Bundespräsident Ignazio Cassis (60) hat am internationalen Holocaust-Gedenktag am Donnerstag zum Einstehen gegen Antisemitismus und Rassismus aufgerufen. Am 27. Januar 1945 hatte die sowjetische Rote Armee das Nazi-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit.
«Wir haben die Verantwortung, gegen Antisemitismus, Rassismus, Hass und Gewalt und Totalitarismus einzustehen», sagte Cassis in seiner Grussbotschaft laut einer Mitteilung seines Aussendepartements (EDA). Der Bundesrat spreche sich klar und unmissverständlich gegen Antisemitismus und Rassismus aus.
«Wenn wir uns an den Holocaust erinnern, tun wir dies für die Millionen von Menschen, die ihn nicht überlebt haben. Wir tun es aber auch für die Hinterbliebenen. Wir tun es für uns», sagte Cassis weiter. «Nur, wenn wir verstehen, wie etwas geschehen konnte, können wir solche Gräueltaten in Zukunft verhindern.»
Die nach dem Krieg geborenen Generationen trügen keine Verantwortung für den Holocaust. «Aber wir tragen sehr wohl die Verantwortung, uns zu erinnern und alles daran zu setzen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt», so Cassis weiter.
Treffen mit Holocaust-Überlebendem
Wie wichtig die Erinnerung an den Holocaust ist, erfuhr der Bundespräsident vor wenigen Tagen bei einem Treffen mit Fishel Rabinowicz (97), einem der letzten Holocaust-Überlebenden in der Schweiz. Der 1924 in Polen geborene Rabinowicz verbrachte mehrere Jahre in verschiedenen Arbeits- und Konzentrationslagern.
Im Gespräch mit Cassis erzählte Rabinowicz, wie ihm im Konzentrationslager der Name genommen worden sei: «Ich wurde die Nummer 19037». Im Unterschied zu den Arbeitslagern habe es im Konzentrationslager weniger zu essen gegeben, erinnerte er sich. Und die Arbeit sei härter und länger gewesen. Er berichtete auch davon, wie sie mitten in der Nacht geweckt und schikaniert wurden.
Am 11. April 1945 wurde er – damals im Konzentrationslager Buchenwald – von den Amerikanern befreit. Rabinowicz selbst wog bei seiner Befreiung keine 30 Kilogramm mehr, aber er lebte. Seine Eltern und sieben seiner neun Geschwister hingegen überlebten den Holocaust nicht. «Ich habe Glück gehabt», sagte er.
Das Erlebte in Bilder verarbeitet
1947 kam er als junger Mann in die Schweiz. Nach einem Aufenthalt im Sanatorium Davos machte er eine Lehre, heiratete und zog ins Tessin. Nach seiner Pensionierung begann Rabinowicz, das Erlebte in Bilder zu verarbeiten. «Meine Bilder sollen helfen, dass wir nie vergessen, was damals geschah», erklärte er seine Leidenschaft. 50 Kunstwerke sind über die Jahre entstanden.
«Eine eindrückliche visuelle Auseinandersetzung mit dem Judentum und der Shoah», sagte Cassis dazu. Und: «Diese Bilder zu sehen und die unglaubliche Lebensgeschichte von Rabinowicz persönlich zu hören, hat mich sehr berührt.»
Noch könne man diese Zeugnisse von Überlebenden hören, so Cassis. Noch könne man diese Menschen treffen, ihnen die Hand geben und bei ihnen sitzen. «Es sind leise Stimmen, die zu uns sprechen» so der Bundespräsident. «Aber was sie zu sagen haben, ist wichtig – vielleicht wichtiger denn je. Es ist an uns, ihre Worte zu bewahren.»
Millionen von Menschen ermordet
Die israelische Botschaft in Bern hatte zum internationalen Holocaust-Gedenktag eingeladen, an dem unter anderem auch die Botschafter Israels, Deutschlands und ein Vertreter der US-Botschaft zu Wort kommen sollten.
Das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau westlich von Krakau in Polen war eines von mehreren Vernichtungs- und Konzentrationslagern im Machtbereich des nationalsozialistischen Deutschlands, wo allein mindestens sechs Millionen Juden aus ganz Europa auf deutschen Befehl ermordet wurden – neben Sinti und Roma, Homosexuellen, politischen Gefangenen und anderen von den Nazis Verfolgten. (SDA/rus)