Die gute Nachricht zuerst: Die Sozialhilfequote in den Städten ist stabil – oder gar gesunken. Gerade bei den jüngeren Altersgruppen ist die Quote deutlich zurückgegangen, wie eine Auswertung der Städteinitiative Sozialpolitik für 14 grössere Städte zeigt.
Die schlechte Nachricht: Bei älteren Personen hat das Sozialhilferisiko in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen. Und «älter» heisst in diesem Fall bereits ab 46! Die Gruppe der 46- bis 55-Jährigen wies 2018 mit 5,7 Prozent neu die höchste Quote aus. Vor zehn Jahren lag sie noch unter 5 Prozent.
Doch auch bei den 56- bis 64-Jährigen ist das Risiko massiv angestiegen. Vor zehn Jahren wiesen die Ältesten mit 3,3 Prozent noch die tiefste Sozialhilfequote aus. Seither ist diese in die Höhe geschnellt – auf 4,8 Prozent.
Überbrückungsrente als wichtiger Schritt
«In diesen Altersgruppen addieren sich verschiedene Problemlagen: mangelnde oder falsche Berufsbildung, erschwerter Arbeitsmarktzugang, gesundheitliche Probleme», erklärt der Winterthurer Sozialvorsteher Nicolas Galladé (44).
Es zeigten sich auch Einflüsse der vorgelagerten Systeme, so der Präsident der Städteinitiative Sozialpolitik. Die soziale Absicherung durch die Arbeitslosenversicherung und die Invalidenversicherung habe sich im gleichen Zeitraum verschlechtert. «Alles zusammen führt dazu, dass die Sozialhilfe in dieser Altersgruppe oft längerfristig die Existenzsicherung übernehmen muss.»
Er ortet denn auch Handlungsbedarf bei den älteren Ausgesteuerten. Umso wichtiger ist für die städtischen Sozialdirektoren denn auch die vom Bundesrat vorgeschlagene Überbrückungsrente für ausgesteuerte Personen ab 60 Jahren. Mit dieser will der Bundesrat verhindern, dass in die Sozialhilfe fällt, wer mit 58 Jahren seine Stelle verliert.
«Obwohl eine solche Überbrückungsleistung die Sozialhilfe nicht wesentlich entlasten dürfte, schliesst sie doch eine Lücke im System», so Galladé. «Ein kleiner, aber wichtiger Schritt in die richtige Richtung.»
Bildungsschere geht auf
Doch nicht nur das Alter ist ein Sozialhilferisiko, sondern auch ein fehlender Berufsabschluss. «Für Personen ohne Berufsabschluss wird es immer schwieriger, ein sicheres Einkommen zu erzielen», so Galladé. Langzeitarbeitslosigkeit habe in dieser Gruppe in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen.
Ganz besonders betroffen seien Menschen ab etwa 50 Jahren. Denn gefragt seien gut gebildete, flexible und belastbare Arbeitskräfte, und einfache Routinetätigkeiten würden mit der Digitalisierung zunehmend verschwinden. Gleichzeitig steige das durchschnittliche Bildungsniveau der Schweizer Bevölkerung markant, so Galladé.
Sein Fazit: «Eine Bildungsschere geht auf: Die Wirtschaft verlangt vermehrt nach hochqualifizierten Personen. Aber für niedrig qualifizierte Menschen fallen immer mehr existenzsichernde Arbeitsplätze weg.» Diesen bleibt oft nur der Gang zum Sozialamt.
40 Millionen Franken für Weiterbildung
Von den erwachsenen Sozialhilfebezügern in den 14 untersuchten Städten haben denn auch mehr als die Hälfte keine Berufsausbildung. Für Galladé ist damit klar: «Es braucht bessere Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, damit es weniger Verliererinnen und Verlierer des Strukturwandels gibt.» Und es brauche jemanden, der diese Bildung finanziere.
Die Städteinitiative verweist auf eine im Parlament hängige Motion, die vom Bund einen Beitrag von 40 Millionen Franken für die Weiterbildung von Sozialhilfebezügern verlangt.