gäbe.» Doch die gebe es nicht – nur für wenige Mittel sei es zumindest möglich, eine Sonderbewilligung anzufordern. Das sei für den Ertrag der Bauern verheerend.
Immer weitere Schikanen
Der Kanton musste auch Pfister eine solche gewähren. Viel genützt habe sie nicht, sagt der Jungbauer. Denn um sie zu beantragen, musste er zuerst dokumentieren, dass ein reguläres Mittel nichts gegen die Erdflöhe brachte. Bis die Bewilligung dann kam, sei der Broccoli bereits zur Hälfte gefressen gewesen. «Da fragst du dich: Soll ich überhaupt noch spritzen oder direkt fräsen?»
Für Krähenbühl ist mittlerweile ein kritischer Punkt erreicht. «So gezielt, wie wir Pflanzenschutz oder Tierheilmittel einsetzen, kann kein Spital arbeiten», sagt er. «Doch statt uns zu entlasten, will das BLW uns mit Digiflux noch mehr Schikanen aufbürden.»
Das Resultat: eine sinkende Inlandproduktion und mehr Importe aus weniger kontrolliertem Anbau. «Zudem stammt das Gemüse oft aus Ländern mit deutlich schlechteren Arbeitsbedingungen. Ist das etwa sozialverträglich?» Solange sich daran nichts ändere, geht auch der Biolandwirt weiter auf die Barrikade.